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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

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Väterlichen Gesellschafft.
greiffen (§. 590. Mor.). Damit nun Kin-
der desto eher dazu zubringen sind, so muß
man sich wohl in acht nehmen, daß man
nicht in ihrer Gegenwart von andern Leu-
ten verächtlich redet, auch jederman, der
bey uns was zu suchen hat, freundlich be-
gegnet. Und muß man absonderlich ih-
nen den Gedancken beybringen, daß er-
wachsene und sonderlich alte Leute viel
Gutes an sich haben, daß ihnen noch feh-
let, damit sie eine Hochachtung gegen sie
bekommen: welcher Gedancke in ihnen
bestetiget wird, wenn man ihnen, auch un-
terweilen dem Ansehen nach an verächtlichen
Personen, dergleichen zeiget, so in die Au-
gen fället und sie nicht verschmähen wür-
den, woferne es ihnen könnte mitgetheilet
werden.

§. 114.

Unter denen Tugenden, wel-Warum
Kinder
zur
Wahr-
hafftig-
keit und
Ver-
schwie-
genheit
zu ge-
wöhnen.

che man Kindern anzugewöhnen, gehören
auch absonderlich die Wahrhafftigkeit
und Verschwiegenheit. Denn da ein
Lügner seinen Glauben verlieret und nie-
mand gerne mit ihm etwas zuthun hat
(§. 982. Mor.); so können Kinder wenig
in der Welt unter Leuten fortkommen, wo-
ferne sie nicht wahrhafftig sind. Eben der-
gleichen ist zu besorgen, wenn sie nicht ver-
schwiegen sind: denn einen Plauderer mag
niemand gerne um sich baben, weil er zu
vieler Uneinigkeit und Verdruß Anlaß

gie-
F 3

Vaͤterlichen Geſellſchafft.
greiffen (§. 590. Mor.). Damit nun Kin-
der deſto eher dazu zubringen ſind, ſo muß
man ſich wohl in acht nehmen, daß man
nicht in ihrer Gegenwart von andern Leu-
ten veraͤchtlich redet, auch jederman, der
bey uns was zu ſuchen hat, freundlich be-
gegnet. Und muß man abſonderlich ih-
nen den Gedancken beybringen, daß er-
wachſene und ſonderlich alte Leute viel
Gutes an ſich haben, daß ihnen noch feh-
let, damit ſie eine Hochachtung gegen ſie
bekommen: welcher Gedancke in ihnen
beſtetiget wird, wenn man ihnen, auch un-
terweilen dem Anſehen nach an veraͤchtlichen
Perſonen, dergleichen zeiget, ſo in die Au-
gen faͤllet und ſie nicht verſchmaͤhen wuͤr-
den, woferne es ihnen koͤnnte mitgetheilet
werden.

§. 114.

Unter denen Tugenden, wel-Warum
Kinder
zur
Wahr-
hafftig-
keit und
Ver-
ſchwie-
genheit
zu ge-
woͤhnen.

che man Kindern anzugewoͤhnen, gehoͤren
auch abſonderlich die Wahrhafftigkeit
und Verſchwiegenheit. Denn da ein
Luͤgner ſeinen Glauben verlieret und nie-
mand gerne mit ihm etwas zuthun hat
(§. 982. Mor.); ſo koͤnnen Kinder wenig
in der Welt unter Leuten fortkommen, wo-
ferne ſie nicht wahrhafftig ſind. Eben der-
gleichen iſt zu beſorgen, wenn ſie nicht ver-
ſchwiegen ſind: denn einen Plauderer mag
niemand gerne um ſich baben, weil er zu
vieler Uneinigkeit und Verdruß Anlaß

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F 3
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[85/0103] Vaͤterlichen Geſellſchafft. greiffen (§. 590. Mor.). Damit nun Kin- der deſto eher dazu zubringen ſind, ſo muß man ſich wohl in acht nehmen, daß man nicht in ihrer Gegenwart von andern Leu- ten veraͤchtlich redet, auch jederman, der bey uns was zu ſuchen hat, freundlich be- gegnet. Und muß man abſonderlich ih- nen den Gedancken beybringen, daß er- wachſene und ſonderlich alte Leute viel Gutes an ſich haben, daß ihnen noch feh- let, damit ſie eine Hochachtung gegen ſie bekommen: welcher Gedancke in ihnen beſtetiget wird, wenn man ihnen, auch un- terweilen dem Anſehen nach an veraͤchtlichen Perſonen, dergleichen zeiget, ſo in die Au- gen faͤllet und ſie nicht verſchmaͤhen wuͤr- den, woferne es ihnen koͤnnte mitgetheilet werden. §. 114.Unter denen Tugenden, wel- che man Kindern anzugewoͤhnen, gehoͤren auch abſonderlich die Wahrhafftigkeit und Verſchwiegenheit. Denn da ein Luͤgner ſeinen Glauben verlieret und nie- mand gerne mit ihm etwas zuthun hat (§. 982. Mor.); ſo koͤnnen Kinder wenig in der Welt unter Leuten fortkommen, wo- ferne ſie nicht wahrhafftig ſind. Eben der- gleichen iſt zu beſorgen, wenn ſie nicht ver- ſchwiegen ſind: denn einen Plauderer mag niemand gerne um ſich baben, weil er zu vieler Uneinigkeit und Verdruß Anlaß gie- Warum Kinder zur Wahr- hafftig- keit und Ver- ſchwie- genheit zu ge- woͤhnen. F 3

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/103>, abgerufen am 25.04.2024.