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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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Nehmen Sie an, man könnte es in einer
nachträglichen Geschichte zu einer gewissen
äußerlichen, ich möchte sagen peinlichen, dem Ver¬
hör von hundert durcheinandersprechenden Zeugen
abgewitzigten Wahrheit bringen, was wäre diese?
Ein todtes Residuum von Kräften, die, längst
im großen Weltenraum zerstoben und verflogen,
kein Zauberspruch zurückbeschwört, Muschel, kal¬
kene Schale auf den Gebirgen, die nur schwache,
unsichere Spuren ehemaliger Beseelung erlugen
läßt. Aber die Seele? die innere Wahrheit?

Wahrheit, seliger Reinhold, was ist Wahr¬
heit? Ich fühle es, was ich geschichtliche Wahr¬
heit nenne, hat für mich etwas Unmittelbares und
Zuversichtliches, etwas, was allen kleinlichen Zwei¬
fel niederschlägt, was meinen Geist mit süßem
Verständniß in seine Kreise zieht. Ich höre das
Fernste aus fernen Zeiten und verstehe es sonder
Mühe; ich sehe die wunderbarsten Gestalten und
Erscheinungen an mir vorüberziehen und bin mit
ihnen vertraut, wie mit alten Bekannten und kann
mir ihre Wirklichkeit nicht anders denken, als wie
sie mir eben erscheint. Denn so krystallisch klar
steht die That, der geschichtliche Heldenleib vor
meinen Augen da, daß ich die innerste Seele, die
Alles belebt und bewegt, die zartesten Adern, die
feinsten Gefäße, den ganzen lebendigen Organis¬

Nehmen Sie an, man koͤnnte es in einer
nachtraͤglichen Geſchichte zu einer gewiſſen
aͤußerlichen, ich moͤchte ſagen peinlichen, dem Ver¬
hoͤr von hundert durcheinanderſprechenden Zeugen
abgewitzigten Wahrheit bringen, was waͤre dieſe?
Ein todtes Reſiduum von Kraͤften, die, laͤngſt
im großen Weltenraum zerſtoben und verflogen,
kein Zauberſpruch zuruͤckbeſchwoͤrt, Muſchel, kal¬
kene Schale auf den Gebirgen, die nur ſchwache,
unſichere Spuren ehemaliger Beſeelung erlugen
laͤßt. Aber die Seele? die innere Wahrheit?

Wahrheit, ſeliger Reinhold, was iſt Wahr¬
heit? Ich fuͤhle es, was ich geſchichtliche Wahr¬
heit nenne, hat fuͤr mich etwas Unmittelbares und
Zuverſichtliches, etwas, was allen kleinlichen Zwei¬
fel niederſchlaͤgt, was meinen Geiſt mit ſuͤßem
Verſtaͤndniß in ſeine Kreiſe zieht. Ich hoͤre das
Fernſte aus fernen Zeiten und verſtehe es ſonder
Muͤhe; ich ſehe die wunderbarſten Geſtalten und
Erſcheinungen an mir voruͤberziehen und bin mit
ihnen vertraut, wie mit alten Bekannten und kann
mir ihre Wirklichkeit nicht anders denken, als wie
ſie mir eben erſcheint. Denn ſo kryſtalliſch klar
ſteht die That, der geſchichtliche Heldenleib vor
meinen Augen da, daß ich die innerſte Seele, die
Alles belebt und bewegt, die zarteſten Adern, die
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[43/0057] Nehmen Sie an, man koͤnnte es in einer nachtraͤglichen Geſchichte zu einer gewiſſen aͤußerlichen, ich moͤchte ſagen peinlichen, dem Ver¬ hoͤr von hundert durcheinanderſprechenden Zeugen abgewitzigten Wahrheit bringen, was waͤre dieſe? Ein todtes Reſiduum von Kraͤften, die, laͤngſt im großen Weltenraum zerſtoben und verflogen, kein Zauberſpruch zuruͤckbeſchwoͤrt, Muſchel, kal¬ kene Schale auf den Gebirgen, die nur ſchwache, unſichere Spuren ehemaliger Beſeelung erlugen laͤßt. Aber die Seele? die innere Wahrheit? Wahrheit, ſeliger Reinhold, was iſt Wahr¬ heit? Ich fuͤhle es, was ich geſchichtliche Wahr¬ heit nenne, hat fuͤr mich etwas Unmittelbares und Zuverſichtliches, etwas, was allen kleinlichen Zwei¬ fel niederſchlaͤgt, was meinen Geiſt mit ſuͤßem Verſtaͤndniß in ſeine Kreiſe zieht. Ich hoͤre das Fernſte aus fernen Zeiten und verſtehe es ſonder Muͤhe; ich ſehe die wunderbarſten Geſtalten und Erſcheinungen an mir voruͤberziehen und bin mit ihnen vertraut, wie mit alten Bekannten und kann mir ihre Wirklichkeit nicht anders denken, als wie ſie mir eben erſcheint. Denn ſo kryſtalliſch klar ſteht die That, der geſchichtliche Heldenleib vor meinen Augen da, daß ich die innerſte Seele, die Alles belebt und bewegt, die zarteſten Adern, die feinſten Gefaͤße, den ganzen lebendigen Organis¬

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/57>, abgerufen am 24.11.2024.