werk zurückgezogen und den Abend seines Lebens in einem kleinen Landstädtchen unter Philistern zu¬ bringe und vor dem zufälligen Anblick eines alten kalabresischen Waldgefährten unangenehm zurück¬ schaudre -- man sieht, daß Heine sich diese Rolle zutheilt. Der andern Stelle begegnet man in dem neuesten Heineschen Werk, Geschichte der deutschen Literatur, wo er eine unbegrenzte Ehr¬ furcht vor Goethe's Genie ausspricht und das et¬ was arrogante Eingeständniß macht, nun, da Goethe todt sei, dürfe er wohl bekennen, daß Alles, was er früher gegen ihn hatte und äußerte, nur Folge seiner Eifersucht gewesen.
Welches Merkmal ist es also, das die Aesthe¬ tik der neuesten Literatur, die Prosa eines Heine, Börne, Menzel, Laube von früherer Prosa unter¬ scheidet? Ich möchte ein Wort dafür geben und sagen, dies Merkmal ist die Behaglichkeit, die sichtbar aus der Goetheschen und Jean Paulschen Prosa spricht und die der neuesten fehlt. Jene früheren Großen unserer Literatur lebten in einer von der Welt abgeschiedenen Sphäre, weich und warm gebettet in einer verzauberten idealen Welt, und sterblichen Göttern ähnlich auf die Leiden und Freuden der wirklichen Welt hinabschauend und sich vom Opferduft der Gefühle und Wünsche des Publikums ernährend. Die neuern Schrift¬
Wienbarg, ästhet. Feldz. 20
werk zuruͤckgezogen und den Abend ſeines Lebens in einem kleinen Landſtaͤdtchen unter Philiſtern zu¬ bringe und vor dem zufaͤlligen Anblick eines alten kalabreſiſchen Waldgefaͤhrten unangenehm zuruͤck¬ ſchaudre — man ſieht, daß Heine ſich dieſe Rolle zutheilt. Der andern Stelle begegnet man in dem neueſten Heineſchen Werk, Geſchichte der deutſchen Literatur, wo er eine unbegrenzte Ehr¬ furcht vor Goethe's Genie ausſpricht und das et¬ was arrogante Eingeſtaͤndniß macht, nun, da Goethe todt ſei, duͤrfe er wohl bekennen, daß Alles, was er fruͤher gegen ihn hatte und aͤußerte, nur Folge ſeiner Eiferſucht geweſen.
Welches Merkmal iſt es alſo, das die Aeſthe¬ tik der neueſten Literatur, die Proſa eines Heine, Boͤrne, Menzel, Laube von fruͤherer Proſa unter¬ ſcheidet? Ich moͤchte ein Wort dafuͤr geben und ſagen, dies Merkmal iſt die Behaglichkeit, die ſichtbar aus der Goetheſchen und Jean Paulſchen Proſa ſpricht und die der neueſten fehlt. Jene fruͤheren Großen unſerer Literatur lebten in einer von der Welt abgeſchiedenen Sphaͤre, weich und warm gebettet in einer verzauberten idealen Welt, und ſterblichen Goͤttern aͤhnlich auf die Leiden und Freuden der wirklichen Welt hinabſchauend und ſich vom Opferduft der Gefuͤhle und Wuͤnſche des Publikums ernaͤhrend. Die neuern Schrift¬
Wienbarg, aͤſthet. Feldz. 20
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kalabreſiſchen Waldgefaͤhrten unangenehm zuruͤck¬
ſchaudre — man ſieht, daß Heine ſich dieſe Rolle
zutheilt. Der andern Stelle begegnet man in
dem neueſten Heineſchen Werk, Geſchichte der
deutſchen Literatur, wo er eine unbegrenzte Ehr¬
furcht vor Goethe's Genie ausſpricht und das et¬
was arrogante Eingeſtaͤndniß macht, nun, da
Goethe todt ſei, duͤrfe er wohl bekennen, daß
Alles, was er fruͤher gegen ihn hatte und aͤußerte,
nur Folge ſeiner Eiferſucht geweſen.
Welches Merkmal iſt es alſo, das die Aeſthe¬
tik der neueſten Literatur, die Proſa eines Heine,
Boͤrne, Menzel, Laube von fruͤherer Proſa unter¬
ſcheidet? Ich moͤchte ein Wort dafuͤr geben und
ſagen, dies Merkmal iſt die Behaglichkeit, die
ſichtbar aus der Goetheſchen und Jean Paulſchen
Proſa ſpricht und die der neueſten fehlt. Jene
fruͤheren Großen unſerer Literatur lebten in einer
von der Welt abgeſchiedenen Sphaͤre, weich und
warm gebettet in einer verzauberten idealen Welt,
und ſterblichen Goͤttern aͤhnlich auf die Leiden
und Freuden der wirklichen Welt hinabſchauend
und ſich vom Opferduft der Gefuͤhle und Wuͤnſche
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Wienbarg, aͤſthet. Feldz. 20
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/311>, abgerufen am 24.11.2024.
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