Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 3. Von der Einrichtung
les unter die Augen sagen: welches man
Confrontiren zu nennen pfleget. Viele sind
nicht so unverschämet, daß sie wieder ihr
Gewissen leugnen sollten, was man ihnen
frey und mit Nachdruck unter die Augen
saget. Damit man aber desto genauer
hinter alle Umstände kommen kan, so muß
man aus der Aussage der Zeugen und des
Inquisiten Fragen formiren, und den letz-
tern ordentlich darauf antworten lassen:
welches ferner auch diesen Nutzen hat, daß
man sehen kan, ob er sich auch etwan in
einigen Dingen wiederspricht und nicht
bey einerley Reden bleibet, oder variret,
maßen in dem letzten Falle erhellet, daß
er mit Unwahrheit umgehet und sich daher
nicht wenig verdächtig machet. Wer sich
für GOtt fürchtet, den kan man durch ei-
nen Eyd zum Geständnis der Wahrheit
bringen (§. 997. Mor.), indem man ihn
nemlich dasjenige abschweeren lässet, wo
man Verdacht wieder ihn hat. Jedoch
wo das Verbrechen so groß ist, daß man
eine Lebens-Straffe darauf gesetzet; da
darf man dem Eyde nicht wohl trauen, in-
dem wohl viele einen falschen Eyd thun
möchten, wenn sie dadurch ihr Leben zu er-
retten wüsten. Wo man nun nicht durch
diese Mittel auskommen kan, da muß
man auf schärffere bedacht seyn, wenn das
Verbrechen von der Wichtigkeit ist, daß

es

Cap. 3. Von der Einrichtung
les unter die Augen ſagen: welches man
Confrontiren zu nennen pfleget. Viele ſind
nicht ſo unverſchaͤmet, daß ſie wieder ihr
Gewiſſen leugnen ſollten, was man ihnen
frey und mit Nachdruck unter die Augen
ſaget. Damit man aber deſto genauer
hinter alle Umſtaͤnde kommen kan, ſo muß
man aus der Auſſage der Zeugen und des
Inquiſiten Fragen formiren, und den letz-
tern ordentlich darauf antworten laſſen:
welches ferner auch dieſen Nutzen hat, daß
man ſehen kan, ob er ſich auch etwan in
einigen Dingen wiederſpricht und nicht
bey einerley Reden bleibet, oder variret,
maßen in dem letzten Falle erhellet, daß
er mit Unwahrheit umgehet und ſich daher
nicht wenig verdaͤchtig machet. Wer ſich
fuͤr GOtt fuͤrchtet, den kan man durch ei-
nen Eyd zum Geſtaͤndnis der Wahrheit
bringen (§. 997. Mor.), indem man ihn
nemlich dasjenige abſchweeren laͤſſet, wo
man Verdacht wieder ihn hat. Jedoch
wo das Verbrechen ſo groß iſt, daß man
eine Lebens-Straffe darauf geſetzet; da
darf man dem Eyde nicht wohl trauen, in-
dem wohl viele einen falſchen Eyd thun
moͤchten, wenn ſie dadurch ihr Leben zu er-
retten wuͤſten. Wo man nun nicht durch
dieſe Mittel auskommen kan, da muß
man auf ſchaͤrffere bedacht ſeyn, wenn das
Verbrechen von der Wichtigkeit iſt, daß

es
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0332" n="314"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Cap. 3. Von der Einrichtung</hi></fw><lb/>
les unter die Augen &#x017F;agen: welches man<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Confronti</hi></hi><hi rendition="#fr">ren</hi> zu nennen pfleget. Viele &#x017F;ind<lb/>
nicht &#x017F;o unver&#x017F;cha&#x0364;met, daß &#x017F;ie wieder ihr<lb/>
Gewi&#x017F;&#x017F;en leugnen &#x017F;ollten, was man ihnen<lb/>
frey und mit Nachdruck unter die Augen<lb/>
&#x017F;aget. Damit man aber de&#x017F;to genauer<lb/>
hinter alle Um&#x017F;ta&#x0364;nde kommen kan, &#x017F;o muß<lb/>
man aus der Au&#x017F;&#x017F;age der Zeugen und des<lb/><hi rendition="#aq">Inqui&#x017F;it</hi>en Fragen <hi rendition="#aq">formi</hi>ren, und den letz-<lb/>
tern ordentlich darauf antworten la&#x017F;&#x017F;en:<lb/>
welches ferner auch die&#x017F;en Nutzen hat, daß<lb/>
man &#x017F;ehen kan, ob er &#x017F;ich auch etwan in<lb/>
einigen Dingen wieder&#x017F;pricht und nicht<lb/>
bey einerley Reden bleibet, oder <hi rendition="#aq">vari</hi>ret,<lb/>
maßen in dem letzten Falle erhellet, daß<lb/>
er mit Unwahrheit umgehet und &#x017F;ich daher<lb/>
nicht wenig verda&#x0364;chtig machet. Wer &#x017F;ich<lb/>
fu&#x0364;r GOtt fu&#x0364;rchtet, den kan man durch ei-<lb/>
nen Eyd zum Ge&#x017F;ta&#x0364;ndnis der Wahrheit<lb/>
bringen (§. 997. <hi rendition="#aq">Mor.</hi>), indem man ihn<lb/>
nemlich dasjenige ab&#x017F;chweeren la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et, wo<lb/>
man Verdacht wieder ihn hat. Jedoch<lb/>
wo das Verbrechen &#x017F;o groß i&#x017F;t, daß man<lb/>
eine Lebens-Straffe darauf ge&#x017F;etzet; da<lb/>
darf man dem Eyde nicht wohl trauen, in-<lb/>
dem wohl viele einen fal&#x017F;chen Eyd thun<lb/>
mo&#x0364;chten, wenn &#x017F;ie dadurch ihr Leben zu er-<lb/>
retten wu&#x0364;&#x017F;ten. Wo man nun nicht durch<lb/>
die&#x017F;e Mittel auskommen kan, da muß<lb/>
man auf &#x017F;cha&#x0364;rffere bedacht &#x017F;eyn, wenn das<lb/>
Verbrechen von der Wichtigkeit i&#x017F;t, daß<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">es</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0332] Cap. 3. Von der Einrichtung les unter die Augen ſagen: welches man Confrontiren zu nennen pfleget. Viele ſind nicht ſo unverſchaͤmet, daß ſie wieder ihr Gewiſſen leugnen ſollten, was man ihnen frey und mit Nachdruck unter die Augen ſaget. Damit man aber deſto genauer hinter alle Umſtaͤnde kommen kan, ſo muß man aus der Auſſage der Zeugen und des Inquiſiten Fragen formiren, und den letz- tern ordentlich darauf antworten laſſen: welches ferner auch dieſen Nutzen hat, daß man ſehen kan, ob er ſich auch etwan in einigen Dingen wiederſpricht und nicht bey einerley Reden bleibet, oder variret, maßen in dem letzten Falle erhellet, daß er mit Unwahrheit umgehet und ſich daher nicht wenig verdaͤchtig machet. Wer ſich fuͤr GOtt fuͤrchtet, den kan man durch ei- nen Eyd zum Geſtaͤndnis der Wahrheit bringen (§. 997. Mor.), indem man ihn nemlich dasjenige abſchweeren laͤſſet, wo man Verdacht wieder ihn hat. Jedoch wo das Verbrechen ſo groß iſt, daß man eine Lebens-Straffe darauf geſetzet; da darf man dem Eyde nicht wohl trauen, in- dem wohl viele einen falſchen Eyd thun moͤchten, wenn ſie dadurch ihr Leben zu er- retten wuͤſten. Wo man nun nicht durch dieſe Mittel auskommen kan, da muß man auf ſchaͤrffere bedacht ſeyn, wenn das Verbrechen von der Wichtigkeit iſt, daß es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/332
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/332>, abgerufen am 08.05.2024.