lich wird? Versuchen wir ein solches; denken wir uns einen ängstlich gewissenhaften Pflichtmenschen, der sich ärgert, wenn es ihm einmal widerfährt, das Gute aus Lust zu thun und das Böse aus Widerwillen zu unterlassen, der sich aber glücklich schätzt, daß er es ziemlich so weit gebracht hat, entweder seine Neigungen zu tödten, oder trotz seinen Neigungen (natürlich auch seinen schönen und edlen Neigungen) nur auf die strengen Ge¬ bote dessen zu achten, was er Pflicht nennt. Denken Sie sich also einen Mann, der es nach Schiller's obigem Ausspruch wagen kann, sich zu verlieben. Er liebt wirklich. Der Gegenstand seiner Liebe ist ein schönes und edles Mädchen, lange geht es glücklich, lange theilt er die Neigungen der Liebe mit Pflichten der Moral, bis ihn die Voraus¬ sicht eines möglichen, ja wahrscheinlichen Kolli¬ sionsfalles unruhig und ängstlich macht und die bloße Furcht, in diesem Kampfe der Liebe mehr als der Pflicht zu gehorchen, das Gebot einer Pflicht annimmt, die ihm anbefiehlt, sein höchstes Gut, die Moralität, den kategorischen Imperativ, bei Zeiten in Sicherheit zu bringen und sich, wenn auch mit blutendem Herzen, von dem geliebten Gegenstand loszureißen. Mag nun auch aus den Tiefen seiner bessern und schönern Natur die Stimme der Liebe, der Ehre sich empören über das eisige
lich wird? Verſuchen wir ein ſolches; denken wir uns einen aͤngſtlich gewiſſenhaften Pflichtmenſchen, der ſich aͤrgert, wenn es ihm einmal widerfaͤhrt, das Gute aus Luſt zu thun und das Boͤſe aus Widerwillen zu unterlaſſen, der ſich aber gluͤcklich ſchaͤtzt, daß er es ziemlich ſo weit gebracht hat, entweder ſeine Neigungen zu toͤdten, oder trotz ſeinen Neigungen (natuͤrlich auch ſeinen ſchoͤnen und edlen Neigungen) nur auf die ſtrengen Ge¬ bote deſſen zu achten, was er Pflicht nennt. Denken Sie ſich alſo einen Mann, der es nach Schiller's obigem Ausſpruch wagen kann, ſich zu verlieben. Er liebt wirklich. Der Gegenſtand ſeiner Liebe iſt ein ſchoͤnes und edles Maͤdchen, lange geht es gluͤcklich, lange theilt er die Neigungen der Liebe mit Pflichten der Moral, bis ihn die Voraus¬ ſicht eines moͤglichen, ja wahrſcheinlichen Kolli¬ ſionsfalles unruhig und aͤngſtlich macht und die bloße Furcht, in dieſem Kampfe der Liebe mehr als der Pflicht zu gehorchen, das Gebot einer Pflicht annimmt, die ihm anbefiehlt, ſein hoͤchſtes Gut, die Moralitaͤt, den kategoriſchen Imperativ, bei Zeiten in Sicherheit zu bringen und ſich, wenn auch mit blutendem Herzen, von dem geliebten Gegenſtand loszureißen. Mag nun auch aus den Tiefen ſeiner beſſern und ſchoͤnern Natur die Stimme der Liebe, der Ehre ſich empoͤren uͤber das eiſige
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0174"n="160"/>
lich wird? Verſuchen wir ein ſolches; denken wir<lb/>
uns einen aͤngſtlich gewiſſenhaften Pflichtmenſchen,<lb/>
der ſich aͤrgert, wenn es ihm einmal widerfaͤhrt,<lb/>
das Gute aus Luſt zu thun und das Boͤſe aus<lb/>
Widerwillen zu unterlaſſen, der ſich aber gluͤcklich<lb/>ſchaͤtzt, daß er es ziemlich ſo weit gebracht hat,<lb/>
entweder ſeine Neigungen zu toͤdten, oder trotz<lb/>ſeinen Neigungen (natuͤrlich auch ſeinen ſchoͤnen<lb/>
und edlen Neigungen) nur auf die ſtrengen Ge¬<lb/>
bote deſſen zu achten, was er Pflicht nennt. Denken<lb/>
Sie ſich alſo einen Mann, der es nach Schiller's<lb/>
obigem Ausſpruch wagen kann, ſich zu verlieben.<lb/>
Er liebt wirklich. Der Gegenſtand ſeiner Liebe iſt<lb/>
ein ſchoͤnes und edles Maͤdchen, lange geht es<lb/>
gluͤcklich, lange theilt er die Neigungen der Liebe<lb/>
mit Pflichten der Moral, bis ihn die Voraus¬<lb/>ſicht eines moͤglichen, ja wahrſcheinlichen Kolli¬<lb/>ſionsfalles unruhig und aͤngſtlich macht und die<lb/>
bloße Furcht, in dieſem Kampfe der Liebe mehr<lb/>
als der Pflicht zu gehorchen, das Gebot einer<lb/>
Pflicht annimmt, die ihm anbefiehlt, ſein hoͤchſtes<lb/>
Gut, die Moralitaͤt, den kategoriſchen Imperativ,<lb/>
bei Zeiten in Sicherheit zu bringen und ſich, wenn<lb/>
auch mit blutendem Herzen, von dem geliebten<lb/>
Gegenſtand loszureißen. Mag nun auch aus den<lb/>
Tiefen ſeiner beſſern und ſchoͤnern Natur die Stimme<lb/>
der Liebe, der Ehre ſich empoͤren uͤber das eiſige<lb/></p></div></body></text></TEI>
[160/0174]
lich wird? Verſuchen wir ein ſolches; denken wir
uns einen aͤngſtlich gewiſſenhaften Pflichtmenſchen,
der ſich aͤrgert, wenn es ihm einmal widerfaͤhrt,
das Gute aus Luſt zu thun und das Boͤſe aus
Widerwillen zu unterlaſſen, der ſich aber gluͤcklich
ſchaͤtzt, daß er es ziemlich ſo weit gebracht hat,
entweder ſeine Neigungen zu toͤdten, oder trotz
ſeinen Neigungen (natuͤrlich auch ſeinen ſchoͤnen
und edlen Neigungen) nur auf die ſtrengen Ge¬
bote deſſen zu achten, was er Pflicht nennt. Denken
Sie ſich alſo einen Mann, der es nach Schiller's
obigem Ausſpruch wagen kann, ſich zu verlieben.
Er liebt wirklich. Der Gegenſtand ſeiner Liebe iſt
ein ſchoͤnes und edles Maͤdchen, lange geht es
gluͤcklich, lange theilt er die Neigungen der Liebe
mit Pflichten der Moral, bis ihn die Voraus¬
ſicht eines moͤglichen, ja wahrſcheinlichen Kolli¬
ſionsfalles unruhig und aͤngſtlich macht und die
bloße Furcht, in dieſem Kampfe der Liebe mehr
als der Pflicht zu gehorchen, das Gebot einer
Pflicht annimmt, die ihm anbefiehlt, ſein hoͤchſtes
Gut, die Moralitaͤt, den kategoriſchen Imperativ,
bei Zeiten in Sicherheit zu bringen und ſich, wenn
auch mit blutendem Herzen, von dem geliebten
Gegenſtand loszureißen. Mag nun auch aus den
Tiefen ſeiner beſſern und ſchoͤnern Natur die Stimme
der Liebe, der Ehre ſich empoͤren uͤber das eiſige
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/174>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.