Wildermuth, Ottilie: Streit in der Liebe und Liebe im Streit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 175–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sieben Säu', rühmte Liesbeth dagegen, ihres Übergewichts gewiß. Sie war nie mit andern Kindern herumgesprungen, um ja nicht Kleider und Schuhe zu zerreißen, und je älter sie wurde, desto vorherrschender wurde dieser praktische Sinn. Man sagte ihr nach, sie gehe barfuß, sobald sie vor dem Dorf sei, um ihre Schuhe zu schonen, und wo sie im Grasen gewesen, da sei der Boden wie vom Barbier rasiert. Georg dagegen war ein sorgloser, leichtsinniger Bursch, dem Alles, was theuer war, am besten gefiel und am besten schmeckte, rasch, hitzig und unbedacht, ein "Schußbartle" nach dem Volksausdruck, und gescheidte Leute meinten, er und Liesbeth paßten nimmermehr zusammen, sie seien gar zu zweierlei; noch gescheidtere fanden das eben gut: Die können einander helfen; was er verthut, das kann sie hereinhausen. In Wahrheit konnten die Zwei nicht von einander lassen, wie oft sie sich auch gegenseitig erzürnten. Georg verhöhnte Liesbeth, wo er konnte, wegen ihrer Sparsamkeit: einmal lud er ein Dutzend junge Bursche und Mädchen in ihrem Namen zum Karz (Spinnstube) ein. Liesbeth spann eben im Mondlicht wie das Waldfräulein, aber nicht aus Romantik, sondern um Öl zu sparen, da polterten ihre ungeahnten Gäste herein und lachten hell auf, als nicht einmal Licht in der Stube war; Georg kam hintendrein und klärte den Spaß auf, Liesbeth aber mußte, wohl oder übel, Licht anzünden und Apfelküchlein backen. sieben Säu', rühmte Liesbeth dagegen, ihres Übergewichts gewiß. Sie war nie mit andern Kindern herumgesprungen, um ja nicht Kleider und Schuhe zu zerreißen, und je älter sie wurde, desto vorherrschender wurde dieser praktische Sinn. Man sagte ihr nach, sie gehe barfuß, sobald sie vor dem Dorf sei, um ihre Schuhe zu schonen, und wo sie im Grasen gewesen, da sei der Boden wie vom Barbier rasiert. Georg dagegen war ein sorgloser, leichtsinniger Bursch, dem Alles, was theuer war, am besten gefiel und am besten schmeckte, rasch, hitzig und unbedacht, ein „Schußbartle“ nach dem Volksausdruck, und gescheidte Leute meinten, er und Liesbeth paßten nimmermehr zusammen, sie seien gar zu zweierlei; noch gescheidtere fanden das eben gut: Die können einander helfen; was er verthut, das kann sie hereinhausen. In Wahrheit konnten die Zwei nicht von einander lassen, wie oft sie sich auch gegenseitig erzürnten. Georg verhöhnte Liesbeth, wo er konnte, wegen ihrer Sparsamkeit: einmal lud er ein Dutzend junge Bursche und Mädchen in ihrem Namen zum Karz (Spinnstube) ein. Liesbeth spann eben im Mondlicht wie das Waldfräulein, aber nicht aus Romantik, sondern um Öl zu sparen, da polterten ihre ungeahnten Gäste herein und lachten hell auf, als nicht einmal Licht in der Stube war; Georg kam hintendrein und klärte den Spaß auf, Liesbeth aber mußte, wohl oder übel, Licht anzünden und Apfelküchlein backen. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0014"/> sieben Säu', rühmte Liesbeth dagegen, ihres Übergewichts gewiß. Sie war nie mit andern Kindern herumgesprungen, um ja nicht Kleider und Schuhe zu zerreißen, und je älter sie wurde, desto vorherrschender wurde dieser praktische Sinn. Man sagte ihr nach, sie gehe barfuß, sobald sie vor dem Dorf sei, um ihre Schuhe zu schonen, und wo sie im Grasen gewesen, da sei der Boden wie vom Barbier rasiert.</p><lb/> <p>Georg dagegen war ein sorgloser, leichtsinniger Bursch, dem Alles, was theuer war, am besten gefiel und am besten schmeckte, rasch, hitzig und unbedacht, ein „Schußbartle“ nach dem Volksausdruck, und gescheidte Leute meinten, er und Liesbeth paßten nimmermehr zusammen, sie seien gar zu zweierlei; noch gescheidtere fanden das eben gut: Die können einander helfen; was er verthut, das kann sie hereinhausen.</p><lb/> <p>In Wahrheit konnten die Zwei nicht von einander lassen, wie oft sie sich auch gegenseitig erzürnten. Georg verhöhnte Liesbeth, wo er konnte, wegen ihrer Sparsamkeit: einmal lud er ein Dutzend junge Bursche und Mädchen in ihrem Namen zum Karz (Spinnstube) ein. Liesbeth spann eben im Mondlicht wie das Waldfräulein, aber nicht aus Romantik, sondern um Öl zu sparen, da polterten ihre ungeahnten Gäste herein und lachten hell auf, als nicht einmal Licht in der Stube war; Georg kam hintendrein und klärte den Spaß auf, Liesbeth aber mußte, wohl oder übel, Licht anzünden und Apfelküchlein backen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
sieben Säu', rühmte Liesbeth dagegen, ihres Übergewichts gewiß. Sie war nie mit andern Kindern herumgesprungen, um ja nicht Kleider und Schuhe zu zerreißen, und je älter sie wurde, desto vorherrschender wurde dieser praktische Sinn. Man sagte ihr nach, sie gehe barfuß, sobald sie vor dem Dorf sei, um ihre Schuhe zu schonen, und wo sie im Grasen gewesen, da sei der Boden wie vom Barbier rasiert.
Georg dagegen war ein sorgloser, leichtsinniger Bursch, dem Alles, was theuer war, am besten gefiel und am besten schmeckte, rasch, hitzig und unbedacht, ein „Schußbartle“ nach dem Volksausdruck, und gescheidte Leute meinten, er und Liesbeth paßten nimmermehr zusammen, sie seien gar zu zweierlei; noch gescheidtere fanden das eben gut: Die können einander helfen; was er verthut, das kann sie hereinhausen.
In Wahrheit konnten die Zwei nicht von einander lassen, wie oft sie sich auch gegenseitig erzürnten. Georg verhöhnte Liesbeth, wo er konnte, wegen ihrer Sparsamkeit: einmal lud er ein Dutzend junge Bursche und Mädchen in ihrem Namen zum Karz (Spinnstube) ein. Liesbeth spann eben im Mondlicht wie das Waldfräulein, aber nicht aus Romantik, sondern um Öl zu sparen, da polterten ihre ungeahnten Gäste herein und lachten hell auf, als nicht einmal Licht in der Stube war; Georg kam hintendrein und klärte den Spaß auf, Liesbeth aber mußte, wohl oder übel, Licht anzünden und Apfelküchlein backen.
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Zitationshilfe: | Wildermuth, Ottilie: Streit in der Liebe und Liebe im Streit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 175–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wildermuth_streit_1910/14>, abgerufen am 28.07.2024. |