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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst unter den Phöniciern etc.

Ihr Handel gieng durch alle Welt, und es werden die Arbeiten ihrer
Künstler allenthalben umher geführet worden seyn. Selbst in Griechenland
auf den Inseln, welche die Phönicier in den ältesten Zeiten besaßen, hatten sie
Tempel gebauet: auf der Insel Thasos 1) den Tempel des Hercules, welcher
noch älter war, als der Griechische Hercules. Es wäre daher wahrschein-
lich, daß die Phönicier, welche unter die Griechen 2) die Wissenschaften
eingeführet, auch die Künste, die bey ihnen zeitiger mußten geblühet haben,
in Griechenland gepflanzet hätten, wenn andere oben gegebene Nachrichten
damit bestehen könnten. Besonders zu merken ist, daß Appianus von 3)
Jonischen Säulen am Arsenale im Hafen zu Carthago Meldung thut. Mit
den Hetruriern hatten die Phönicier noch größere 4) Gemeinschaft, und jene
waren unter andern mit den Carthaginensern verbunden, da diese zur See
vom Könige Hiero zu Syracus geschlagen wurden.

Bey jenem so wohl als diesem Volke sind die geflügelten Gottheiten ge-B.
Von Bildung
ihrer Gott-
heiten.

mein, doch sind die Phönicischen Gottheiten vielmehr nach Aegyptischer Art
geflügelt, das ist, mit Flügeln unter den Hüften, welche von da bis auf die
Füße die Figuren überschatten, wie wir auf Münzen der Insel Maltha 5)
sehen, welche die Carthaginenser 6) besaßen: so daß es scheinen könnte, die
Phönicier hätten von den Aegyptern gelernet. Die Carthaginensischen
Künstler aber können auch durch die Griechischen Werke der Kunst, welche
sie aus Sicilien wegführeten, erleuchtet seyn; diese ließ Scipio 7) nach der
Eroberung von Carthago wiederum zurück schicken.

Von Werken der Phönicischen Kunst aber ist uns nichts übrig geblie-C.
Von Werken
ihrer Kunst.

ben, als Carthaginensische Münzen, welche in Spanien, Maltha und Si-
cilien gepräget worden. Von den ersten Münzen befinden sich zehen Stücke

von
1) Herodot. L. 2. p. 67. l. 34.
2) Ibid. L. 5. p. 194. l. 22.
3) Libyc. p. 45. l. 8.
4) Herodot. L. 6. p. 214. l. 22.
5) v. Descript. des pier. grav. du Cab. de Stosch, Pref. p. XVIII.
6) Liv. L. 21. c. 51.
7) Appian. Libyc. p. 59. l. 38.
Von der Kunſt unter den Phoͤniciern ꝛc.

Ihr Handel gieng durch alle Welt, und es werden die Arbeiten ihrer
Kuͤnſtler allenthalben umher gefuͤhret worden ſeyn. Selbſt in Griechenland
auf den Inſeln, welche die Phoͤnicier in den aͤlteſten Zeiten beſaßen, hatten ſie
Tempel gebauet: auf der Inſel Thaſos 1) den Tempel des Hercules, welcher
noch aͤlter war, als der Griechiſche Hercules. Es waͤre daher wahrſchein-
lich, daß die Phoͤnicier, welche unter die Griechen 2) die Wiſſenſchaften
eingefuͤhret, auch die Kuͤnſte, die bey ihnen zeitiger mußten gebluͤhet haben,
in Griechenland gepflanzet haͤtten, wenn andere oben gegebene Nachrichten
damit beſtehen koͤnnten. Beſonders zu merken iſt, daß Appianus von 3)
Joniſchen Saͤulen am Arſenale im Hafen zu Carthago Meldung thut. Mit
den Hetruriern hatten die Phoͤnicier noch groͤßere 4) Gemeinſchaft, und jene
waren unter andern mit den Carthaginenſern verbunden, da dieſe zur See
vom Koͤnige Hiero zu Syracus geſchlagen wurden.

Bey jenem ſo wohl als dieſem Volke ſind die gefluͤgelten Gottheiten ge-B.
Von Bildung
ihrer Gott-
heiten.

mein, doch ſind die Phoͤniciſchen Gottheiten vielmehr nach Aegyptiſcher Art
gefluͤgelt, das iſt, mit Fluͤgeln unter den Huͤften, welche von da bis auf die
Fuͤße die Figuren uͤberſchatten, wie wir auf Muͤnzen der Inſel Maltha 5)
ſehen, welche die Carthaginenſer 6) beſaßen: ſo daß es ſcheinen koͤnnte, die
Phoͤnicier haͤtten von den Aegyptern gelernet. Die Carthaginenſiſchen
Kuͤnſtler aber koͤnnen auch durch die Griechiſchen Werke der Kunſt, welche
ſie aus Sicilien wegfuͤhreten, erleuchtet ſeyn; dieſe ließ Scipio 7) nach der
Eroberung von Carthago wiederum zuruͤck ſchicken.

Von Werken der Phoͤniciſchen Kunſt aber iſt uns nichts uͤbrig geblie-C.
Von Werken
ihrer Kunſt.

ben, als Carthaginenſiſche Muͤnzen, welche in Spanien, Maltha und Si-
cilien gepraͤget worden. Von den erſten Muͤnzen befinden ſich zehen Stuͤcke

von
1) Herodot. L. 2. p. 67. l. 34.
2) Ibid. L. 5. p. 194. l. 22.
3) Libyc. p. 45. l. 8.
4) Herodot. L. 6. p. 214. l. 22.
5) v. Deſcript. des pier. grav. du Cab. de Stoſch, Pref. p. XVIII.
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7) Appian. Libyc. p. 59. l. 38.
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[71/0121] Von der Kunſt unter den Phoͤniciern ꝛc. Ihr Handel gieng durch alle Welt, und es werden die Arbeiten ihrer Kuͤnſtler allenthalben umher gefuͤhret worden ſeyn. Selbſt in Griechenland auf den Inſeln, welche die Phoͤnicier in den aͤlteſten Zeiten beſaßen, hatten ſie Tempel gebauet: auf der Inſel Thaſos 1) den Tempel des Hercules, welcher noch aͤlter war, als der Griechiſche Hercules. Es waͤre daher wahrſchein- lich, daß die Phoͤnicier, welche unter die Griechen 2) die Wiſſenſchaften eingefuͤhret, auch die Kuͤnſte, die bey ihnen zeitiger mußten gebluͤhet haben, in Griechenland gepflanzet haͤtten, wenn andere oben gegebene Nachrichten damit beſtehen koͤnnten. Beſonders zu merken iſt, daß Appianus von 3) Joniſchen Saͤulen am Arſenale im Hafen zu Carthago Meldung thut. Mit den Hetruriern hatten die Phoͤnicier noch groͤßere 4) Gemeinſchaft, und jene waren unter andern mit den Carthaginenſern verbunden, da dieſe zur See vom Koͤnige Hiero zu Syracus geſchlagen wurden. Bey jenem ſo wohl als dieſem Volke ſind die gefluͤgelten Gottheiten ge- mein, doch ſind die Phoͤniciſchen Gottheiten vielmehr nach Aegyptiſcher Art gefluͤgelt, das iſt, mit Fluͤgeln unter den Huͤften, welche von da bis auf die Fuͤße die Figuren uͤberſchatten, wie wir auf Muͤnzen der Inſel Maltha 5) ſehen, welche die Carthaginenſer 6) beſaßen: ſo daß es ſcheinen koͤnnte, die Phoͤnicier haͤtten von den Aegyptern gelernet. Die Carthaginenſiſchen Kuͤnſtler aber koͤnnen auch durch die Griechiſchen Werke der Kunſt, welche ſie aus Sicilien wegfuͤhreten, erleuchtet ſeyn; dieſe ließ Scipio 7) nach der Eroberung von Carthago wiederum zuruͤck ſchicken. B. Von Bildung ihrer Gott- heiten. Von Werken der Phoͤniciſchen Kunſt aber iſt uns nichts uͤbrig geblie- ben, als Carthaginenſiſche Muͤnzen, welche in Spanien, Maltha und Si- cilien gepraͤget worden. Von den erſten Muͤnzen befinden ſich zehen Stuͤcke von C. Von Werken ihrer Kunſt. 1) Herodot. L. 2. p. 67. l. 34. 2) Ibid. L. 5. p. 194. l. 22. 3) Libyc. p. 45. l. 8. 4) Herodot. L. 6. p. 214. l. 22. 5) v. Deſcript. des pier. grav. du Cab. de Stoſch, Pref. p. XVIII. 6) Liv. L. 21. c. 51. 7) Appian. Libyc. p. 59. l. 38.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/121>, abgerufen am 21.11.2024.