Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wildermuth, Ottilie: Streit in der Liebe und Liebe im Streit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 175–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

krebsrothen Bändern zu stehlen, das weiß kein Mensch, aber aus dem Kamin des ärmlichen Häuschens, das die blutarme Schwester der Müllerin bewohnte, ragte eines schönen Morgens eine lange Stange mit einem Strohkopf, auf dem das obgedachte Prachtstück saß. Einem reichen Weingärtner hatte er im Herbst Fischlein in die Weinbütte praktiziert, was diesen in den schlimmen Verdacht brachte, daß er seinen Wein mit Flußwasser vermehre, und dem Bäcker eine Brille auf den Laden genagelt, damit man seine Wecklein dadurch sehen könne, -- kurz, es gab Wenige im Dorf, die nicht ein Stücklein von seinem Muthwillen erzählen konnten. Und doch war ihm im Grunde keiner feind, wohl aber stimmten Alle betritt überein: "Der stirbt keinen rechten (natürlichen) Tod."

Liesbeth, seines Nachbars Kind, hatte nicht am wenigsten von seinem Mutwillen zu leiden, und doch trugen die Streiche, die er ihr spielte, stets ein gewisses chevalereskes Gepräge, freilich Chevalerie in ihren rohesten Uranfängen. Es war ein altes Familienfest bei Schultheißens, das heißt, das große Schwein wurde geschlachtet, Liesbeth blieb zufällig unter der Hausthüre stehen; willst ums Würste singen? rief ihr Georg herüber. Liesbeth trat beleidigt zurück, das sollte man ihr nicht nachsagen, das war Sache der Bettelkinder. Wie sie aber Abends sich an die Kunkel setzen wollte, war ihr schönes, rothseidenes Band gestohlen und die Kunkel dafür mit Bratwürsten umwunden. Als sie erstmals ihr

krebsrothen Bändern zu stehlen, das weiß kein Mensch, aber aus dem Kamin des ärmlichen Häuschens, das die blutarme Schwester der Müllerin bewohnte, ragte eines schönen Morgens eine lange Stange mit einem Strohkopf, auf dem das obgedachte Prachtstück saß. Einem reichen Weingärtner hatte er im Herbst Fischlein in die Weinbütte praktiziert, was diesen in den schlimmen Verdacht brachte, daß er seinen Wein mit Flußwasser vermehre, und dem Bäcker eine Brille auf den Laden genagelt, damit man seine Wecklein dadurch sehen könne, — kurz, es gab Wenige im Dorf, die nicht ein Stücklein von seinem Muthwillen erzählen konnten. Und doch war ihm im Grunde keiner feind, wohl aber stimmten Alle betritt überein: „Der stirbt keinen rechten (natürlichen) Tod.“

Liesbeth, seines Nachbars Kind, hatte nicht am wenigsten von seinem Mutwillen zu leiden, und doch trugen die Streiche, die er ihr spielte, stets ein gewisses chevalereskes Gepräge, freilich Chevalerie in ihren rohesten Uranfängen. Es war ein altes Familienfest bei Schultheißens, das heißt, das große Schwein wurde geschlachtet, Liesbeth blieb zufällig unter der Hausthüre stehen; willst ums Würste singen? rief ihr Georg herüber. Liesbeth trat beleidigt zurück, das sollte man ihr nicht nachsagen, das war Sache der Bettelkinder. Wie sie aber Abends sich an die Kunkel setzen wollte, war ihr schönes, rothseidenes Band gestohlen und die Kunkel dafür mit Bratwürsten umwunden. Als sie erstmals ihr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <p><pb facs="#f0012"/>
krebsrothen Bändern zu stehlen, das weiß kein Mensch, aber aus dem Kamin des      ärmlichen Häuschens, das die blutarme Schwester der Müllerin bewohnte, ragte eines schönen      Morgens eine lange Stange mit einem Strohkopf, auf dem das obgedachte Prachtstück saß. Einem      reichen Weingärtner hatte er im Herbst Fischlein in die Weinbütte praktiziert, was diesen in      den schlimmen Verdacht brachte, daß er seinen Wein mit Flußwasser vermehre, und dem Bäcker eine      Brille auf den Laden genagelt, damit man seine Wecklein dadurch sehen könne, &#x2014; kurz, es gab      Wenige im Dorf, die nicht ein Stücklein von seinem Muthwillen erzählen konnten. Und doch war      ihm im Grunde keiner feind, wohl aber stimmten Alle betritt überein: &#x201E;Der stirbt keinen rechten      (natürlichen) Tod.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Liesbeth, seines Nachbars Kind, hatte nicht am wenigsten von seinem Mutwillen zu leiden, und      doch trugen die Streiche, die er ihr spielte, stets ein gewisses chevalereskes Gepräge,      freilich Chevalerie in ihren rohesten Uranfängen. Es war ein altes Familienfest bei      Schultheißens, das heißt, das große Schwein wurde geschlachtet, Liesbeth blieb zufällig unter      der Hausthüre stehen; willst ums Würste singen? rief ihr Georg herüber. Liesbeth trat beleidigt      zurück, das sollte man ihr nicht nachsagen, das war Sache der Bettelkinder. Wie sie aber Abends      sich an die Kunkel setzen wollte, war ihr schönes, rothseidenes Band gestohlen und die Kunkel      dafür mit Bratwürsten umwunden. Als sie erstmals ihr<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0012] krebsrothen Bändern zu stehlen, das weiß kein Mensch, aber aus dem Kamin des ärmlichen Häuschens, das die blutarme Schwester der Müllerin bewohnte, ragte eines schönen Morgens eine lange Stange mit einem Strohkopf, auf dem das obgedachte Prachtstück saß. Einem reichen Weingärtner hatte er im Herbst Fischlein in die Weinbütte praktiziert, was diesen in den schlimmen Verdacht brachte, daß er seinen Wein mit Flußwasser vermehre, und dem Bäcker eine Brille auf den Laden genagelt, damit man seine Wecklein dadurch sehen könne, — kurz, es gab Wenige im Dorf, die nicht ein Stücklein von seinem Muthwillen erzählen konnten. Und doch war ihm im Grunde keiner feind, wohl aber stimmten Alle betritt überein: „Der stirbt keinen rechten (natürlichen) Tod.“ Liesbeth, seines Nachbars Kind, hatte nicht am wenigsten von seinem Mutwillen zu leiden, und doch trugen die Streiche, die er ihr spielte, stets ein gewisses chevalereskes Gepräge, freilich Chevalerie in ihren rohesten Uranfängen. Es war ein altes Familienfest bei Schultheißens, das heißt, das große Schwein wurde geschlachtet, Liesbeth blieb zufällig unter der Hausthüre stehen; willst ums Würste singen? rief ihr Georg herüber. Liesbeth trat beleidigt zurück, das sollte man ihr nicht nachsagen, das war Sache der Bettelkinder. Wie sie aber Abends sich an die Kunkel setzen wollte, war ihr schönes, rothseidenes Band gestohlen und die Kunkel dafür mit Bratwürsten umwunden. Als sie erstmals ihr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:35:23Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:35:23Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wildermuth_streit_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wildermuth_streit_1910/12
Zitationshilfe: Wildermuth, Ottilie: Streit in der Liebe und Liebe im Streit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 175–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wildermuth_streit_1910/12>, abgerufen am 23.04.2024.