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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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Hasse, diese strebt eben so oft das Häßlichste, als das
Schönste an, diese, wie sie die Erzeugerin alles
Großen in der Weltgeschichte ist, war auch die
Mutter aller Gewaltthaten und Gräuel, die nicht
vom kalten Blut und der vertrockneten Bosheit
diktirt wurden. Nicht allein die Liebe, die auf
dem Schönheitsgefühl beruht, hat ihre Leidenschaf¬
ten, auch die Religion hat die ihrigen und die
liebevollste unter allen, die christliche, hat sich mit
den furchtbarsten gesellt und ist durch sie in die
blindeste Befangenheit trauriger Irrthümer gestürzt.
Ja noch mehr, selbst diese kalte Pflichtenlehre,
welche das moralische Gesetz mit eiserner Ruthe
über das Gewissen ihrer Unterthanen walten läßt,
selbst diese kann sich leidenschaftlich äußern, und
es ist mir von einem Kantianer erzählt, der mit
einer Art kaltphilosophischer Wuth alle Blumen
der Lust und Poesie aus seinem Herzen riß und
nach den Trommel- und Taktschlägen des Kanti¬
schen Moralprinzips so eifrig, wie ein neuange¬
worbener Rekrut, auf dem Felde der Sittlichkeit
sich einexerzirte. Können wir uns nicht an der
Stelle des Schillerschen Beispiels ein anderes den¬
ken, wo grade das zur höchsten Einseitigkeit aus¬
gebildete sogenannte Pflichtgefühl in Kollision mit
den schönern Gewalten der Liebe, sei's nun durch
Begehen oder Unterlassen empörend und abscheu¬

Haſſe, dieſe ſtrebt eben ſo oft das Haͤßlichſte, als das
Schoͤnſte an, dieſe, wie ſie die Erzeugerin alles
Großen in der Weltgeſchichte iſt, war auch die
Mutter aller Gewaltthaten und Graͤuel, die nicht
vom kalten Blut und der vertrockneten Bosheit
diktirt wurden. Nicht allein die Liebe, die auf
dem Schoͤnheitsgefuͤhl beruht, hat ihre Leidenſchaf¬
ten, auch die Religion hat die ihrigen und die
liebevollſte unter allen, die chriſtliche, hat ſich mit
den furchtbarſten geſellt und iſt durch ſie in die
blindeſte Befangenheit trauriger Irrthuͤmer geſtuͤrzt.
Ja noch mehr, ſelbſt dieſe kalte Pflichtenlehre,
welche das moraliſche Geſetz mit eiſerner Ruthe
uͤber das Gewiſſen ihrer Unterthanen walten laͤßt,
ſelbſt dieſe kann ſich leidenſchaftlich aͤußern, und
es iſt mir von einem Kantianer erzaͤhlt, der mit
einer Art kaltphiloſophiſcher Wuth alle Blumen
der Luſt und Poeſie aus ſeinem Herzen riß und
nach den Trommel- und Taktſchlaͤgen des Kanti¬
ſchen Moralprinzips ſo eifrig, wie ein neuange¬
worbener Rekrut, auf dem Felde der Sittlichkeit
ſich einexerzirte. Koͤnnen wir uns nicht an der
Stelle des Schillerſchen Beiſpiels ein anderes den¬
ken, wo grade das zur hoͤchſten Einſeitigkeit aus¬
gebildete ſogenannte Pflichtgefuͤhl in Kolliſion mit
den ſchoͤnern Gewalten der Liebe, ſei's nun durch
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[159/0173] Haſſe, dieſe ſtrebt eben ſo oft das Haͤßlichſte, als das Schoͤnſte an, dieſe, wie ſie die Erzeugerin alles Großen in der Weltgeſchichte iſt, war auch die Mutter aller Gewaltthaten und Graͤuel, die nicht vom kalten Blut und der vertrockneten Bosheit diktirt wurden. Nicht allein die Liebe, die auf dem Schoͤnheitsgefuͤhl beruht, hat ihre Leidenſchaf¬ ten, auch die Religion hat die ihrigen und die liebevollſte unter allen, die chriſtliche, hat ſich mit den furchtbarſten geſellt und iſt durch ſie in die blindeſte Befangenheit trauriger Irrthuͤmer geſtuͤrzt. Ja noch mehr, ſelbſt dieſe kalte Pflichtenlehre, welche das moraliſche Geſetz mit eiſerner Ruthe uͤber das Gewiſſen ihrer Unterthanen walten laͤßt, ſelbſt dieſe kann ſich leidenſchaftlich aͤußern, und es iſt mir von einem Kantianer erzaͤhlt, der mit einer Art kaltphiloſophiſcher Wuth alle Blumen der Luſt und Poeſie aus ſeinem Herzen riß und nach den Trommel- und Taktſchlaͤgen des Kanti¬ ſchen Moralprinzips ſo eifrig, wie ein neuange¬ worbener Rekrut, auf dem Felde der Sittlichkeit ſich einexerzirte. Koͤnnen wir uns nicht an der Stelle des Schillerſchen Beiſpiels ein anderes den¬ ken, wo grade das zur hoͤchſten Einſeitigkeit aus¬ gebildete ſogenannte Pflichtgefuͤhl in Kolliſion mit den ſchoͤnern Gewalten der Liebe, ſei's nun durch Begehen oder Unterlaſſen empoͤrend und abſcheu¬

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/173>, abgerufen am 02.05.2024.