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Wildermuth, Ottilie: Streit in der Liebe und Liebe im Streit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 175–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Vieh zum Brunnen treiben wollte, waren ihr Andre zuvor gekommen und wollten nicht Platz machen, da bemerkte Georg ihre Verlegenheit und brach wie der rasende Roland mit lautem Geschrei unter das Vieh der Andern, das wie toll nach allen Seiten hinaussprang, so daß durchs ganze Dorf ein Rennen und Zetergeschrei anging, und führte siegreich Liesbeth's Kühe zum Brunnen. Er stahl auch der Frau Pfarrerin die schönsten Rosen, um sie Liesbeth zum Kirchgang zu bringen; diese aber, die den Diebstahl ahnte, wies das Sträußchen patzig zurück, und Georg warf zur Rache die Fenster ihres Kämmerleins mit den schönsten Äpfeln ein, die seine Mutter noch als Rarität gespart hatte.



Streit in der Liebe.

Die Kinder wuchsen zu Leuten heran, Georg als ein stämmiger, etwas untersetzter Bursch mit offenen, frischem Gesicht, Liesbeth als ein feines, sauberes Mädchen, schlank von Wuchs und gar pünktlich und sorgsam in ihrem Anzug, der aber in keiner Linie die Kleiderordnung einer rechten Bäuerin überschritt. Wie die meisten Dorfkinder war sie sehr früh in alle materiellen Interessen des Lebens eingeweiht worden und wußte den Werth des Besitzes als Kind schon gar wohl zu schätzen. Das Pfarrtöchterlein, deren Elternhaus nie leer von Gästen wurde, erzählte ihr einmal vergnügt: Denk nur, wir haben sechs Onkel -- Und mir hend

Vieh zum Brunnen treiben wollte, waren ihr Andre zuvor gekommen und wollten nicht Platz machen, da bemerkte Georg ihre Verlegenheit und brach wie der rasende Roland mit lautem Geschrei unter das Vieh der Andern, das wie toll nach allen Seiten hinaussprang, so daß durchs ganze Dorf ein Rennen und Zetergeschrei anging, und führte siegreich Liesbeth's Kühe zum Brunnen. Er stahl auch der Frau Pfarrerin die schönsten Rosen, um sie Liesbeth zum Kirchgang zu bringen; diese aber, die den Diebstahl ahnte, wies das Sträußchen patzig zurück, und Georg warf zur Rache die Fenster ihres Kämmerleins mit den schönsten Äpfeln ein, die seine Mutter noch als Rarität gespart hatte.



Streit in der Liebe.

Die Kinder wuchsen zu Leuten heran, Georg als ein stämmiger, etwas untersetzter Bursch mit offenen, frischem Gesicht, Liesbeth als ein feines, sauberes Mädchen, schlank von Wuchs und gar pünktlich und sorgsam in ihrem Anzug, der aber in keiner Linie die Kleiderordnung einer rechten Bäuerin überschritt. Wie die meisten Dorfkinder war sie sehr früh in alle materiellen Interessen des Lebens eingeweiht worden und wußte den Werth des Besitzes als Kind schon gar wohl zu schätzen. Das Pfarrtöchterlein, deren Elternhaus nie leer von Gästen wurde, erzählte ihr einmal vergnügt: Denk nur, wir haben sechs Onkel — Und mir hend

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[0013] Vieh zum Brunnen treiben wollte, waren ihr Andre zuvor gekommen und wollten nicht Platz machen, da bemerkte Georg ihre Verlegenheit und brach wie der rasende Roland mit lautem Geschrei unter das Vieh der Andern, das wie toll nach allen Seiten hinaussprang, so daß durchs ganze Dorf ein Rennen und Zetergeschrei anging, und führte siegreich Liesbeth's Kühe zum Brunnen. Er stahl auch der Frau Pfarrerin die schönsten Rosen, um sie Liesbeth zum Kirchgang zu bringen; diese aber, die den Diebstahl ahnte, wies das Sträußchen patzig zurück, und Georg warf zur Rache die Fenster ihres Kämmerleins mit den schönsten Äpfeln ein, die seine Mutter noch als Rarität gespart hatte. Streit in der Liebe. Die Kinder wuchsen zu Leuten heran, Georg als ein stämmiger, etwas untersetzter Bursch mit offenen, frischem Gesicht, Liesbeth als ein feines, sauberes Mädchen, schlank von Wuchs und gar pünktlich und sorgsam in ihrem Anzug, der aber in keiner Linie die Kleiderordnung einer rechten Bäuerin überschritt. Wie die meisten Dorfkinder war sie sehr früh in alle materiellen Interessen des Lebens eingeweiht worden und wußte den Werth des Besitzes als Kind schon gar wohl zu schätzen. Das Pfarrtöchterlein, deren Elternhaus nie leer von Gästen wurde, erzählte ihr einmal vergnügt: Denk nur, wir haben sechs Onkel — Und mir hend

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:35:23Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:35:23Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Wildermuth, Ottilie: Streit in der Liebe und Liebe im Streit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 175–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wildermuth_streit_1910/13>, abgerufen am 28.03.2024.