und Umsicht unser Niebuhr dies dunkle Gebiet durchirrt hat, mit wie scharfen, unverwandten Blicken er die kümmerlichen Spuren verfolgt hat, die vor den Stadtthoren Roms an die Ursitze der italischen Volksstämme leiten, Spuren, die unauf¬ hörlich kreuz und quer von Göttertritten und Schweinepfoten, griechischen Flüchtlingen und säu¬ genden Wölfinnen, Heroen und Banditen verwirrt und verwischt werden. Ohne Glauben kommt man ihm nicht nach. Seine Schüler schlagen ein Kreuz, fassen ihn getrost beim Rockzipfel und gehen mit ihm durch Dick und Dünn, was freilich am Ende nichts schadet, da die Leitung eines ausgezeichne¬ ten Mannes, selbst in die Irre, immer belehrend und fruchtreich ist. Allein wir fragen nur, ist das der Weg zur Geschichte, kann selbst in spätern, sogenannten hellen und historischen Zeiten etwas zur Geschichte erhoben werden, was nicht im Ur¬ sprung Geschichte war? Dürfen alterthümliche Forschungen, wären sie noch so geistreich und scharfsinnig, den großen Namen "Geschichte" an der Stirn führen? Nein, meine Herren, das dürfen sie nicht. Geschichte ist nicht das Resultat gelehrter Forschungen, sie springt nackt und schön wie Aphrodite aus dem Schaum der Wellen, wie Minerva in unmittelbarer Vollendung aus dem Haupte der kreisenden Zeit.
und Umſicht unſer Niebuhr dies dunkle Gebiet durchirrt hat, mit wie ſcharfen, unverwandten Blicken er die kuͤmmerlichen Spuren verfolgt hat, die vor den Stadtthoren Roms an die Urſitze der italiſchen Volksſtaͤmme leiten, Spuren, die unauf¬ hoͤrlich kreuz und quer von Goͤttertritten und Schweinepfoten, griechiſchen Fluͤchtlingen und ſaͤu¬ genden Woͤlfinnen, Heroen und Banditen verwirrt und verwiſcht werden. Ohne Glauben kommt man ihm nicht nach. Seine Schuͤler ſchlagen ein Kreuz, faſſen ihn getroſt beim Rockzipfel und gehen mit ihm durch Dick und Duͤnn, was freilich am Ende nichts ſchadet, da die Leitung eines ausgezeichne¬ ten Mannes, ſelbſt in die Irre, immer belehrend und fruchtreich iſt. Allein wir fragen nur, iſt das der Weg zur Geſchichte, kann ſelbſt in ſpaͤtern, ſogenannten hellen und hiſtoriſchen Zeiten etwas zur Geſchichte erhoben werden, was nicht im Ur¬ ſprung Geſchichte war? Duͤrfen alterthuͤmliche Forſchungen, waͤren ſie noch ſo geiſtreich und ſcharfſinnig, den großen Namen „Geſchichte“ an der Stirn fuͤhren? Nein, meine Herren, das duͤrfen ſie nicht. Geſchichte iſt nicht das Reſultat gelehrter Forſchungen, ſie ſpringt nackt und ſchoͤn wie Aphrodite aus dem Schaum der Wellen, wie Minerva in unmittelbarer Vollendung aus dem Haupte der kreiſenden Zeit.
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[42/0056]
und Umſicht unſer Niebuhr dies dunkle Gebiet
durchirrt hat, mit wie ſcharfen, unverwandten
Blicken er die kuͤmmerlichen Spuren verfolgt hat,
die vor den Stadtthoren Roms an die Urſitze der
italiſchen Volksſtaͤmme leiten, Spuren, die unauf¬
hoͤrlich kreuz und quer von Goͤttertritten und
Schweinepfoten, griechiſchen Fluͤchtlingen und ſaͤu¬
genden Woͤlfinnen, Heroen und Banditen verwirrt
und verwiſcht werden. Ohne Glauben kommt man
ihm nicht nach. Seine Schuͤler ſchlagen ein Kreuz,
faſſen ihn getroſt beim Rockzipfel und gehen mit
ihm durch Dick und Duͤnn, was freilich am Ende
nichts ſchadet, da die Leitung eines ausgezeichne¬
ten Mannes, ſelbſt in die Irre, immer belehrend
und fruchtreich iſt. Allein wir fragen nur, iſt das
der Weg zur Geſchichte, kann ſelbſt in ſpaͤtern,
ſogenannten hellen und hiſtoriſchen Zeiten etwas
zur Geſchichte erhoben werden, was nicht im Ur¬
ſprung Geſchichte war? Duͤrfen alterthuͤmliche
Forſchungen, waͤren ſie noch ſo geiſtreich und
ſcharfſinnig, den großen Namen „Geſchichte“
an der Stirn fuͤhren? Nein, meine Herren, das
duͤrfen ſie nicht. Geſchichte iſt nicht das Reſultat
gelehrter Forſchungen, ſie ſpringt nackt und ſchoͤn
wie Aphrodite aus dem Schaum der Wellen, wie
Minerva in unmittelbarer Vollendung aus dem
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/56>, abgerufen am 24.11.2024.
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