ber einen durch einen blossen Zufall umb das Leben bringet (welches man einen zu- fälligen Todschlag zu nennen pfleget), so daß wir weder verlangen dem andern einigen Schaden an seinem Leibe zuzufü- gen, noch ihn gar um das Leben zu brin- gen, als z. E. wenn einer aus Versehen Ratten-Pulver in die Speise thut, in der Meinung, daß er Zucker nehme, und dadurch anderen wieder sein Wissen und Willen vergiebet: so begreiffet ein jeder, daß man dergleichen Todtschlag nieman- den zurechnen und folgends nicht bestraffen kan. Gleichergestalt da man vermöge des natürlichen Gesetzes denjenigen um das Le- ben bringen darf, gegen den man die Nothwehre gebrauchen muß (§. 868. 869 Mor.); so siehet man abermahls, daß der Todschlag, welcher in der Nothwehre be- gangen worden, im gemeinen Wesen nicht bestraffet werden kan.
§. 372.
Gleichergestalt siehet man leicht,Welcher Selbst- Mord zu bestraf- sen. daß auch der Selbst-Mord nicht zu bestraf- fen, als der mit Vorsatz vollbracht wor- den, nicht aber wenn einer entweder aus Raferey oder Trunckenheit, oder auf eine andere zufällige Weise wieder seinen Wil- len sich um das Leben bringet. Nemlich alles, was nicht mit Vorsatz, sondern wieder unseren Willen geschiehet, kan durch keine Furcht für der Straffe vermieden
mer-
des gemeinen Weſens.
ber einen durch einen bloſſen Zufall umb das Leben bringet (welches man einen zu- faͤlligen Todſchlag zu nennen pfleget), ſo daß wir weder verlangen dem andern einigen Schaden an ſeinem Leibe zuzufuͤ- gen, noch ihn gar um das Leben zu brin- gen, als z. E. wenn einer aus Verſehen Ratten-Pulver in die Speiſe thut, in der Meinung, daß er Zucker nehme, und dadurch anderen wieder ſein Wiſſen und Willen vergiebet: ſo begreiffet ein jeder, daß man dergleichen Todtſchlag nieman- den zurechnen und folgends nicht beſtraffen kan. Gleichergeſtalt da man vermoͤge des natuͤrlichen Geſetzes denjenigen um das Le- ben bringen darf, gegen den man die Nothwehre gebrauchen muß (§. 868. 869 Mor.); ſo ſiehet man abermahls, daß der Todſchlag, welcher in der Nothwehre be- gangen worden, im gemeinen Weſen nicht beſtraffet werden kan.
§. 372.
Gleichergeſtalt ſiehet man leicht,Welcher Selbſt- Mord zu beſtraf- ſen. daß auch der Selbſt-Mord nicht zu beſtraf- fen, als der mit Vorſatz vollbracht wor- den, nicht aber wenn einer entweder aus Raferey oder Trunckenheit, oder auf eine andere zufaͤllige Weiſe wieder ſeinen Wil- len ſich um das Leben bringet. Nemlich alles, was nicht mit Vorſatz, ſondern wieder unſeren Willen geſchiehet, kan durch keine Furcht fuͤr der Straffe vermieden
mer-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0349"n="331"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">des gemeinen Weſens.</hi></fw><lb/>
ber einen durch einen bloſſen Zufall umb<lb/>
das Leben bringet (welches man einen <hirendition="#fr">zu-<lb/>
faͤlligen Todſchlag</hi> zu nennen pfleget),<lb/>ſo daß wir weder verlangen dem andern<lb/>
einigen Schaden an ſeinem Leibe zuzufuͤ-<lb/>
gen, noch ihn gar um das Leben zu brin-<lb/>
gen, als z. E. wenn einer aus Verſehen<lb/>
Ratten-Pulver in die Speiſe thut, in<lb/>
der Meinung, daß er Zucker nehme, und<lb/>
dadurch anderen wieder ſein Wiſſen und<lb/>
Willen vergiebet: ſo begreiffet ein jeder,<lb/>
daß man dergleichen Todtſchlag nieman-<lb/>
den zurechnen und folgends nicht beſtraffen<lb/>
kan. Gleichergeſtalt da man vermoͤge des<lb/>
natuͤrlichen Geſetzes denjenigen um das Le-<lb/>
ben bringen darf, gegen den man die<lb/>
Nothwehre gebrauchen muß (§. 868. 869<lb/><hirendition="#aq">Mor.</hi>); ſo ſiehet man abermahls, daß der<lb/>
Todſchlag, welcher in der Nothwehre be-<lb/>
gangen worden, im gemeinen Weſen nicht<lb/>
beſtraffet werden kan.</p></div><lb/><divn="4"><head>§. 372.</head><p>Gleichergeſtalt ſiehet man leicht,<noteplace="right">Welcher<lb/>
Selbſt-<lb/>
Mord zu<lb/>
beſtraf-<lb/>ſen.</note><lb/>
daß auch der Selbſt-Mord nicht zu beſtraf-<lb/>
fen, als der mit Vorſatz vollbracht wor-<lb/>
den, nicht aber wenn einer entweder aus<lb/>
Raferey oder Trunckenheit, oder auf eine<lb/>
andere zufaͤllige Weiſe wieder ſeinen Wil-<lb/>
len ſich um das Leben bringet. Nemlich<lb/>
alles, was nicht mit Vorſatz, ſondern<lb/>
wieder unſeren Willen geſchiehet, kan durch<lb/>
keine Furcht fuͤr der Straffe vermieden<lb/><fwplace="bottom"type="catch">mer-</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[331/0349]
des gemeinen Weſens.
ber einen durch einen bloſſen Zufall umb
das Leben bringet (welches man einen zu-
faͤlligen Todſchlag zu nennen pfleget),
ſo daß wir weder verlangen dem andern
einigen Schaden an ſeinem Leibe zuzufuͤ-
gen, noch ihn gar um das Leben zu brin-
gen, als z. E. wenn einer aus Verſehen
Ratten-Pulver in die Speiſe thut, in
der Meinung, daß er Zucker nehme, und
dadurch anderen wieder ſein Wiſſen und
Willen vergiebet: ſo begreiffet ein jeder,
daß man dergleichen Todtſchlag nieman-
den zurechnen und folgends nicht beſtraffen
kan. Gleichergeſtalt da man vermoͤge des
natuͤrlichen Geſetzes denjenigen um das Le-
ben bringen darf, gegen den man die
Nothwehre gebrauchen muß (§. 868. 869
Mor.); ſo ſiehet man abermahls, daß der
Todſchlag, welcher in der Nothwehre be-
gangen worden, im gemeinen Weſen nicht
beſtraffet werden kan.
§. 372.Gleichergeſtalt ſiehet man leicht,
daß auch der Selbſt-Mord nicht zu beſtraf-
fen, als der mit Vorſatz vollbracht wor-
den, nicht aber wenn einer entweder aus
Raferey oder Trunckenheit, oder auf eine
andere zufaͤllige Weiſe wieder ſeinen Wil-
len ſich um das Leben bringet. Nemlich
alles, was nicht mit Vorſatz, ſondern
wieder unſeren Willen geſchiehet, kan durch
keine Furcht fuͤr der Straffe vermieden
mer-
Welcher
Selbſt-
Mord zu
beſtraf-
ſen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/349>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.