Ist das nun, meine Herren, dieser Urania echter und wesentlicher Charakterzug, an der sie jeder Selbstphilosophirende erkennt, an der sie ein Plato, ein Kant, ein Fichte, ein Reinhold wie¬ dererkannt hätten, so fühlen und begreifen Sie wohl, daß Philosophie in diesem deutschen Sinn -- denn Franzosen und Engländern ist der Be¬ griff der Philosophie so weit, daß die ersteren eine leichte lustige Lebensansicht und die letzteren die Experimentalphysik für Philosophie und Elektrisir¬ maschinen und Luftpumpen für philosophische Instrumente ausgeben -- daß Philosophie in diesem Sinn nur einer kleinen Zahl von Sterb¬ lichen angehöre, wozu namentlich weder ich, noch vielleicht einer von den Anwesenden sich zählen möchte. Und da hören Sie offen und freimüthig ausgesprochen, was man so selten gesteht, wo¬ mit man sich unter einander ein Geheimniß macht, das aber die Wände unserer Hörsäle längst ausge¬ plaudert haben, das Geständniß, Philosophie liegt de facto außer dem Kreis der größten Anzahl der Menschen, ja mehr, außer dem Kreis selbst jener Auserwählteren, welche sich auf Akademien dem Studium der Wissenschaften hingeben. --
Wollten die Wände noch etwas hinzufügen, so könnten sie auch sagen: das gerade ist eine von euren vielen Lügen, daß ihr dutzendweise auftretet
Iſt das nun, meine Herren, dieſer Urania echter und weſentlicher Charakterzug, an der ſie jeder Selbſtphiloſophirende erkennt, an der ſie ein Plato, ein Kant, ein Fichte, ein Reinhold wie¬ dererkannt haͤtten, ſo fuͤhlen und begreifen Sie wohl, daß Philoſophie in dieſem deutſchen Sinn — denn Franzoſen und Englaͤndern iſt der Be¬ griff der Philoſophie ſo weit, daß die erſteren eine leichte luſtige Lebensanſicht und die letzteren die Experimentalphyſik fuͤr Philoſophie und Elektriſir¬ maſchinen und Luftpumpen fuͤr philoſophiſche Inſtrumente ausgeben — daß Philoſophie in dieſem Sinn nur einer kleinen Zahl von Sterb¬ lichen angehoͤre, wozu namentlich weder ich, noch vielleicht einer von den Anweſenden ſich zaͤhlen moͤchte. Und da hoͤren Sie offen und freimuͤthig ausgeſprochen, was man ſo ſelten geſteht, wo¬ mit man ſich unter einander ein Geheimniß macht, das aber die Waͤnde unſerer Hoͤrſaͤle laͤngſt ausge¬ plaudert haben, das Geſtaͤndniß, Philoſophie liegt de facto außer dem Kreis der groͤßten Anzahl der Menſchen, ja mehr, außer dem Kreis ſelbſt jener Auserwaͤhlteren, welche ſich auf Akademien dem Studium der Wiſſenſchaften hingeben. —
Wollten die Waͤnde noch etwas hinzufuͤgen, ſo koͤnnten ſie auch ſagen: das gerade iſt eine von euren vielen Luͤgen, daß ihr dutzendweiſe auftretet
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0074"n="60"/><p>Iſt das nun, meine Herren, dieſer Urania<lb/>
echter und weſentlicher Charakterzug, an der ſie<lb/>
jeder Selbſtphiloſophirende erkennt, an der ſie ein<lb/>
Plato, ein Kant, ein Fichte, ein Reinhold wie¬<lb/>
dererkannt haͤtten, ſo fuͤhlen und begreifen Sie<lb/>
wohl, daß Philoſophie in dieſem deutſchen Sinn<lb/>— denn Franzoſen und Englaͤndern iſt der Be¬<lb/>
griff der Philoſophie ſo weit, daß die erſteren eine<lb/>
leichte luſtige Lebensanſicht und die letzteren die<lb/>
Experimentalphyſik fuͤr Philoſophie und Elektriſir¬<lb/>
maſchinen und Luftpumpen fuͤr <hirendition="#g">philoſophiſche<lb/>
Inſtrumente</hi> ausgeben — daß Philoſophie in<lb/>
dieſem Sinn nur einer kleinen Zahl von Sterb¬<lb/>
lichen angehoͤre, wozu namentlich weder ich, noch<lb/>
vielleicht einer von den Anweſenden ſich zaͤhlen<lb/>
moͤchte. Und da hoͤren Sie offen und freimuͤthig<lb/>
ausgeſprochen, was man ſo ſelten geſteht, wo¬<lb/>
mit man ſich unter einander ein Geheimniß macht,<lb/>
das aber die Waͤnde unſerer Hoͤrſaͤle laͤngſt ausge¬<lb/>
plaudert haben, das Geſtaͤndniß, Philoſophie liegt<lb/><hirendition="#aq">de facto</hi> außer dem Kreis der groͤßten Anzahl der<lb/>
Menſchen, ja mehr, außer dem Kreis ſelbſt jener<lb/>
Auserwaͤhlteren, welche ſich auf Akademien dem<lb/>
Studium der Wiſſenſchaften hingeben. —</p><lb/><p>Wollten die Waͤnde noch etwas hinzufuͤgen,<lb/>ſo koͤnnten ſie auch ſagen: das gerade iſt eine von<lb/>
euren vielen Luͤgen, daß ihr dutzendweiſe auftretet<lb/></p></div></body></text></TEI>
[60/0074]
Iſt das nun, meine Herren, dieſer Urania
echter und weſentlicher Charakterzug, an der ſie
jeder Selbſtphiloſophirende erkennt, an der ſie ein
Plato, ein Kant, ein Fichte, ein Reinhold wie¬
dererkannt haͤtten, ſo fuͤhlen und begreifen Sie
wohl, daß Philoſophie in dieſem deutſchen Sinn
— denn Franzoſen und Englaͤndern iſt der Be¬
griff der Philoſophie ſo weit, daß die erſteren eine
leichte luſtige Lebensanſicht und die letzteren die
Experimentalphyſik fuͤr Philoſophie und Elektriſir¬
maſchinen und Luftpumpen fuͤr philoſophiſche
Inſtrumente ausgeben — daß Philoſophie in
dieſem Sinn nur einer kleinen Zahl von Sterb¬
lichen angehoͤre, wozu namentlich weder ich, noch
vielleicht einer von den Anweſenden ſich zaͤhlen
moͤchte. Und da hoͤren Sie offen und freimuͤthig
ausgeſprochen, was man ſo ſelten geſteht, wo¬
mit man ſich unter einander ein Geheimniß macht,
das aber die Waͤnde unſerer Hoͤrſaͤle laͤngſt ausge¬
plaudert haben, das Geſtaͤndniß, Philoſophie liegt
de facto außer dem Kreis der groͤßten Anzahl der
Menſchen, ja mehr, außer dem Kreis ſelbſt jener
Auserwaͤhlteren, welche ſich auf Akademien dem
Studium der Wiſſenſchaften hingeben. —
Wollten die Waͤnde noch etwas hinzufuͤgen,
ſo koͤnnten ſie auch ſagen: das gerade iſt eine von
euren vielen Luͤgen, daß ihr dutzendweiſe auftretet
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/74>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.