theilen müßte man die gelehrte Arbeit, wie es in Fabriken geschieht, wo der Eine den Knopf, der Andere den Schaft, der Dritte die Spitze der Nadel fabrizirt. Der eine Professor verstände sich auf das Jahr 2000, der Andere auf das Jahr 1999, oder der eine wäre gelehrt in der Geschichte aller großer Männer, deren Name mit dem Buch¬ staben A, der andere in der Geschichte der berühm¬ ten Leute, deren Name mit dem Buchstaben Z an¬ fängt, und wie man sich noch weiter scherzhafter¬ weise den lächerlichen Wirrwarr entknäueln mag, der aus der ungeheuerlichen Menge und Zerfallen¬ heit des Stoffes mehr und mehr entspringen wird.
Also, Wissen als solches kann nicht Aufgabe und Zweck des Lebens sein, weil dasselbe maßlos mit dem Anwachsen des Stoffes sich selbst zerstört und aufhebt. Diesem maßlosen Wirken gegenüber steht ein Geist, dessen Kräfte nur zu wohl gemes¬ sen und abgewogen sind. Die Vergrößerung der Wissensmasse macht das menschliche Hirn nicht grö¬ ßer, seine Kapazität bleibt dieselbe wie vor Alters. O wie dieses gelehrte Unwesen seit Jahrhunderten die edelsten Kräfte Deutschlands zur unfruchtbaren Tantalusarbeit verurtheilt hat, wie wir Deutsche aus wandernden Helden Stubensitzer, aus Krie¬ gern und Jägern lebenssieche, thatenscheue Magi¬ ster geworden sind!
theilen muͤßte man die gelehrte Arbeit, wie es in Fabriken geſchieht, wo der Eine den Knopf, der Andere den Schaft, der Dritte die Spitze der Nadel fabrizirt. Der eine Profeſſor verſtaͤnde ſich auf das Jahr 2000, der Andere auf das Jahr 1999, oder der eine waͤre gelehrt in der Geſchichte aller großer Maͤnner, deren Name mit dem Buch¬ ſtaben A, der andere in der Geſchichte der beruͤhm¬ ten Leute, deren Name mit dem Buchſtaben Z an¬ faͤngt, und wie man ſich noch weiter ſcherzhafter¬ weiſe den laͤcherlichen Wirrwarr entknaͤueln mag, der aus der ungeheuerlichen Menge und Zerfallen¬ heit des Stoffes mehr und mehr entſpringen wird.
Alſo, Wiſſen als ſolches kann nicht Aufgabe und Zweck des Lebens ſein, weil daſſelbe maßlos mit dem Anwachſen des Stoffes ſich ſelbſt zerſtoͤrt und aufhebt. Dieſem maßloſen Wirken gegenuͤber ſteht ein Geiſt, deſſen Kraͤfte nur zu wohl gemeſ¬ ſen und abgewogen ſind. Die Vergroͤßerung der Wiſſensmaſſe macht das menſchliche Hirn nicht groͤ¬ ßer, ſeine Kapazitaͤt bleibt dieſelbe wie vor Alters. O wie dieſes gelehrte Unweſen ſeit Jahrhunderten die edelſten Kraͤfte Deutſchlands zur unfruchtbaren Tantalusarbeit verurtheilt hat, wie wir Deutſche aus wandernden Helden Stubenſitzer, aus Krie¬ gern und Jaͤgern lebensſieche, thatenſcheue Magi¬ ſter geworden ſind!
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0085"n="71"/>
theilen muͤßte man die gelehrte Arbeit, wie es in<lb/>
Fabriken geſchieht, wo der Eine den Knopf, der<lb/>
Andere den Schaft, der Dritte die Spitze der<lb/>
Nadel fabrizirt. Der eine Profeſſor verſtaͤnde ſich<lb/>
auf das Jahr 2000, der Andere auf das Jahr<lb/>
1999, oder der eine waͤre gelehrt in der Geſchichte<lb/>
aller großer Maͤnner, deren Name mit dem Buch¬<lb/>ſtaben A, der andere in der Geſchichte der beruͤhm¬<lb/>
ten Leute, deren Name mit dem Buchſtaben Z an¬<lb/>
faͤngt, und wie man ſich noch weiter ſcherzhafter¬<lb/>
weiſe den laͤcherlichen Wirrwarr entknaͤueln mag,<lb/>
der aus der ungeheuerlichen Menge und Zerfallen¬<lb/>
heit des Stoffes mehr und mehr entſpringen wird.</p><lb/><p>Alſo, Wiſſen als ſolches kann nicht Aufgabe<lb/>
und Zweck des Lebens ſein, weil daſſelbe maßlos<lb/>
mit dem Anwachſen des Stoffes ſich ſelbſt zerſtoͤrt<lb/>
und aufhebt. Dieſem maßloſen Wirken gegenuͤber<lb/>ſteht ein Geiſt, deſſen Kraͤfte nur zu wohl gemeſ¬<lb/>ſen und abgewogen ſind. Die Vergroͤßerung der<lb/>
Wiſſensmaſſe macht das menſchliche Hirn nicht groͤ¬<lb/>
ßer, ſeine Kapazitaͤt bleibt dieſelbe wie vor Alters.<lb/>
O wie dieſes gelehrte Unweſen ſeit Jahrhunderten<lb/>
die edelſten Kraͤfte Deutſchlands zur unfruchtbaren<lb/>
Tantalusarbeit verurtheilt hat, wie wir Deutſche<lb/>
aus wandernden Helden Stubenſitzer, aus Krie¬<lb/>
gern und Jaͤgern lebensſieche, thatenſcheue Magi¬<lb/>ſter geworden ſind!</p><lb/></div></body></text></TEI>
[71/0085]
theilen muͤßte man die gelehrte Arbeit, wie es in
Fabriken geſchieht, wo der Eine den Knopf, der
Andere den Schaft, der Dritte die Spitze der
Nadel fabrizirt. Der eine Profeſſor verſtaͤnde ſich
auf das Jahr 2000, der Andere auf das Jahr
1999, oder der eine waͤre gelehrt in der Geſchichte
aller großer Maͤnner, deren Name mit dem Buch¬
ſtaben A, der andere in der Geſchichte der beruͤhm¬
ten Leute, deren Name mit dem Buchſtaben Z an¬
faͤngt, und wie man ſich noch weiter ſcherzhafter¬
weiſe den laͤcherlichen Wirrwarr entknaͤueln mag,
der aus der ungeheuerlichen Menge und Zerfallen¬
heit des Stoffes mehr und mehr entſpringen wird.
Alſo, Wiſſen als ſolches kann nicht Aufgabe
und Zweck des Lebens ſein, weil daſſelbe maßlos
mit dem Anwachſen des Stoffes ſich ſelbſt zerſtoͤrt
und aufhebt. Dieſem maßloſen Wirken gegenuͤber
ſteht ein Geiſt, deſſen Kraͤfte nur zu wohl gemeſ¬
ſen und abgewogen ſind. Die Vergroͤßerung der
Wiſſensmaſſe macht das menſchliche Hirn nicht groͤ¬
ßer, ſeine Kapazitaͤt bleibt dieſelbe wie vor Alters.
O wie dieſes gelehrte Unweſen ſeit Jahrhunderten
die edelſten Kraͤfte Deutſchlands zur unfruchtbaren
Tantalusarbeit verurtheilt hat, wie wir Deutſche
aus wandernden Helden Stubenſitzer, aus Krie¬
gern und Jaͤgern lebensſieche, thatenſcheue Magi¬
ſter geworden ſind!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/85>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.