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Wolff, Sabattia Joseph: Ausverkauf meiner schriftstellerischen Arbeiten. Berlin, 1824.

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ist Jhnen, fragte sein Gast, ich sehe, daß Sie wei-
nen. Der Wirth, der seinem unwillkommenen Gast
einen Possen spielen wollte, unterdrückte seinen
Schmerz, und sprach: Diese Thränen fließen dem
Andenken meines Vaters; diese Suppe war sein
Leibgericht, und ich kann sie nicht sehen, ohne über
ihn zu weinen. Der arme Pole sagte einige Worte
des Trostes, griff ganz unbefangen zu seinem Löffel,
und -- hatte gleiches Schicksal mit seinem Wirthe.
Aber was ist euch denn, fragte dieser, als er seine
Thränen gleichfalls rinnen sah, ihr weint ja auch?
Ach, sprach der Jude, ich weine ebenfalls über Jhren
Vater, und zwar, daß er einen solchen Schelm, wie
Sie, in die Welt gesetzt hat.

Der Fürst und sein Hofnarr.

Ein Fürst hatte auf einer Reise im Winter sei-
nen Hofnarren mitgenommen, der ihm unter Weges
die lange Weile durch seine Possen vertreiben sollte.
Jndessen machte es der Narr zu arg; er scherzte so
lange, bis die fürstliche Geduld riß, und ihm sein
Gebieter befahl, zur Strafe während der nächsten
Meile in puris naturalibus auf dem Kutschbocke zu
sitzen. Kein Protestiren half, der Narr mußte dem
gnädigsten Befehle gehorchen.

Die Meile war zurückgelegt, und dem Märterer



iſt Jhnen, fragte ſein Gaſt, ich ſehe, daß Sie wei-
nen. Der Wirth, der ſeinem unwillkommenen Gaſt
einen Poſſen ſpielen wollte, unterdrückte ſeinen
Schmerz, und ſprach: Dieſe Thränen fließen dem
Andenken meines Vaters; dieſe Suppe war ſein
Leibgericht, und ich kann ſie nicht ſehen, ohne über
ihn zu weinen. Der arme Pole ſagte einige Worte
des Troſtes, griff ganz unbefangen zu ſeinem Löffel,
und — hatte gleiches Schickſal mit ſeinem Wirthe.
Aber was iſt euch denn, fragte dieſer, als er ſeine
Thränen gleichfalls rinnen ſah, ihr weint ja auch?
Ach, ſprach der Jude, ich weine ebenfalls über Jhren
Vater, und zwar, daß er einen ſolchen Schelm, wie
Sie, in die Welt geſetzt hat.

Der Fuͤrſt und ſein Hofnarr.

Ein Fürſt hatte auf einer Reiſe im Winter ſei-
nen Hofnarren mitgenommen, der ihm unter Weges
die lange Weile durch ſeine Poſſen vertreiben ſollte.
Jndeſſen machte es der Narr zu arg; er ſcherzte ſo
lange, bis die fürſtliche Geduld riß, und ihm ſein
Gebieter befahl, zur Strafe während der nächſten
Meile in puris naturalibus auf dem Kutſchbocke zu
ſitzen. Kein Proteſtiren half, der Narr mußte dem
gnädigſten Befehle gehorchen.

Die Meile war zurückgelegt, und dem Märterer

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[36/0052] iſt Jhnen, fragte ſein Gaſt, ich ſehe, daß Sie wei- nen. Der Wirth, der ſeinem unwillkommenen Gaſt einen Poſſen ſpielen wollte, unterdrückte ſeinen Schmerz, und ſprach: Dieſe Thränen fließen dem Andenken meines Vaters; dieſe Suppe war ſein Leibgericht, und ich kann ſie nicht ſehen, ohne über ihn zu weinen. Der arme Pole ſagte einige Worte des Troſtes, griff ganz unbefangen zu ſeinem Löffel, und — hatte gleiches Schickſal mit ſeinem Wirthe. Aber was iſt euch denn, fragte dieſer, als er ſeine Thränen gleichfalls rinnen ſah, ihr weint ja auch? Ach, ſprach der Jude, ich weine ebenfalls über Jhren Vater, und zwar, daß er einen ſolchen Schelm, wie Sie, in die Welt geſetzt hat. Der Fuͤrſt und ſein Hofnarr. Ein Fürſt hatte auf einer Reiſe im Winter ſei- nen Hofnarren mitgenommen, der ihm unter Weges die lange Weile durch ſeine Poſſen vertreiben ſollte. Jndeſſen machte es der Narr zu arg; er ſcherzte ſo lange, bis die fürſtliche Geduld riß, und ihm ſein Gebieter befahl, zur Strafe während der nächſten Meile in puris naturalibus auf dem Kutſchbocke zu ſitzen. Kein Proteſtiren half, der Narr mußte dem gnädigſten Befehle gehorchen. Die Meile war zurückgelegt, und dem Märterer

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Zitationshilfe: Wolff, Sabattia Joseph: Ausverkauf meiner schriftstellerischen Arbeiten. Berlin, 1824, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_ausverkauf_1824/52>, abgerufen am 05.05.2024.