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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Vorrede.
ton in Engeland, die von Carry Creed auf vierzig Blätter in
groß Quart schlecht genug geätzet sind, sollen vier von einem Grie-
chischen Meister Cleomenes seyn. Man muß sich wundern über
die Zuversicht auf die Leichtgläubigkeit der Menschen, wenn eben
daselbst vorgegeben wird 1), daß ein Marcus Curtius zu Pferde
von einem Bildhauer gearbeitet worden, welchen Polybius, (ich
vermuthe, der Feldherr des Achäischen Bundes und Geschicht-
schreiber,) von Corinth mit nach Rom gebracht habe: es wäre
nicht viel unverschämter gewesen, vorzugeben, daß er den Künst-
ler nach Wilton geschicket habe.

Richardson hat die Palläste und Villen in Rom, und die
Statuen in denselben, beschrieben, wie einer, dem sie nur im
Traume erschienen sind: viele Palläste hat er wegen seines kurzen
Aufenthalts in Rom gar nicht gesehen, und einige, nach seinem
eigenen Geständnisse, nur ein einzigesmal; und dennoch ist sein
Buch bey vielen Mängeln und Fehlern das beste, was wir haben.
Man muß es so genau nicht nehmen, wenn er eine neue Malerey,
in Fresco und von Guido gemacht, für alt angesehen 2). Keyß-
lers
Reisen sind in dem, was er von Werken der Kunst in Rom
und an andern Orten anführet, nicht einmal in Betrachtung zu
ziehen: denn er hat dazu die elendesten Bücher abgeschrieben.
Manilli hat mit großem Fleiße ein besonderes Buch von der
Villa Borghese gemacht, und dennoch hat er drey sehr merkwür-
dige Stücke in derselben nicht angeführet: das eine ist die Ankunft
der Königinn der Amazonen Penthesilea beym Priamus in Troja,
dem sie sich erbiethet beyzustehen; das andere ist Hebe, welche ih-
res Amts, die Ambrosia den Göttern zu reichen, war beraubet

worden,
1) pl. 15. Curtius Bassorilievo. The Sculptor brought to Rome by Polybius
from Corinth.
2) Trait. de Peint. T. 2. p. 275.

Vorrede.
ton in Engeland, die von Carry Creed auf vierzig Blaͤtter in
groß Quart ſchlecht genug geaͤtzet ſind, ſollen vier von einem Grie-
chiſchen Meiſter Cleomenes ſeyn. Man muß ſich wundern uͤber
die Zuverſicht auf die Leichtglaͤubigkeit der Menſchen, wenn eben
daſelbſt vorgegeben wird 1), daß ein Marcus Curtius zu Pferde
von einem Bildhauer gearbeitet worden, welchen Polybius, (ich
vermuthe, der Feldherr des Achaͤiſchen Bundes und Geſchicht-
ſchreiber,) von Corinth mit nach Rom gebracht habe: es waͤre
nicht viel unverſchaͤmter geweſen, vorzugeben, daß er den Kuͤnſt-
ler nach Wilton geſchicket habe.

Richardſon hat die Pallaͤſte und Villen in Rom, und die
Statuen in denſelben, beſchrieben, wie einer, dem ſie nur im
Traume erſchienen ſind: viele Pallaͤſte hat er wegen ſeines kurzen
Aufenthalts in Rom gar nicht geſehen, und einige, nach ſeinem
eigenen Geſtaͤndniſſe, nur ein einzigesmal; und dennoch iſt ſein
Buch bey vielen Maͤngeln und Fehlern das beſte, was wir haben.
Man muß es ſo genau nicht nehmen, wenn er eine neue Malerey,
in Freſco und von Guido gemacht, fuͤr alt angeſehen 2). Keyß-
lers
Reiſen ſind in dem, was er von Werken der Kunſt in Rom
und an andern Orten anfuͤhret, nicht einmal in Betrachtung zu
ziehen: denn er hat dazu die elendeſten Buͤcher abgeſchrieben.
Manilli hat mit großem Fleiße ein beſonderes Buch von der
Villa Borgheſe gemacht, und dennoch hat er drey ſehr merkwuͤr-
dige Stuͤcke in derſelben nicht angefuͤhret: das eine iſt die Ankunft
der Koͤniginn der Amazonen Pentheſilea beym Priamus in Troja,
dem ſie ſich erbiethet beyzuſtehen; das andere iſt Hebe, welche ih-
res Amts, die Ambroſia den Goͤttern zu reichen, war beraubet

worden,
1) pl. 15. Curtius Baſſorilievo. The Sculptor brought to Rome by Polybius
from Corinth.
2) Trait. de Peint. T. 2. p. 275.
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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. XIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/12>, abgerufen am 24.11.2024.