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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893.

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I. 1. Die quellen der griechischen geschichte.
stellerisch mit fug und recht weit über ihn erhaben; aber er hat ihn
doch benutzt. er ist allerdings ein eckstein für die geschichte der
tradition. denn wenn in dem letzten viertel des fünften jahrhunderts
ein solcher compilator auftreten konnte, der chroniken des festlandes
herausgibt oder schreibt, so bezeugt er einmal direct die existenz dieser
chroniken, indirect aber, dass die ihm viel näher liegenden ionischen
oroi bereits edirt waren, wie ja auch überliefert ist. es versteht sich
ganz von selbst, dass genau wie wir die prosaische erzählung an die
stelle des epos überall treten sehen, so auch die gründungssagen der
ionischen städte in prosaischen büchern umlaufen mussten11), und es ist
sehr bezeichnend, dass selbst die autornamen zum teil von den epen
auf die prosaischen ktiseis und oroi übergehn.12)

Die weisheitslehrer des fünften jahrhunderts zogen herum, traten
auf und erklärten sich bereit auf alles rede zu stehn. wie sollte es
ausbleiben, dass ihnen historische fragen, über die herkunft und das
alter der städte und geschlechter, die bedeutung von namen und monu-
menten gestellt wurden? mochten sie sich oft mit autoschediasmen
helfen oder die kenntnis Homers und anderer anerkannter dichter ge-
Hippiasschickt benutzen: sie brauchten doch eine gewisse geschichtliche kennt-
nis. so sehen wir denn einen von ihnen, Hippias von Elis, auch in
der altertumskunde erfahren (Hipp. I 285d), der name arkhaiologia fällt
hier zuerst. und derselbe Hippias hat die olympische chronik zuerst ver-
öffentlicht. so fühlt und befriedigt selbst die modernste bildung das be-
dürfnis geschichtlicher studien.


geographischen coincidenzen gesprochen. athetiren wird die bruckstücke oder das
buch aus dem sie stammen, die nomima barbarika, niemand, der nicht im banne
der falschen überlieferung über die lebenszeit des Hellanikos steht.
11) Epische ktiseis werden in den schriftenkatalogen z. b. des Xenophanes
genannt. sie sind an sich sehr glaublich, nur wimmeln diese kataloge von fäl-
schungen und irrtümern.
12) Die milesische chronik trägt den namen des Kadmos, des erfinders der
buchstaben, die ephesische den des epikers Kreophylos. das sind weder homonyme
menschen von fleisch und blut noch ihre angeblichen bücher fälschungen. es sind
nur recht bezeichnende beispiele für dieselbe erscheinung, die den nachlass der
Homeros Hesiodos Hippokrates ins unendliche vermehrt hat. Amelesagoras oder Me-
lesagoras von Athen und Eumelos von Korinth sind gleichen schlages. über das
alter der bücher, die in Alexandreia oder sonst wo diese autornamen trugen, ist
nicht mehr ausgesagt, als dass sie sehr alt zu sein beanspruchten. Delphika des
Melisseus (Tzetzes in der vorrede zu den Erga 29 Gaisf., aus seiner allegorischen
quelle) sind wol ganz apokryph. Melisseus ist der vater der melissai, Amaltheia

I. 1. Die quellen der griechischen geschichte.
stellerisch mit fug und recht weit über ihn erhaben; aber er hat ihn
doch benutzt. er ist allerdings ein eckstein für die geschichte der
tradition. denn wenn in dem letzten viertel des fünften jahrhunderts
ein solcher compilator auftreten konnte, der chroniken des festlandes
herausgibt oder schreibt, so bezeugt er einmal direct die existenz dieser
chroniken, indirect aber, daſs die ihm viel näher liegenden ionischen
ὧϱοι bereits edirt waren, wie ja auch überliefert ist. es versteht sich
ganz von selbst, daſs genau wie wir die prosaische erzählung an die
stelle des epos überall treten sehen, so auch die gründungssagen der
ionischen städte in prosaischen büchern umlaufen muſsten11), und es ist
sehr bezeichnend, daſs selbst die autornamen zum teil von den epen
auf die prosaischen κτίσεις und ὧϱοι übergehn.12)

Die weisheitslehrer des fünften jahrhunderts zogen herum, traten
auf und erklärten sich bereit auf alles rede zu stehn. wie sollte es
ausbleiben, daſs ihnen historische fragen, über die herkunft und das
alter der städte und geschlechter, die bedeutung von namen und monu-
menten gestellt wurden? mochten sie sich oft mit autoschediasmen
helfen oder die kenntnis Homers und anderer anerkannter dichter ge-
Hippiasschickt benutzen: sie brauchten doch eine gewisse geschichtliche kennt-
nis. so sehen wir denn einen von ihnen, Hippias von Elis, auch in
der altertumskunde erfahren (Hipp. I 285d), der name ἀϱχαιολογία fällt
hier zuerst. und derselbe Hippias hat die olympische chronik zuerst ver-
öffentlicht. so fühlt und befriedigt selbst die modernste bildung das be-
dürfnis geschichtlicher studien.


geographischen coincidenzen gesprochen. athetiren wird die bruckstücke oder das
buch aus dem sie stammen, die νόμιμα βαϱβαϱικά, niemand, der nicht im banne
der falschen überlieferung über die lebenszeit des Hellanikos steht.
11) Epische κτίσεις werden in den schriftenkatalogen z. b. des Xenophanes
genannt. sie sind an sich sehr glaublich, nur wimmeln diese kataloge von fäl-
schungen und irrtümern.
12) Die milesische chronik trägt den namen des Kadmos, des erfinders der
buchstaben, die ephesische den des epikers Kreophylos. das sind weder homonyme
menschen von fleisch und blut noch ihre angeblichen bücher fälschungen. es sind
nur recht bezeichnende beispiele für dieselbe erscheinung, die den nachlaſs der
Homeros Hesiodos Hippokrates ins unendliche vermehrt hat. Amelesagoras oder Me-
lesagoras von Athen und Eumelos von Korinth sind gleichen schlages. über das
alter der bücher, die in Alexandreia oder sonst wo diese autornamen trugen, ist
nicht mehr ausgesagt, als daſs sie sehr alt zu sein beanspruchten. Delphika des
Melisseus (Tzetzes in der vorrede zu den Erga 29 Gaisf., aus seiner allegorischen
quelle) sind wol ganz apokryph. Melisseus ist der vater der μέλισσαι, Amaltheia
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[20/0030] I. 1. Die quellen der griechischen geschichte. stellerisch mit fug und recht weit über ihn erhaben; aber er hat ihn doch benutzt. er ist allerdings ein eckstein für die geschichte der tradition. denn wenn in dem letzten viertel des fünften jahrhunderts ein solcher compilator auftreten konnte, der chroniken des festlandes herausgibt oder schreibt, so bezeugt er einmal direct die existenz dieser chroniken, indirect aber, daſs die ihm viel näher liegenden ionischen ὧϱοι bereits edirt waren, wie ja auch überliefert ist. es versteht sich ganz von selbst, daſs genau wie wir die prosaische erzählung an die stelle des epos überall treten sehen, so auch die gründungssagen der ionischen städte in prosaischen büchern umlaufen muſsten 11), und es ist sehr bezeichnend, daſs selbst die autornamen zum teil von den epen auf die prosaischen κτίσεις und ὧϱοι übergehn. 12) Die weisheitslehrer des fünften jahrhunderts zogen herum, traten auf und erklärten sich bereit auf alles rede zu stehn. wie sollte es ausbleiben, daſs ihnen historische fragen, über die herkunft und das alter der städte und geschlechter, die bedeutung von namen und monu- menten gestellt wurden? mochten sie sich oft mit autoschediasmen helfen oder die kenntnis Homers und anderer anerkannter dichter ge- schickt benutzen: sie brauchten doch eine gewisse geschichtliche kennt- nis. so sehen wir denn einen von ihnen, Hippias von Elis, auch in der altertumskunde erfahren (Hipp. I 285d), der name ἀϱχαιολογία fällt hier zuerst. und derselbe Hippias hat die olympische chronik zuerst ver- öffentlicht. so fühlt und befriedigt selbst die modernste bildung das be- dürfnis geschichtlicher studien. Hippias 10) 11) Epische κτίσεις werden in den schriftenkatalogen z. b. des Xenophanes genannt. sie sind an sich sehr glaublich, nur wimmeln diese kataloge von fäl- schungen und irrtümern. 12) Die milesische chronik trägt den namen des Kadmos, des erfinders der buchstaben, die ephesische den des epikers Kreophylos. das sind weder homonyme menschen von fleisch und blut noch ihre angeblichen bücher fälschungen. es sind nur recht bezeichnende beispiele für dieselbe erscheinung, die den nachlaſs der Homeros Hesiodos Hippokrates ins unendliche vermehrt hat. Amelesagoras oder Me- lesagoras von Athen und Eumelos von Korinth sind gleichen schlages. über das alter der bücher, die in Alexandreia oder sonst wo diese autornamen trugen, ist nicht mehr ausgesagt, als daſs sie sehr alt zu sein beanspruchten. Delphika des Melisseus (Tzetzes in der vorrede zu den Erga 29 Gaisf., aus seiner allegorischen quelle) sind wol ganz apokryph. Melisseus ist der vater der μέλισσαι, Amaltheia 10) geographischen coincidenzen gesprochen. athetiren wird die bruckstücke oder das buch aus dem sie stammen, die νόμιμα βαϱβαϱικά, niemand, der nicht im banne der falschen überlieferung über die lebenszeit des Hellanikos steht.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 2. Berlin, 1893, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles02_1893/30>, abgerufen am 18.04.2024.