Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.24. Zu wissen, ob der Ries' es mir so leicht gemacht,Ihm stürme ohne zahl beständig abzuschlagen, Müßt ihr ihn selber sehn. Mein Herr, was soll ich sagen? Stets angefochten, stets den sieg davon zu tragen, Ist schwer. Einst, da er mich in einer mondscheinsnacht (Noch schauderts mir!) aufs äußerste gebracht, Fiel ich auf meine knie', und rief mit wunden händen Die Mutter Gottes an, mir hülfe zuzusenden. 25. Die holde HimmelsköniginErhörte mich, die Jungfrau voller gnaden. Getroffen wie vom blitz sank der versucher hin, Und lag, ohnmächtig mir zu schaden, Sechs stunden lang betäubt. So oft, seit dieser zeit, Er den verhaßten kampf erneut, Erneut dies wunder sich; stracks muß sein trotz sich legen, Und nichts vermag sein zauberring dagegen. 26. Dies war erst heute noch der fall; und nach verlaufDer sechsten stunde (vier sind schon davon verlossen) Steht er zu neuem leben auf, So frisch und stark, als hätt' ihn nichts betroffen. Des ringes werk ist dies. Solang ihn der beschützt, Kann ihm am leben nichts geschehen. Ihr glaubt nicht, was der ring für tugenden besitzt! Allein, was hält euch, selbst das alles anzusehen? 27. Nun D 4
24. Zu wiſſen, ob der Rieſ' es mir ſo leicht gemacht,Ihm ſtuͤrme ohne zahl beſtaͤndig abzuſchlagen, Muͤßt ihr ihn ſelber ſehn. Mein Herr, was ſoll ich ſagen? Stets angefochten, ſtets den ſieg davon zu tragen, Iſt ſchwer. Einſt, da er mich in einer mondſcheinsnacht (Noch ſchauderts mir!) aufs aͤußerſte gebracht, Fiel ich auf meine knie', und rief mit wunden haͤnden Die Mutter Gottes an, mir huͤlfe zuzuſenden. 25. Die holde HimmelskoͤniginErhoͤrte mich, die Jungfrau voller gnaden. Getroffen wie vom blitz ſank der verſucher hin, Und lag, ohnmaͤchtig mir zu ſchaden, Sechs ſtunden lang betaͤubt. So oft, ſeit dieſer zeit, Er den verhaßten kampf erneut, Erneut dies wunder ſich; ſtracks muß ſein trotz ſich legen, Und nichts vermag ſein zauberring dagegen. 26. Dies war erſt heute noch der fall; und nach verlaufDer ſechſten ſtunde (vier ſind ſchon davon verloſſen) Steht er zu neuem leben auf, So friſch und ſtark, als haͤtt' ihn nichts betroffen. Des ringes werk iſt dies. Solang ihn der beſchuͤtzt, Kann ihm am leben nichts geſchehen. Ihr glaubt nicht, was der ring fuͤr tugenden beſitzt! Allein, was haͤlt euch, ſelbſt das alles anzuſehen? 27. Nun D 4
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24.
Zu wiſſen, ob der Rieſ' es mir ſo leicht gemacht,
Ihm ſtuͤrme ohne zahl beſtaͤndig abzuſchlagen,
Muͤßt ihr ihn ſelber ſehn. Mein Herr, was ſoll ich ſagen?
Stets angefochten, ſtets den ſieg davon zu tragen,
Iſt ſchwer. Einſt, da er mich in einer mondſcheinsnacht
(Noch ſchauderts mir!) aufs aͤußerſte gebracht,
Fiel ich auf meine knie', und rief mit wunden haͤnden
Die Mutter Gottes an, mir huͤlfe zuzuſenden.
25.
Die holde Himmelskoͤnigin
Erhoͤrte mich, die Jungfrau voller gnaden.
Getroffen wie vom blitz ſank der verſucher hin,
Und lag, ohnmaͤchtig mir zu ſchaden,
Sechs ſtunden lang betaͤubt. So oft, ſeit dieſer zeit,
Er den verhaßten kampf erneut,
Erneut dies wunder ſich; ſtracks muß ſein trotz ſich legen,
Und nichts vermag ſein zauberring dagegen.
26.
Dies war erſt heute noch der fall; und nach verlauf
Der ſechſten ſtunde (vier ſind ſchon davon verloſſen)
Steht er zu neuem leben auf,
So friſch und ſtark, als haͤtt' ihn nichts betroffen.
Des ringes werk iſt dies. Solang ihn der beſchuͤtzt,
Kann ihm am leben nichts geſchehen.
Ihr glaubt nicht, was der ring fuͤr tugenden beſitzt!
Allein, was haͤlt euch, ſelbſt das alles anzuſehen?
27. Nun
D 4
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Zitationshilfe: | Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/61>, abgerufen am 28.07.2024. |