fern hätte, es muß sich freiwillig und von selbst einfinden, es muß ihm, wie jedem freien Erzeug¬ niß des Geistes allerdings nichts in den Weg ge¬ schoben werden, im Gegentheil muß er die Mit¬ tel seiner Nahrung auf den vaterländischen Bil¬ dungsanstalten antreffen und der Staat muß sei¬ nem späteren Einfluß auf Gesellschaft und öffent¬ liches Leben ruhig entgegensehen -- das sind die Bedingungen, unter welchen die höhere Philoso¬ phie bei uns wachsen und gedeihen müßte, wenn sie Jünger und Enthusiasten findet, die, nach ge¬ wissenhafter Prüfung, ihr Leben ihr zu widmen gedächten; denn darauf, auf die Widmung eines ganzen Lebens mit allen seinen Tendenzen macht sie Anspruch, denn sie will nicht etwa dann und wann, und hie und da, zu diesem oder jenem Behufe, studirt, zitirt und benutzt werden, son¬ dern rein um ihrer selbst willen, und verlangt alle die Opfer, welche eine eifersüchtige und gerecht¬ stolze Geliebte ihrem Liebhaber zum Gesetze macht. Ihr Bild soll er auf dem Herzen tragen, ihr Gedanke soll ihm vorschweben Tag und Nacht, nur für ihre Gespräche soll er ein Ohr haben, und in ihrem Umgang sich glücklich fühlen und gegen jedermänniglich behaupten und ausfechten, daß sie die Unvergleichlichste und Schönste sei un¬ ter allen ihren Schwestern auf der Welt.
fern haͤtte, es muß ſich freiwillig und von ſelbſt einfinden, es muß ihm, wie jedem freien Erzeug¬ niß des Geiſtes allerdings nichts in den Weg ge¬ ſchoben werden, im Gegentheil muß er die Mit¬ tel ſeiner Nahrung auf den vaterlaͤndiſchen Bil¬ dungsanſtalten antreffen und der Staat muß ſei¬ nem ſpaͤteren Einfluß auf Geſellſchaft und oͤffent¬ liches Leben ruhig entgegenſehen — das ſind die Bedingungen, unter welchen die hoͤhere Philoſo¬ phie bei uns wachſen und gedeihen muͤßte, wenn ſie Juͤnger und Enthuſiaſten findet, die, nach ge¬ wiſſenhafter Pruͤfung, ihr Leben ihr zu widmen gedaͤchten; denn darauf, auf die Widmung eines ganzen Lebens mit allen ſeinen Tendenzen macht ſie Anſpruch, denn ſie will nicht etwa dann und wann, und hie und da, zu dieſem oder jenem Behufe, ſtudirt, zitirt und benutzt werden, ſon¬ dern rein um ihrer ſelbſt willen, und verlangt alle die Opfer, welche eine eiferſuͤchtige und gerecht¬ ſtolze Geliebte ihrem Liebhaber zum Geſetze macht. Ihr Bild ſoll er auf dem Herzen tragen, ihr Gedanke ſoll ihm vorſchweben Tag und Nacht, nur fuͤr ihre Geſpraͤche ſoll er ein Ohr haben, und in ihrem Umgang ſich gluͤcklich fuͤhlen und gegen jedermaͤnniglich behaupten und ausfechten, daß ſie die Unvergleichlichſte und Schoͤnſte ſei un¬ ter allen ihren Schweſtern auf der Welt.
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fern haͤtte, es muß ſich freiwillig und von ſelbſt
einfinden, es muß ihm, wie jedem freien Erzeug¬
niß des Geiſtes allerdings nichts in den Weg ge¬
ſchoben werden, im Gegentheil muß er die Mit¬
tel ſeiner Nahrung auf den vaterlaͤndiſchen Bil¬
dungsanſtalten antreffen und der Staat muß ſei¬
nem ſpaͤteren Einfluß auf Geſellſchaft und oͤffent¬
liches Leben ruhig entgegenſehen — das ſind die
Bedingungen, unter welchen die hoͤhere Philoſo¬
phie bei uns wachſen und gedeihen muͤßte, wenn
ſie Juͤnger und Enthuſiaſten findet, die, nach ge¬
wiſſenhafter Pruͤfung, ihr Leben ihr zu widmen
gedaͤchten; denn darauf, auf die Widmung eines
ganzen Lebens mit allen ſeinen Tendenzen macht
ſie Anſpruch, denn ſie will nicht etwa dann und
wann, und hie und da, zu dieſem oder jenem
Behufe, ſtudirt, zitirt und benutzt werden, ſon¬
dern rein um ihrer ſelbſt willen, und verlangt alle
die Opfer, welche eine eiferſuͤchtige und gerecht¬
ſtolze Geliebte ihrem Liebhaber zum Geſetze macht.
Ihr Bild ſoll er auf dem Herzen tragen, ihr
Gedanke ſoll ihm vorſchweben Tag und Nacht,
nur fuͤr ihre Geſpraͤche ſoll er ein Ohr haben,
und in ihrem Umgang ſich gluͤcklich fuͤhlen und
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daß ſie die Unvergleichlichſte und Schoͤnſte ſei un¬
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/73>, abgerufen am 25.11.2024.
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