Nation, im höhern Grade, als es je die lyrische und dramatische werden konnte. Während näm¬ lich das Drama, die Ode auf einen einzigen Dra¬ men- und Odendichter als Verfasser zurückweist, hatte das Epos eine ganze Nation von Dichtern aufzuweisen, wo keiner der Vorsänger so kühn sein konnte, sich allein mit dem Lorbeer zu schmücken, der Allen gebührte.
Indem ich auf diese Weise versucht habe, den Grund dafür anzugeben, warum das Epos die älteste Gattung der Poesie sei, habe ich zu¬ gleich den Grund mit berührt, warum die spätere Zeit nicht mehr im Stande sei, ein echtes Epos zu schaffen. Der Versuche freilich sind bis auf die neueste Zeit sehr viele, noch vor einigen Jah¬ ren hat ein Landsmann von uns, der Bürgermei¬ ster Lindenhan, ein großes, episches Gedicht unter dem Namen Malta in die Welt geschickt, wo es aber nicht sehr weit hingekommen zu sein scheint. Selbst ein bedeutenderes, ja das bedeu¬ tendste dichterische Talent muß nothwendig an der Aufgabe scheitern, mit der Iliade oder den Nibe¬ lungen in die Schranken zu treten. Ich erwähne der Aeneide des Virgil nicht, denn sie ist eben nur einer dieser verfehlten Versuche, durch willkührlichen Entschluß und mit persönlichem Talent die innere organische Nothwendigkeit einer Volksdichtung nach¬
Nation, im hoͤhern Grade, als es je die lyriſche und dramatiſche werden konnte. Waͤhrend naͤm¬ lich das Drama, die Ode auf einen einzigen Dra¬ men- und Odendichter als Verfaſſer zuruͤckweiſt, hatte das Epos eine ganze Nation von Dichtern aufzuweiſen, wo keiner der Vorſaͤnger ſo kuͤhn ſein konnte, ſich allein mit dem Lorbeer zu ſchmuͤcken, der Allen gebuͤhrte.
Indem ich auf dieſe Weiſe verſucht habe, den Grund dafuͤr anzugeben, warum das Epos die aͤlteſte Gattung der Poeſie ſei, habe ich zu¬ gleich den Grund mit beruͤhrt, warum die ſpaͤtere Zeit nicht mehr im Stande ſei, ein echtes Epos zu ſchaffen. Der Verſuche freilich ſind bis auf die neueſte Zeit ſehr viele, noch vor einigen Jah¬ ren hat ein Landsmann von uns, der Buͤrgermei¬ ſter Lindenhan, ein großes, epiſches Gedicht unter dem Namen Malta in die Welt geſchickt, wo es aber nicht ſehr weit hingekommen zu ſein ſcheint. Selbſt ein bedeutenderes, ja das bedeu¬ tendſte dichteriſche Talent muß nothwendig an der Aufgabe ſcheitern, mit der Iliade oder den Nibe¬ lungen in die Schranken zu treten. Ich erwaͤhne der Aeneide des Virgil nicht, denn ſie iſt eben nur einer dieſer verfehlten Verſuche, durch willkuͤhrlichen Entſchluß und mit perſoͤnlichem Talent die innere organiſche Nothwendigkeit einer Volksdichtung nach¬
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Nation, im hoͤhern Grade, als es je die lyriſche
und dramatiſche werden konnte. Waͤhrend naͤm¬
lich das Drama, die Ode auf einen einzigen Dra¬
men- und Odendichter als Verfaſſer zuruͤckweiſt,
hatte das Epos eine ganze Nation von Dichtern
aufzuweiſen, wo keiner der Vorſaͤnger ſo kuͤhn ſein
konnte, ſich allein mit dem Lorbeer zu ſchmuͤcken,
der Allen gebuͤhrte.
Indem ich auf dieſe Weiſe verſucht habe,
den Grund dafuͤr anzugeben, warum das Epos
die aͤlteſte Gattung der Poeſie ſei, habe ich zu¬
gleich den Grund mit beruͤhrt, warum die ſpaͤtere
Zeit nicht mehr im Stande ſei, ein echtes Epos
zu ſchaffen. Der Verſuche freilich ſind bis auf
die neueſte Zeit ſehr viele, noch vor einigen Jah¬
ren hat ein Landsmann von uns, der Buͤrgermei¬
ſter Lindenhan, ein großes, epiſches Gedicht unter
dem Namen Malta in die Welt geſchickt, wo
es aber nicht ſehr weit hingekommen zu ſein
ſcheint. Selbſt ein bedeutenderes, ja das bedeu¬
tendſte dichteriſche Talent muß nothwendig an der
Aufgabe ſcheitern, mit der Iliade oder den Nibe¬
lungen in die Schranken zu treten. Ich erwaͤhne
der Aeneide des Virgil nicht, denn ſie iſt eben nur
einer dieſer verfehlten Verſuche, durch willkuͤhrlichen
Entſchluß und mit perſoͤnlichem Talent die innere
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/258>, abgerufen am 22.11.2024.
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