Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

Bild:
<< vorherige Seite

Herrschafftlichen Gesellschafft.
sie sich mehr durch Güte als durch Härte
lencken lassen (§. 126). Wo man Aen-
derung treffen kan, so ist es besser das Ge-
sinde gehen zu lassen, als sich mit ihnen
durch Härte Verdruß zumachen.

§. 176.

Absonderlich ist nicht rathsam,Ob man
sich über
das Ge-
finde er-
eiffern
sol.

daß man sich über das Gesinde viel ereiffert.
Denn da der Zorn unter die hefftigsten Af-
fecten gehöret (§. 484 Met.), die Af-
fecten aber der Gesundheit und dem Leben
des Menschen sehr nachtheilig sind (§. 487.
Mor.); so schadet dadurch die Herrschafft
ihr selbst und ist mehr eine Straffe für sie,
als für das Gesinde (§. 36 Mor.). Da
nun der Eiffer bey dem Gesinde nichts wei-
ter erregen kan als eine Furcht, daß die
Herrschafft in gleichen Fällen wieder aus
Eiffer werde zu wiedrigem Verfahren be-
wogen werden, dergleichen aber ebenfalls
erhalten wird, wenn man nur mit gebrauch-
tem Ernst ohne sich zu erzürnen dasjenige
saget, was man im Zorn herausstösset; so
ist es rathsamer bloß Ernst ohne Eiffer zu
gebrauchen, als sich zu erzörnen. Ja es
fruchtet dieses noch eher, als grosser Zorn
und Eiffer, weil bekand, daß man im Zor-
ne mehr zu sagen pfleget als einem lieb ist,
auch nicht allemahl bedencket, was man
redet: Da hingegen, wo man ohne Affect
redet, man leichter begreiffet, daß es ein
Ernst sey.

§. 177.

Herrſchafftlichen Geſellſchafft.
ſie ſich mehr durch Guͤte als durch Haͤrte
lencken laſſen (§. 126). Wo man Aen-
derung treffen kan, ſo iſt es beſſer das Ge-
ſinde gehen zu laſſen, als ſich mit ihnen
durch Haͤrte Verdruß zumachen.

§. 176.

Abſonderlich iſt nicht rathſam,Ob man
ſich uͤber
das Ge-
finde er-
eiffeꝛn
ſol.

daß man ſich uͤber das Geſinde viel ereiffert.
Denn da der Zorn unter die hefftigſten Af-
fecten gehoͤret (§. 484 Met.), die Af-
fecten aber der Geſundheit und dem Leben
des Menſchen ſehr nachtheilig ſind (§. 487.
Mor.); ſo ſchadet dadurch die Herrſchafft
ihr ſelbſt und iſt mehr eine Straffe fuͤr ſie,
als fuͤr das Geſinde (§. 36 Mor.). Da
nun der Eiffer bey dem Geſinde nichts wei-
ter erregen kan als eine Furcht, daß die
Herrſchafft in gleichen Faͤllen wieder aus
Eiffer werde zu wiedrigem Verfahren be-
wogen werden, dergleichen aber ebenfalls
erhalten wird, wenn man nur mit gebrauch-
tem Ernſt ohne ſich zu erzuͤrnen dasjenige
ſaget, was man im Zorn herausſtoͤſſet; ſo
iſt es rathſamer bloß Ernſt ohne Eiffer zu
gebrauchen, als ſich zu erzoͤrnen. Ja es
fruchtet dieſes noch eher, als groſſer Zorn
und Eiffer, weil bekand, daß man im Zor-
ne mehr zu ſagen pfleget als einem lieb iſt,
auch nicht allemahl bedencket, was man
redet: Da hingegen, wo man ohne Affect
redet, man leichter begreiffet, daß es ein
Ernſt ſey.

§. 177.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0141" n="123"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Herr&#x017F;chafftlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chafft.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich mehr durch Gu&#x0364;te als durch Ha&#x0364;rte<lb/>
lencken la&#x017F;&#x017F;en (§. 126). Wo man Aen-<lb/>
derung treffen kan, &#x017F;o i&#x017F;t es be&#x017F;&#x017F;er das Ge-<lb/>
&#x017F;inde gehen zu la&#x017F;&#x017F;en, als &#x017F;ich mit ihnen<lb/>
durch Ha&#x0364;rte Verdruß zumachen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 176.</head>
              <p>Ab&#x017F;onderlich i&#x017F;t nicht rath&#x017F;am,<note place="right">Ob man<lb/>
&#x017F;ich u&#x0364;ber<lb/>
das Ge-<lb/>
finde er-<lb/>
eiffe&#xA75B;n<lb/>
&#x017F;ol.</note><lb/>
daß man &#x017F;ich u&#x0364;ber das Ge&#x017F;inde viel ereiffert.<lb/>
Denn da der Zorn unter die hefftig&#x017F;ten Af-<lb/>
fecten geho&#x0364;ret (§. 484 <hi rendition="#aq">Met.</hi>), die Af-<lb/>
fecten aber der Ge&#x017F;undheit und dem Leben<lb/>
des Men&#x017F;chen &#x017F;ehr nachtheilig &#x017F;ind (§. 487.<lb/><hi rendition="#aq">Mor.</hi>); &#x017F;o &#x017F;chadet dadurch die Herr&#x017F;chafft<lb/>
ihr &#x017F;elb&#x017F;t und i&#x017F;t mehr eine Straffe fu&#x0364;r &#x017F;ie,<lb/>
als fu&#x0364;r das Ge&#x017F;inde (§. 36 <hi rendition="#aq">Mor.</hi>). Da<lb/>
nun der Eiffer bey dem Ge&#x017F;inde nichts wei-<lb/>
ter erregen kan als eine Furcht, daß die<lb/>
Herr&#x017F;chafft in gleichen Fa&#x0364;llen wieder aus<lb/>
Eiffer werde zu wiedrigem Verfahren be-<lb/>
wogen werden, dergleichen aber ebenfalls<lb/>
erhalten wird, wenn man nur mit gebrauch-<lb/>
tem Ern&#x017F;t ohne &#x017F;ich zu erzu&#x0364;rnen dasjenige<lb/>
&#x017F;aget, was man im Zorn heraus&#x017F;to&#x0364;&#x017F;&#x017F;et; &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t es rath&#x017F;amer bloß Ern&#x017F;t ohne Eiffer zu<lb/>
gebrauchen, als &#x017F;ich zu erzo&#x0364;rnen. Ja es<lb/>
fruchtet die&#x017F;es noch eher, als gro&#x017F;&#x017F;er Zorn<lb/>
und Eiffer, weil bekand, daß man im Zor-<lb/>
ne mehr zu &#x017F;agen pfleget als einem lieb i&#x017F;t,<lb/>
auch nicht allemahl bedencket, was man<lb/>
redet: Da hingegen, wo man ohne Affect<lb/>
redet, man leichter begreiffet, daß es ein<lb/>
Ern&#x017F;t &#x017F;ey.</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">§. 177.</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0141] Herrſchafftlichen Geſellſchafft. ſie ſich mehr durch Guͤte als durch Haͤrte lencken laſſen (§. 126). Wo man Aen- derung treffen kan, ſo iſt es beſſer das Ge- ſinde gehen zu laſſen, als ſich mit ihnen durch Haͤrte Verdruß zumachen. §. 176.Abſonderlich iſt nicht rathſam, daß man ſich uͤber das Geſinde viel ereiffert. Denn da der Zorn unter die hefftigſten Af- fecten gehoͤret (§. 484 Met.), die Af- fecten aber der Geſundheit und dem Leben des Menſchen ſehr nachtheilig ſind (§. 487. Mor.); ſo ſchadet dadurch die Herrſchafft ihr ſelbſt und iſt mehr eine Straffe fuͤr ſie, als fuͤr das Geſinde (§. 36 Mor.). Da nun der Eiffer bey dem Geſinde nichts wei- ter erregen kan als eine Furcht, daß die Herrſchafft in gleichen Faͤllen wieder aus Eiffer werde zu wiedrigem Verfahren be- wogen werden, dergleichen aber ebenfalls erhalten wird, wenn man nur mit gebrauch- tem Ernſt ohne ſich zu erzuͤrnen dasjenige ſaget, was man im Zorn herausſtoͤſſet; ſo iſt es rathſamer bloß Ernſt ohne Eiffer zu gebrauchen, als ſich zu erzoͤrnen. Ja es fruchtet dieſes noch eher, als groſſer Zorn und Eiffer, weil bekand, daß man im Zor- ne mehr zu ſagen pfleget als einem lieb iſt, auch nicht allemahl bedencket, was man redet: Da hingegen, wo man ohne Affect redet, man leichter begreiffet, daß es ein Ernſt ſey. Ob man ſich uͤber das Ge- finde er- eiffeꝛn ſol. §. 177.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/141
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/141>, abgerufen am 24.11.2024.