Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.Das leben des Euripides. Historische studien in gewissem sinne forderte von dem tragiker Die nächsten vorgänger der tragiker waren eigentlich gar nicht die auch nicht von dem dichter Euripides. dass wir an unserm himmel die personen der Euripideischen Andromeda sehen, hat er allerdings bewirkt, aber nur dadurch, dass er eine vorhandene geschichte dramatisirte, deren herkunft unbekannt ist und die über- haupt singulär ist und wenig hellenisch aussieht. gegenüber Euripides sehe man wie Sophokles das überkühne wagnis begeht, die aufzuckenden stralen der morgenröte 'die wimper des tages' zu nennen (Ant. 102) und vom wechselnden monde (fgm. 786), der ewig kreisenden bärin (Tr. 130) ein gleichnis nimmt. 65) Vgl. was unten über Phoinix beigebracht wird. am klarsten ist die geniale
freiheit des dichters im Aiolos. die Odyssee erzählt dass der könig der winde, der auf einsamer insel lebt, seinen söhnen seine töchter zu frauen gegeben hat, ganz unschuldig, wie Adam das auch getan hat. das greift Euripides auf und hängt das ganz moderne problem daran, die geschwisterliebe, die blutschande, das problem das Byron und seine zeit so tief beschäftigt hat, ein problem von ewiger bedeutung. Das leben des Euripides. Historische studien in gewissem sinne forderte von dem tragiker Die nächsten vorgänger der tragiker waren eigentlich gar nicht die auch nicht von dem dichter Euripides. daſs wir an unserm himmel die personen der Euripideischen Andromeda sehen, hat er allerdings bewirkt, aber nur dadurch, daſs er eine vorhandene geschichte dramatisirte, deren herkunft unbekannt ist und die über- haupt singulär ist und wenig hellenisch aussieht. gegenüber Euripides sehe man wie Sophokles das überkühne wagnis begeht, die aufzuckenden stralen der morgenröte ‘die wimper des tages’ zu nennen (Ant. 102) und vom wechselnden monde (fgm. 786), der ewig kreisenden bärin (Tr. 130) ein gleichnis nimmt. 65) Vgl. was unten über Phoinix beigebracht wird. am klarsten ist die geniale
freiheit des dichters im Aiolos. die Odyssee erzählt daſs der könig der winde, der auf einsamer insel lebt, seinen söhnen seine töchter zu frauen gegeben hat, ganz unschuldig, wie Adam das auch getan hat. das greift Euripides auf und hängt das ganz moderne problem daran, die geschwisterliebe, die blutschande, das problem das Byron und seine zeit so tief beschäftigt hat, ein problem von ewiger bedeutung. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0054" n="34"/> <fw place="top" type="header">Das leben des Euripides.</fw><lb/> <p>Historische studien in gewissem sinne forderte von dem tragiker<lb/> sein beruf. denn er behandelte ja einen ὢν λόγος; nur schöpfte er die<lb/> nötige kenntnis in erster linie bei seines gleichen. es versteht sich von<lb/> selbst, daſs Euripides das epos, Homer und Hesiod, in der weise studirt,<lb/> wirklich studirt hat, wie man es damals konnte, an der hand der da-<lb/> maligen Homerphilologen, der rhapsoden. die spuren dieser studien sind<lb/> schon bei Aischylos in seinem eignen wortgebrauche nachweisbar, und<lb/> so bei allen spätern dichtern. der anschluſs an bestimmte einzelne Homer-<lb/> verse ist aber bei Euripides seltener als bei den andern tragikern. auch<lb/> hat er nur im satyrspiel Kyklops eine einfache dramatisirung einer<lb/> homerischen geschichte geliefert, was Aischylos mit dem kernstück der<lb/> Ilias Π—Ω, Sophokles wahrscheinlich mit teilen der Kyprien, der kleinen<lb/> Ilias und Odyssee getan hatte. die Troerinnen vereinen zwar eine anzahl<lb/> scenen der Πέρσις in der art der Vivenziovase, allein der reiz liegt hier<lb/> in der vollkommen verschiedenen beleuchtung, die bei Euripides eine<lb/> troische ist. übrigens ist für uns die vergleichung des dramatischen stoffes<lb/> mit dem epischen nur in den seltensten fällen möglich, da wir die sage<lb/> nur in der fassung zu kennen pflegen, die herrschend ward, und das<lb/> ist die dramatische oder gar eine jüngere, so daſs wir das epos erst<lb/> durch das drama einigermaſsen kennen lernen. nakte facta, wie sie<lb/> z. b. die hypothesen bei Proklos liefern, sind für solche vergleichungen<lb/> unergiebig. daſs aber bei Euripides die epischen stoffe, selbst wenn man<lb/> die kühn umgestalteten mitzählt <note place="foot" n="65)">Vgl. was unten über Phoinix beigebracht wird. am klarsten ist die geniale<lb/> freiheit des dichters im Aiolos. die Odyssee erzählt daſs der könig der winde, der<lb/> auf einsamer insel lebt, seinen söhnen seine töchter zu frauen gegeben hat, ganz<lb/> unschuldig, wie Adam das auch getan hat. das greift Euripides auf und hängt das<lb/> ganz moderne problem daran, die geschwisterliebe, die blutschande, das problem das<lb/> Byron und seine zeit so tief beschäftigt hat, ein problem von ewiger bedeutung.</note>, zurücktreten, lehrt ein blick auf<lb/> Welckers tragödien.</p><lb/> <p>Die nächsten vorgänger der tragiker waren eigentlich gar nicht die<lb/> epiker, sondern die chorischen lyriker, und von deren compositionen<lb/> waren viele, wie die nachbildungen der komödie zeigen, allbekannt,<lb/><note xml:id="note-0054" prev="#note-0053a" place="foot" n="64)">auch nicht von dem dichter Euripides. daſs wir an unserm himmel die personen der<lb/> Euripideischen Andromeda sehen, hat er allerdings bewirkt, aber nur dadurch, daſs er<lb/> eine vorhandene geschichte dramatisirte, deren herkunft unbekannt ist und die über-<lb/> haupt singulär ist und wenig hellenisch aussieht. gegenüber Euripides sehe man<lb/> wie Sophokles das überkühne wagnis begeht, die aufzuckenden stralen der morgenröte<lb/> ‘die wimper des tages’ zu nennen (Ant. 102) und vom wechselnden monde (fgm. 786),<lb/> der ewig kreisenden bärin (Tr. 130) ein gleichnis nimmt.</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [34/0054]
Das leben des Euripides.
Historische studien in gewissem sinne forderte von dem tragiker
sein beruf. denn er behandelte ja einen ὢν λόγος; nur schöpfte er die
nötige kenntnis in erster linie bei seines gleichen. es versteht sich von
selbst, daſs Euripides das epos, Homer und Hesiod, in der weise studirt,
wirklich studirt hat, wie man es damals konnte, an der hand der da-
maligen Homerphilologen, der rhapsoden. die spuren dieser studien sind
schon bei Aischylos in seinem eignen wortgebrauche nachweisbar, und
so bei allen spätern dichtern. der anschluſs an bestimmte einzelne Homer-
verse ist aber bei Euripides seltener als bei den andern tragikern. auch
hat er nur im satyrspiel Kyklops eine einfache dramatisirung einer
homerischen geschichte geliefert, was Aischylos mit dem kernstück der
Ilias Π—Ω, Sophokles wahrscheinlich mit teilen der Kyprien, der kleinen
Ilias und Odyssee getan hatte. die Troerinnen vereinen zwar eine anzahl
scenen der Πέρσις in der art der Vivenziovase, allein der reiz liegt hier
in der vollkommen verschiedenen beleuchtung, die bei Euripides eine
troische ist. übrigens ist für uns die vergleichung des dramatischen stoffes
mit dem epischen nur in den seltensten fällen möglich, da wir die sage
nur in der fassung zu kennen pflegen, die herrschend ward, und das
ist die dramatische oder gar eine jüngere, so daſs wir das epos erst
durch das drama einigermaſsen kennen lernen. nakte facta, wie sie
z. b. die hypothesen bei Proklos liefern, sind für solche vergleichungen
unergiebig. daſs aber bei Euripides die epischen stoffe, selbst wenn man
die kühn umgestalteten mitzählt 65), zurücktreten, lehrt ein blick auf
Welckers tragödien.
Die nächsten vorgänger der tragiker waren eigentlich gar nicht die
epiker, sondern die chorischen lyriker, und von deren compositionen
waren viele, wie die nachbildungen der komödie zeigen, allbekannt,
64)
65) Vgl. was unten über Phoinix beigebracht wird. am klarsten ist die geniale
freiheit des dichters im Aiolos. die Odyssee erzählt daſs der könig der winde, der
auf einsamer insel lebt, seinen söhnen seine töchter zu frauen gegeben hat, ganz
unschuldig, wie Adam das auch getan hat. das greift Euripides auf und hängt das
ganz moderne problem daran, die geschwisterliebe, die blutschande, das problem das
Byron und seine zeit so tief beschäftigt hat, ein problem von ewiger bedeutung.
64) auch nicht von dem dichter Euripides. daſs wir an unserm himmel die personen der
Euripideischen Andromeda sehen, hat er allerdings bewirkt, aber nur dadurch, daſs er
eine vorhandene geschichte dramatisirte, deren herkunft unbekannt ist und die über-
haupt singulär ist und wenig hellenisch aussieht. gegenüber Euripides sehe man
wie Sophokles das überkühne wagnis begeht, die aufzuckenden stralen der morgenröte
‘die wimper des tages’ zu nennen (Ant. 102) und vom wechselnden monde (fgm. 786),
der ewig kreisenden bärin (Tr. 130) ein gleichnis nimmt.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |