bemächtigen. Nun stellen Sie sich vor, wir hät¬ ten eine Welthistorie nach zweitausend Jahren, die mit Begebenheiten so reich ausstaffirt wäre, als das letzte Jahrtausend, oder imaginiren Sie sich einen Professor, der a dato nach zweitausend Jah¬ ren im Kollegio Welthistorie vorzutragen hätte -- bedenken Sie, daß nicht blos Europa, daß auch Asien, Afrika, Amerika, die Inseln der Südsee eine Geschichte haben werden, und wenn Sie auch der Ansicht leben, daß die Geschichte sich immer mehr vergeistigen und die inneren Umgestaltungen der Künste, Erfindungen, des Lebens befassen werde, bedenken Sie, welche Fluth von Erfindungen, Ver¬ änderungen, Evolutionen im Staatsleben, in der Kunst, in der Wissenschaft müssen tausend Millio¬ nen gebildeter Menschen in tausend und aber tau¬ send Jahren beständiger Generationserneuerung hervorbringen und beurtheilen Sie darnach die Angst und Verlegenheit besagten Professors der Geschichte, wenn er das Alles in einen halbjähri¬ gen oder einjährigen oder dreijährigen akademischen Kursus einzwängen soll. Wie will er es nur selbst zu einem Stückwerk von Gelehrsamkeit, zu einer oberflächlichen Materialienkenntniß bringen in einem Fache, das so unendlich, unübersehlich sein wird, wie das Weltmeer, von so unzählbaren Ein¬ zelheiten, wie Tropfen darin. Ins Unendliche
bemaͤchtigen. Nun ſtellen Sie ſich vor, wir haͤt¬ ten eine Welthiſtorie nach zweitauſend Jahren, die mit Begebenheiten ſo reich ausſtaffirt waͤre, als das letzte Jahrtauſend, oder imaginiren Sie ſich einen Profeſſor, der a dato nach zweitauſend Jah¬ ren im Kollegio Welthiſtorie vorzutragen haͤtte — bedenken Sie, daß nicht blos Europa, daß auch Aſien, Afrika, Amerika, die Inſeln der Suͤdſee eine Geſchichte haben werden, und wenn Sie auch der Anſicht leben, daß die Geſchichte ſich immer mehr vergeiſtigen und die inneren Umgeſtaltungen der Kuͤnſte, Erfindungen, des Lebens befaſſen werde, bedenken Sie, welche Fluth von Erfindungen, Ver¬ aͤnderungen, Evolutionen im Staatsleben, in der Kunſt, in der Wiſſenſchaft muͤſſen tauſend Millio¬ nen gebildeter Menſchen in tauſend und aber tau¬ ſend Jahren beſtaͤndiger Generationserneuerung hervorbringen und beurtheilen Sie darnach die Angſt und Verlegenheit beſagten Profeſſors der Geſchichte, wenn er das Alles in einen halbjaͤhri¬ gen oder einjaͤhrigen oder dreijaͤhrigen akademiſchen Kurſus einzwaͤngen ſoll. Wie will er es nur ſelbſt zu einem Stuͤckwerk von Gelehrſamkeit, zu einer oberflaͤchlichen Materialienkenntniß bringen in einem Fache, das ſo unendlich, unuͤberſehlich ſein wird, wie das Weltmeer, von ſo unzaͤhlbaren Ein¬ zelheiten, wie Tropfen darin. Ins Unendliche
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bemaͤchtigen. Nun ſtellen Sie ſich vor, wir haͤt¬
ten eine Welthiſtorie nach zweitauſend Jahren, die
mit Begebenheiten ſo reich ausſtaffirt waͤre, als
das letzte Jahrtauſend, oder imaginiren Sie ſich
einen Profeſſor, der a dato nach zweitauſend Jah¬
ren im Kollegio Welthiſtorie vorzutragen haͤtte —
bedenken Sie, daß nicht blos Europa, daß auch
Aſien, Afrika, Amerika, die Inſeln der Suͤdſee
eine Geſchichte haben werden, und wenn Sie auch
der Anſicht leben, daß die Geſchichte ſich immer
mehr vergeiſtigen und die inneren Umgeſtaltungen
der Kuͤnſte, Erfindungen, des Lebens befaſſen werde,
bedenken Sie, welche Fluth von Erfindungen, Ver¬
aͤnderungen, Evolutionen im Staatsleben, in der
Kunſt, in der Wiſſenſchaft muͤſſen tauſend Millio¬
nen gebildeter Menſchen in tauſend und aber tau¬
ſend Jahren beſtaͤndiger Generationserneuerung
hervorbringen und beurtheilen Sie darnach die
Angſt und Verlegenheit beſagten Profeſſors der
Geſchichte, wenn er das Alles in einen halbjaͤhri¬
gen oder einjaͤhrigen oder dreijaͤhrigen akademiſchen
Kurſus einzwaͤngen ſoll. Wie will er es nur
ſelbſt zu einem Stuͤckwerk von Gelehrſamkeit, zu
einer oberflaͤchlichen Materialienkenntniß bringen in
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wird, wie das Weltmeer, von ſo unzaͤhlbaren Ein¬
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/84>, abgerufen am 28.11.2024.
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