Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.philosophia. und muss es bleiben, in wie weit diese einwirkung auch wirklich einepersönliche gewesen ist. denn der leibliche verkehr ist für die einwirkung, die ein denkender mensch durch fremde gedanken erfährt, häufig selbst da unwesentlich, wo er statt hat, und erschliessen lässt er sich aus den werken des beeinflussten nur da, wo entweder persönliches berührt wird, oder aber wo es sich um einen menschen handelt, der vornehm- lich durch die dämonische gewalt seiner person gewirkt hat. dies letztere trifft so stark wie auf kaum einen zweiten sterblichen auf Sokrates zu. aber eben darum würden wir deutliche spuren seines geistes bei Euri- pides antreffen, wenn der immer noch von der gedankenlosigkeit be- hauptete verkehr der beiden grundverschiedenen grossen Athener statt- gefunden hätte. allerdings hat der gleiche hass, den sie gegen die beiden verführer der jugend empfanden, einzelne komiker (doch nicht Aristo- phanes 40) dazu veranlasst, Sokrates an den unsittlichen dramen mithelfen zu lassen, und wie hätte sich die spätere klatschsucht es entgehen lassen sollen, diesen faden weiter zu spinnen 41). indessen hat einer der wenigen kritischen köpfe der griechischen gelehrsamkeit, Panaitios von Rhodos, bereits dieser fabel mit der nötigen entschiedenheit widersprochen, wenn auch nicht ohne selbst bedenkliche hypothesen zuzulassen 42). Sokrates war etwa 10 jahre jünger als Euripides und begann eine 40) Immerhin hat auch bei diesem der unterricht des Sokrates den erfolg, dass der schüler die grossen dichter der vergangenheit für stümper erklärt und für die wagnisse der euripideischen frauenbilder schwärmt. von da aus zu der erfindung der beihilfe des Sokrates ist nur ein schritt. 41) Aelian V H. II 13, erzählt dass Sokrates sonst selten ins theater gieng, aber wenn Euripides kainois tragodois egonizeto oder im Peiraieus aufführte, kam er. diese fabel ist auf die verhältnisse seit der demosthenischen zeit zugeschnitten, wo der unterschied der kainoi tragodoi und der palaia gilt und die Peiraia staatsfest sind; von beidem war zu Euripides zeit keine rede. 42) Panaitios half sich bei stellen wie Frö. 1491, die in wahrheit ganz irre-
levant sind, mit der fiction eines doppelgängers, eteros Sokrates ton peri skenas phluaron. das ist auch in das genos gekommen. denn s. 1, 10 Schw. steht in der zuverlässigsten handschrift (Vat. 1345) Sokrates de eteros auto dokei o philo- sophos kai Mnesilokhos sumpepoiekenai tina. da ist der zusatz eteros o philosophos an verschiedene stellen des textes, dem es übergeschrieben war, hineingeraten. die andern fassungen sind darauf zurückzuführen; in den meisten ist aus eteros etairos geworden und dann Sokrates in den genetiv gesetzt. ein zusatz ist auch 2, 5 gen- nethenai de te aute emera [kai Ellanikon] en e enikon -- oi Ellenes. φιλοσοφία. und muſs es bleiben, in wie weit diese einwirkung auch wirklich einepersönliche gewesen ist. denn der leibliche verkehr ist für die einwirkung, die ein denkender mensch durch fremde gedanken erfährt, häufig selbst da unwesentlich, wo er statt hat, und erschlieſsen läſst er sich aus den werken des beeinfluſsten nur da, wo entweder persönliches berührt wird, oder aber wo es sich um einen menschen handelt, der vornehm- lich durch die dämonische gewalt seiner person gewirkt hat. dies letztere trifft so stark wie auf kaum einen zweiten sterblichen auf Sokrates zu. aber eben darum würden wir deutliche spuren seines geistes bei Euri- pides antreffen, wenn der immer noch von der gedankenlosigkeit be- hauptete verkehr der beiden grundverschiedenen groſsen Athener statt- gefunden hätte. allerdings hat der gleiche haſs, den sie gegen die beiden verführer der jugend empfanden, einzelne komiker (doch nicht Aristo- phanes 40) dazu veranlaſst, Sokrates an den unsittlichen dramen mithelfen zu lassen, und wie hätte sich die spätere klatschsucht es entgehen lassen sollen, diesen faden weiter zu spinnen 41). indessen hat einer der wenigen kritischen köpfe der griechischen gelehrsamkeit, Panaitios von Rhodos, bereits dieser fabel mit der nötigen entschiedenheit widersprochen, wenn auch nicht ohne selbst bedenkliche hypothesen zuzulassen 42). Sokrates war etwa 10 jahre jünger als Euripides und begann eine 40) Immerhin hat auch bei diesem der unterricht des Sokrates den erfolg, daſs der schüler die groſsen dichter der vergangenheit für stümper erklärt und für die wagnisse der euripideischen frauenbilder schwärmt. von da aus zu der erfindung der beihilfe des Sokrates ist nur ein schritt. 41) Aelian V H. II 13, erzählt daſs Sokrates sonst selten ins theater gieng, aber wenn Euripides καινοῖς τραγῳδοῖς ἠγωνίζετο oder im Peiraieus aufführte, kam er. diese fabel ist auf die verhältnisse seit der demosthenischen zeit zugeschnitten, wo der unterschied der καινοὶ τραγῳδοί und der παλαιά gilt und die Πείραια staatsfest sind; von beidem war zu Euripides zeit keine rede. 42) Panaitios half sich bei stellen wie Frö. 1491, die in wahrheit ganz irre-
levant sind, mit der fiction eines doppelgängers, ἕτερος Σωκράτης τῶν περὶ σκηνὰς φλυάρων. das ist auch in das γένος gekommen. denn s. 1, 10 Schw. steht in der zuverlässigsten handschrift (Vat. 1345) Σωκράτης δὲ ἕτερος αὐτῷ δοκεῖ ὁ φιλό- σοφος καὶ Μνησίλοχος ⟨συμ⟩πεποιηκέναι τινά. da ist der zusatz ἕτερος ὁ φιλόσοφος an verschiedene stellen des textes, dem es übergeschrieben war, hineingeraten. die andern fassungen sind darauf zurückzuführen; in den meisten ist aus ἕτερος ἑταῖρος geworden und dann Σωκράτης in den genetiv gesetzt. ein zusatz ist auch 2, 5 γεν- νηϑῆναι δὲ τῇ αὐτῇ ἡμέρᾳ [καὶ Ἑλλάνικον] ἐν ᾗ ἐνίκων — οἱ Ἕλληνες. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0043" n="23"/><fw place="top" type="header">φιλοσοφία.</fw><lb/> und muſs es bleiben, in wie weit diese einwirkung auch wirklich eine<lb/> persönliche gewesen ist. denn der leibliche verkehr ist für die einwirkung,<lb/> die ein denkender mensch durch fremde gedanken erfährt, häufig selbst<lb/> da unwesentlich, wo er statt hat, und erschlieſsen läſst er sich aus<lb/> den werken des beeinfluſsten nur da, wo entweder persönliches berührt<lb/> wird, oder aber wo es sich um einen menschen handelt, der vornehm-<lb/> lich durch die dämonische gewalt seiner person gewirkt hat. dies letztere<lb/> trifft so stark wie auf kaum einen zweiten sterblichen auf Sokrates zu.<lb/> aber eben darum würden wir deutliche spuren seines geistes bei Euri-<lb/> pides antreffen, wenn der immer noch von der gedankenlosigkeit be-<lb/> hauptete verkehr der beiden grundverschiedenen groſsen Athener statt-<lb/> gefunden hätte. allerdings hat der gleiche haſs, den sie gegen die beiden<lb/> verführer der jugend empfanden, einzelne komiker (doch nicht Aristo-<lb/> phanes <note place="foot" n="40)">Immerhin hat auch bei diesem der unterricht des Sokrates den erfolg, daſs<lb/> der schüler die groſsen dichter der vergangenheit für stümper erklärt und für die<lb/> wagnisse der euripideischen frauenbilder schwärmt. von da aus zu der erfindung<lb/> der beihilfe des Sokrates ist nur ein schritt.</note> dazu veranlaſst, Sokrates an den unsittlichen dramen mithelfen<lb/> zu lassen, und wie hätte sich die spätere klatschsucht es entgehen lassen<lb/> sollen, diesen faden weiter zu spinnen <note place="foot" n="41)">Aelian V H. II 13, erzählt daſs Sokrates sonst selten ins theater gieng, aber<lb/> wenn Euripides καινοῖς τραγῳδοῖς ἠγωνίζετο oder im Peiraieus aufführte, kam er.<lb/> diese fabel ist auf die verhältnisse seit der demosthenischen zeit zugeschnitten, wo der<lb/> unterschied der καινοὶ τραγῳδοί und der παλαιά gilt und die Πείραια staatsfest<lb/> sind; von beidem war zu Euripides zeit keine rede.</note>. indessen hat einer der wenigen<lb/> kritischen köpfe der griechischen gelehrsamkeit, Panaitios von Rhodos,<lb/> bereits dieser fabel mit der nötigen entschiedenheit widersprochen, wenn<lb/> auch nicht ohne selbst bedenkliche hypothesen zuzulassen <note place="foot" n="42)">Panaitios half sich bei stellen wie Frö. 1491, die in wahrheit ganz irre-<lb/> levant sind, mit der fiction eines doppelgängers, ἕτερος Σωκράτης τῶν περὶ σκηνὰς<lb/> φλυάρων. das ist auch in das γένος gekommen. denn s. 1, 10 Schw. steht in der<lb/> zuverlässigsten handschrift (Vat. 1345) Σωκράτης δὲ ἕτερος αὐτῷ δοκεῖ ὁ φιλό-<lb/> σοφος καὶ Μνησίλοχος ⟨συμ⟩πεποιηκέναι τινά. da ist der zusatz ἕτερος ὁ φιλόσοφος<lb/> an verschiedene stellen des textes, dem es übergeschrieben war, hineingeraten. die<lb/> andern fassungen sind darauf zurückzuführen; in den meisten ist aus ἕτερος ἑταῖρος<lb/> geworden und dann Σωκράτης in den genetiv gesetzt. ein zusatz ist auch 2, 5 γεν-<lb/> νηϑῆναι δὲ τῇ αὐτῇ ἡμέρᾳ [καὶ Ἑλλάνικον] ἐν ᾗ ἐνίκων — οἱ Ἕλληνες.</note>.</p><lb/> <p>Sokrates war etwa 10 jahre jünger als Euripides und begann eine<lb/> rolle nicht vor 430 zu spielen, als Euripides längst ein innerlich fertiger<lb/> mann war. und wenn sie sich dann etwa bei Alkibiades begegnet sein<lb/> sollten, so haben sie sich abstoſsen müssen. der menschenjäger liegt<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [23/0043]
φιλοσοφία.
und muſs es bleiben, in wie weit diese einwirkung auch wirklich eine
persönliche gewesen ist. denn der leibliche verkehr ist für die einwirkung,
die ein denkender mensch durch fremde gedanken erfährt, häufig selbst
da unwesentlich, wo er statt hat, und erschlieſsen läſst er sich aus
den werken des beeinfluſsten nur da, wo entweder persönliches berührt
wird, oder aber wo es sich um einen menschen handelt, der vornehm-
lich durch die dämonische gewalt seiner person gewirkt hat. dies letztere
trifft so stark wie auf kaum einen zweiten sterblichen auf Sokrates zu.
aber eben darum würden wir deutliche spuren seines geistes bei Euri-
pides antreffen, wenn der immer noch von der gedankenlosigkeit be-
hauptete verkehr der beiden grundverschiedenen groſsen Athener statt-
gefunden hätte. allerdings hat der gleiche haſs, den sie gegen die beiden
verführer der jugend empfanden, einzelne komiker (doch nicht Aristo-
phanes 40) dazu veranlaſst, Sokrates an den unsittlichen dramen mithelfen
zu lassen, und wie hätte sich die spätere klatschsucht es entgehen lassen
sollen, diesen faden weiter zu spinnen 41). indessen hat einer der wenigen
kritischen köpfe der griechischen gelehrsamkeit, Panaitios von Rhodos,
bereits dieser fabel mit der nötigen entschiedenheit widersprochen, wenn
auch nicht ohne selbst bedenkliche hypothesen zuzulassen 42).
Sokrates war etwa 10 jahre jünger als Euripides und begann eine
rolle nicht vor 430 zu spielen, als Euripides längst ein innerlich fertiger
mann war. und wenn sie sich dann etwa bei Alkibiades begegnet sein
sollten, so haben sie sich abstoſsen müssen. der menschenjäger liegt
40) Immerhin hat auch bei diesem der unterricht des Sokrates den erfolg, daſs
der schüler die groſsen dichter der vergangenheit für stümper erklärt und für die
wagnisse der euripideischen frauenbilder schwärmt. von da aus zu der erfindung
der beihilfe des Sokrates ist nur ein schritt.
41) Aelian V H. II 13, erzählt daſs Sokrates sonst selten ins theater gieng, aber
wenn Euripides καινοῖς τραγῳδοῖς ἠγωνίζετο oder im Peiraieus aufführte, kam er.
diese fabel ist auf die verhältnisse seit der demosthenischen zeit zugeschnitten, wo der
unterschied der καινοὶ τραγῳδοί und der παλαιά gilt und die Πείραια staatsfest
sind; von beidem war zu Euripides zeit keine rede.
42) Panaitios half sich bei stellen wie Frö. 1491, die in wahrheit ganz irre-
levant sind, mit der fiction eines doppelgängers, ἕτερος Σωκράτης τῶν περὶ σκηνὰς
φλυάρων. das ist auch in das γένος gekommen. denn s. 1, 10 Schw. steht in der
zuverlässigsten handschrift (Vat. 1345) Σωκράτης δὲ ἕτερος αὐτῷ δοκεῖ ὁ φιλό-
σοφος καὶ Μνησίλοχος ⟨συμ⟩πεποιηκέναι τινά. da ist der zusatz ἕτερος ὁ φιλόσοφος
an verschiedene stellen des textes, dem es übergeschrieben war, hineingeraten. die
andern fassungen sind darauf zurückzuführen; in den meisten ist aus ἕτερος ἑταῖρος
geworden und dann Σωκράτης in den genetiv gesetzt. ein zusatz ist auch 2, 5 γεν-
νηϑῆναι δὲ τῇ αὐτῇ ἡμέρᾳ [καὶ Ἑλλάνικον] ἐν ᾗ ἐνίκων — οἱ Ἕλληνες.
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