Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.Cap. 3. Von der Einrichtung les unter die Augen sagen: welches manConfrontiren zu nennen pfleget. Viele sind nicht so unverschämet, daß sie wieder ihr Gewissen leugnen sollten, was man ihnen frey und mit Nachdruck unter die Augen saget. Damit man aber desto genauer hinter alle Umstände kommen kan, so muß man aus der Aussage der Zeugen und des Inquisiten Fragen formiren, und den letz- tern ordentlich darauf antworten lassen: welches ferner auch diesen Nutzen hat, daß man sehen kan, ob er sich auch etwan in einigen Dingen wiederspricht und nicht bey einerley Reden bleibet, oder variret, maßen in dem letzten Falle erhellet, daß er mit Unwahrheit umgehet und sich daher nicht wenig verdächtig machet. Wer sich für GOtt fürchtet, den kan man durch ei- nen Eyd zum Geständnis der Wahrheit bringen (§. 997. Mor.), indem man ihn nemlich dasjenige abschweeren lässet, wo man Verdacht wieder ihn hat. Jedoch wo das Verbrechen so groß ist, daß man eine Lebens-Straffe darauf gesetzet; da darf man dem Eyde nicht wohl trauen, in- dem wohl viele einen falschen Eyd thun möchten, wenn sie dadurch ihr Leben zu er- retten wüsten. Wo man nun nicht durch diese Mittel auskommen kan, da muß man auf schärffere bedacht seyn, wenn das Verbrechen von der Wichtigkeit ist, daß es
Cap. 3. Von der Einrichtung les unter die Augen ſagen: welches manConfrontiren zu nennen pfleget. Viele ſind nicht ſo unverſchaͤmet, daß ſie wieder ihr Gewiſſen leugnen ſollten, was man ihnen frey und mit Nachdruck unter die Augen ſaget. Damit man aber deſto genauer hinter alle Umſtaͤnde kommen kan, ſo muß man aus der Auſſage der Zeugen und des Inquiſiten Fragen formiren, und den letz- tern ordentlich darauf antworten laſſen: welches ferner auch dieſen Nutzen hat, daß man ſehen kan, ob er ſich auch etwan in einigen Dingen wiederſpricht und nicht bey einerley Reden bleibet, oder variret, maßen in dem letzten Falle erhellet, daß er mit Unwahrheit umgehet und ſich daher nicht wenig verdaͤchtig machet. Wer ſich fuͤr GOtt fuͤrchtet, den kan man durch ei- nen Eyd zum Geſtaͤndnis der Wahrheit bringen (§. 997. Mor.), indem man ihn nemlich dasjenige abſchweeren laͤſſet, wo man Verdacht wieder ihn hat. Jedoch wo das Verbrechen ſo groß iſt, daß man eine Lebens-Straffe darauf geſetzet; da darf man dem Eyde nicht wohl trauen, in- dem wohl viele einen falſchen Eyd thun moͤchten, wenn ſie dadurch ihr Leben zu er- retten wuͤſten. Wo man nun nicht durch dieſe Mittel auskommen kan, da muß man auf ſchaͤrffere bedacht ſeyn, wenn das Verbrechen von der Wichtigkeit iſt, daß es
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Cap. 3. Von der Einrichtung
les unter die Augen ſagen: welches man
Confrontiren zu nennen pfleget. Viele ſind
nicht ſo unverſchaͤmet, daß ſie wieder ihr
Gewiſſen leugnen ſollten, was man ihnen
frey und mit Nachdruck unter die Augen
ſaget. Damit man aber deſto genauer
hinter alle Umſtaͤnde kommen kan, ſo muß
man aus der Auſſage der Zeugen und des
Inquiſiten Fragen formiren, und den letz-
tern ordentlich darauf antworten laſſen:
welches ferner auch dieſen Nutzen hat, daß
man ſehen kan, ob er ſich auch etwan in
einigen Dingen wiederſpricht und nicht
bey einerley Reden bleibet, oder variret,
maßen in dem letzten Falle erhellet, daß
er mit Unwahrheit umgehet und ſich daher
nicht wenig verdaͤchtig machet. Wer ſich
fuͤr GOtt fuͤrchtet, den kan man durch ei-
nen Eyd zum Geſtaͤndnis der Wahrheit
bringen (§. 997. Mor.), indem man ihn
nemlich dasjenige abſchweeren laͤſſet, wo
man Verdacht wieder ihn hat. Jedoch
wo das Verbrechen ſo groß iſt, daß man
eine Lebens-Straffe darauf geſetzet; da
darf man dem Eyde nicht wohl trauen, in-
dem wohl viele einen falſchen Eyd thun
moͤchten, wenn ſie dadurch ihr Leben zu er-
retten wuͤſten. Wo man nun nicht durch
dieſe Mittel auskommen kan, da muß
man auf ſchaͤrffere bedacht ſeyn, wenn das
Verbrechen von der Wichtigkeit iſt, daß
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