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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

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des gemeinen Wesens.
ber einen durch einen blossen Zufall umb
das Leben bringet (welches man einen zu-
fälligen Todschlag
zu nennen pfleget),
so daß wir weder verlangen dem andern
einigen Schaden an seinem Leibe zuzufü-
gen, noch ihn gar um das Leben zu brin-
gen, als z. E. wenn einer aus Versehen
Ratten-Pulver in die Speise thut, in
der Meinung, daß er Zucker nehme, und
dadurch anderen wieder sein Wissen und
Willen vergiebet: so begreiffet ein jeder,
daß man dergleichen Todtschlag nieman-
den zurechnen und folgends nicht bestraffen
kan. Gleichergestalt da man vermöge des
natürlichen Gesetzes denjenigen um das Le-
ben bringen darf, gegen den man die
Nothwehre gebrauchen muß (§. 868. 869
Mor.); so siehet man abermahls, daß der
Todschlag, welcher in der Nothwehre be-
gangen worden, im gemeinen Wesen nicht
bestraffet werden kan.

§. 372.

Gleichergestalt siehet man leicht,Welcher
Selbst-
Mord zu
bestraf-
sen.

daß auch der Selbst-Mord nicht zu bestraf-
fen, als der mit Vorsatz vollbracht wor-
den, nicht aber wenn einer entweder aus
Raferey oder Trunckenheit, oder auf eine
andere zufällige Weise wieder seinen Wil-
len sich um das Leben bringet. Nemlich
alles, was nicht mit Vorsatz, sondern
wieder unseren Willen geschiehet, kan durch
keine Furcht für der Straffe vermieden

mer-

des gemeinen Weſens.
ber einen durch einen bloſſen Zufall umb
das Leben bringet (welches man einen zu-
faͤlligen Todſchlag
zu nennen pfleget),
ſo daß wir weder verlangen dem andern
einigen Schaden an ſeinem Leibe zuzufuͤ-
gen, noch ihn gar um das Leben zu brin-
gen, als z. E. wenn einer aus Verſehen
Ratten-Pulver in die Speiſe thut, in
der Meinung, daß er Zucker nehme, und
dadurch anderen wieder ſein Wiſſen und
Willen vergiebet: ſo begreiffet ein jeder,
daß man dergleichen Todtſchlag nieman-
den zurechnen und folgends nicht beſtraffen
kan. Gleichergeſtalt da man vermoͤge des
natuͤrlichen Geſetzes denjenigen um das Le-
ben bringen darf, gegen den man die
Nothwehre gebrauchen muß (§. 868. 869
Mor.); ſo ſiehet man abermahls, daß der
Todſchlag, welcher in der Nothwehre be-
gangen worden, im gemeinen Weſen nicht
beſtraffet werden kan.

§. 372.

Gleichergeſtalt ſiehet man leicht,Welcher
Selbſt-
Mord zu
beſtraf-
ſen.

daß auch der Selbſt-Mord nicht zu beſtraf-
fen, als der mit Vorſatz vollbracht wor-
den, nicht aber wenn einer entweder aus
Raferey oder Trunckenheit, oder auf eine
andere zufaͤllige Weiſe wieder ſeinen Wil-
len ſich um das Leben bringet. Nemlich
alles, was nicht mit Vorſatz, ſondern
wieder unſeren Willen geſchiehet, kan durch
keine Furcht fuͤr der Straffe vermieden

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[331/0349] des gemeinen Weſens. ber einen durch einen bloſſen Zufall umb das Leben bringet (welches man einen zu- faͤlligen Todſchlag zu nennen pfleget), ſo daß wir weder verlangen dem andern einigen Schaden an ſeinem Leibe zuzufuͤ- gen, noch ihn gar um das Leben zu brin- gen, als z. E. wenn einer aus Verſehen Ratten-Pulver in die Speiſe thut, in der Meinung, daß er Zucker nehme, und dadurch anderen wieder ſein Wiſſen und Willen vergiebet: ſo begreiffet ein jeder, daß man dergleichen Todtſchlag nieman- den zurechnen und folgends nicht beſtraffen kan. Gleichergeſtalt da man vermoͤge des natuͤrlichen Geſetzes denjenigen um das Le- ben bringen darf, gegen den man die Nothwehre gebrauchen muß (§. 868. 869 Mor.); ſo ſiehet man abermahls, daß der Todſchlag, welcher in der Nothwehre be- gangen worden, im gemeinen Weſen nicht beſtraffet werden kan. §. 372.Gleichergeſtalt ſiehet man leicht, daß auch der Selbſt-Mord nicht zu beſtraf- fen, als der mit Vorſatz vollbracht wor- den, nicht aber wenn einer entweder aus Raferey oder Trunckenheit, oder auf eine andere zufaͤllige Weiſe wieder ſeinen Wil- len ſich um das Leben bringet. Nemlich alles, was nicht mit Vorſatz, ſondern wieder unſeren Willen geſchiehet, kan durch keine Furcht fuͤr der Straffe vermieden mer- Welcher Selbſt- Mord zu beſtraf- ſen.

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/349>, abgerufen am 08.05.2024.