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Wolff, Christian von: Der Anfangs-Gründe Aller Mathematischen Wissenschafften. Bd. 1. Halle (Saale), 1710.

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von der Mathem. Methode.
pherie gezogen werden/ einander gleich sind.
Hingegen ein Grundsatz von der andern Art
ist/ der aus der Erklährung der geraden Linie
fliesset/ daß nemlich von einem jeden Puncte
zu jedem Puncte eine gerade Linie könne ge-
zogen werden. Jm lateinischen nennet man
die Grundsätze der ersten Art Axiomata; die
Grundsätze aber der andern Art Postulata.
Jch habe es nicht vor nöthig erachtet diesel-
ben von eiander zu unterscheiden/ weil beyde
auf einerley Art aus den Erklährungen ent-
springen/ und also wesentlich mit einander ü-
bereinkommen.

§. 29. Weil nun die Grundsätze unmittel-Warum
sie keinen
Beweiß
erfodern.

bahr aus den Erklährungen gezogen werden/
haben sie keines Beweises nöthig/ sondern ih-
re Wahrheit erhellet/ so bald man die Erkläh-
rungen ansiehet/ daraus sie fliessen. Man
kan demnach nicht ehe versichert seyn/ ob der
Grundsatz wahr sey oder nicht/ biß man die
Möglichkeit der Erklährungen untersuchet
hat. Sonst weiß man nichts/ als daß die
Grundsätze richtig sind/ wofern die Erklährun-
gen möglich sind.

§. 30. Mit den Grundsätzen werden un-Was Er-
fahrun-
gen sind.

terweilen die Erfahrungen verworren. Man
nennet aber eine Erfahrung dasjenige/ wel-
ches man erkennet/ wenn man auf seine Em-
pfindungen acht hat. Z. E. ich sehe/ daß/
wenn ein Licht angezündet wird/ alle Dinge
die um mich sind/ sichtbahr werden/ diese Er-
käntnis wird eine Erfährung genennet.

§. 31.

von der Mathem. Methode.
pherie gezogen werden/ einander gleich ſind.
Hingegen ein Grundſatz von der andern Art
iſt/ der aus der Erklaͤhrung der geraden Linie
flieſſet/ daß nemlich von einem jeden Puncte
zu jedem Puncte eine gerade Linie koͤnne ge-
zogen werden. Jm lateiniſchen nennet man
die Grundſaͤtze der erſten Art Axiomata; die
Grundſaͤtze aber der andern Art Poſtulata.
Jch habe es nicht vor noͤthig erachtet dieſel-
ben von eiander zu unterſcheiden/ weil beyde
auf einerley Art aus den Erklaͤhrungen ent-
ſpringen/ und alſo weſentlich mit einander uͤ-
bereinkommen.

§. 29. Weil nun die Grundſaͤtze unmittel-Warum
ſie keinen
Beweiß
erfodern.

bahr aus den Erklaͤhrungen gezogen werden/
haben ſie keines Beweiſes noͤthig/ ſondern ih-
re Wahrheit erhellet/ ſo bald man die Erklaͤh-
rungen anſiehet/ daraus ſie flieſſen. Man
kan demnach nicht ehe verſichert ſeyn/ ob der
Grundſatz wahr ſey oder nicht/ biß man die
Moͤglichkeit der Erklaͤhrungen unterſuchet
hat. Sonſt weiß man nichts/ als daß die
Grundſaͤtze richtig ſind/ wofern die Erklaͤhrun-
gen moͤglich ſind.

§. 30. Mit den Grundſaͤtzen werden un-Was Er-
fahrun-
gen ſind.

terweilen die Erfahrungen verworren. Man
nennet aber eine Erfahrung dasjenige/ wel-
ches man erkennet/ wenn man auf ſeine Em-
pfindungen acht hat. Z. E. ich ſehe/ daß/
wenn ein Licht angezuͤndet wird/ alle Dinge
die um mich ſind/ ſichtbahr werden/ dieſe Er-
kaͤntnis wird eine Erfaͤhrung genennet.

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[15/0035] von der Mathem. Methode. pherie gezogen werden/ einander gleich ſind. Hingegen ein Grundſatz von der andern Art iſt/ der aus der Erklaͤhrung der geraden Linie flieſſet/ daß nemlich von einem jeden Puncte zu jedem Puncte eine gerade Linie koͤnne ge- zogen werden. Jm lateiniſchen nennet man die Grundſaͤtze der erſten Art Axiomata; die Grundſaͤtze aber der andern Art Poſtulata. Jch habe es nicht vor noͤthig erachtet dieſel- ben von eiander zu unterſcheiden/ weil beyde auf einerley Art aus den Erklaͤhrungen ent- ſpringen/ und alſo weſentlich mit einander uͤ- bereinkommen. §. 29. Weil nun die Grundſaͤtze unmittel- bahr aus den Erklaͤhrungen gezogen werden/ haben ſie keines Beweiſes noͤthig/ ſondern ih- re Wahrheit erhellet/ ſo bald man die Erklaͤh- rungen anſiehet/ daraus ſie flieſſen. Man kan demnach nicht ehe verſichert ſeyn/ ob der Grundſatz wahr ſey oder nicht/ biß man die Moͤglichkeit der Erklaͤhrungen unterſuchet hat. Sonſt weiß man nichts/ als daß die Grundſaͤtze richtig ſind/ wofern die Erklaͤhrun- gen moͤglich ſind. Warum ſie keinen Beweiß erfodern. §. 30. Mit den Grundſaͤtzen werden un- terweilen die Erfahrungen verworren. Man nennet aber eine Erfahrung dasjenige/ wel- ches man erkennet/ wenn man auf ſeine Em- pfindungen acht hat. Z. E. ich ſehe/ daß/ wenn ein Licht angezuͤndet wird/ alle Dinge die um mich ſind/ ſichtbahr werden/ dieſe Er- kaͤntnis wird eine Erfaͤhrung genennet. Was Er- fahrun- gen ſind. §. 31.

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Der Anfangs-Gründe Aller Mathematischen Wissenschafften. Bd. 1. Halle (Saale), 1710. , S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_anfangsgruende01_1710/35>, abgerufen am 21.11.2024.