Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.5. Der Sultan, übertäubt von so viel wunderdingen,Scheint mit dem tod den lezten kampf zu ringen; Sein arm ist nervenlos, sein athem schwer, Sein puls schlägt matt, und endlich gar nicht mehr. Auf einmal schweigt der sturm; ein lieblichsäuselnd wehen Erfüllt den saal mit frischem lilienduft, Und, wie ein Engelsbild ob einer todtengruft, Läßt Ob'ron sich auf einem wölkchen sehen. 6. Ein lauter schrey des schreckens und der lustEntfährt der Perserin; ein unfreywilligs grauen Bekämpft in ihr das schüchterne vertrauen: Die arme über ihre brust Gefaltet, steht sie glüend neben Dem Jüngling da, dem sie ihr herz gegeben, Und wagt, der süßen schuld jungfräulich sich bewußt, Zu ihrem Retter kaum die augen zu erheben. 7. Gut, Hüon, spricht der Geist, du hast dein ehrenwortGelößt, ich bin mit dir zufrieden. Zum ritterdank ist dir dies schöne Weib beschieden! Doch, eh ihr euch entfernt von diesem ort, Bedenke Rezia, wozu sie sich entschließet, Eh sie vielleicht mit unfruchtbarer reu Die rasche wahl verführter augen büßet! Zu bleiben oder gehn läßt ihr das Schiksal frey. 8. So H 2
5. Der Sultan, uͤbertaͤubt von ſo viel wunderdingen,Scheint mit dem tod den lezten kampf zu ringen; Sein arm iſt nervenlos, ſein athem ſchwer, Sein puls ſchlaͤgt matt, und endlich gar nicht mehr. Auf einmal ſchweigt der ſturm; ein lieblichſaͤuſelnd wehen Erfuͤllt den ſaal mit friſchem lilienduft, Und, wie ein Engelsbild ob einer todtengruft, Laͤßt Ob'ron ſich auf einem woͤlkchen ſehen. 6. Ein lauter ſchrey des ſchreckens und der luſtEntfaͤhrt der Perſerin; ein unfreywilligs grauen Bekaͤmpft in ihr das ſchuͤchterne vertrauen: Die arme uͤber ihre bruſt Gefaltet, ſteht ſie gluͤend neben Dem Juͤngling da, dem ſie ihr herz gegeben, Und wagt, der ſuͤßen ſchuld jungfraͤulich ſich bewußt, Zu ihrem Retter kaum die augen zu erheben. 7. Gut, Huͤon, ſpricht der Geiſt, du haſt dein ehrenwortGeloͤßt, ich bin mit dir zufrieden. Zum ritterdank iſt dir dies ſchoͤne Weib beſchieden! Doch, eh ihr euch entfernt von dieſem ort, Bedenke Rezia, wozu ſie ſich entſchließet, Eh ſie vielleicht mit unfruchtbarer reu Die raſche wahl verfuͤhrter augen buͤßet! Zu bleiben oder gehn laͤßt ihr das Schiksal frey. 8. So H 2
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5.
Der Sultan, uͤbertaͤubt von ſo viel wunderdingen,
Scheint mit dem tod den lezten kampf zu ringen;
Sein arm iſt nervenlos, ſein athem ſchwer,
Sein puls ſchlaͤgt matt, und endlich gar nicht mehr.
Auf einmal ſchweigt der ſturm; ein lieblichſaͤuſelnd wehen
Erfuͤllt den ſaal mit friſchem lilienduft,
Und, wie ein Engelsbild ob einer todtengruft,
Laͤßt Ob'ron ſich auf einem woͤlkchen ſehen.
6.
Ein lauter ſchrey des ſchreckens und der luſt
Entfaͤhrt der Perſerin; ein unfreywilligs grauen
Bekaͤmpft in ihr das ſchuͤchterne vertrauen:
Die arme uͤber ihre bruſt
Gefaltet, ſteht ſie gluͤend neben
Dem Juͤngling da, dem ſie ihr herz gegeben,
Und wagt, der ſuͤßen ſchuld jungfraͤulich ſich bewußt,
Zu ihrem Retter kaum die augen zu erheben.
7.
Gut, Huͤon, ſpricht der Geiſt, du haſt dein ehrenwort
Geloͤßt, ich bin mit dir zufrieden.
Zum ritterdank iſt dir dies ſchoͤne Weib beſchieden!
Doch, eh ihr euch entfernt von dieſem ort,
Bedenke Rezia, wozu ſie ſich entſchließet,
Eh ſie vielleicht mit unfruchtbarer reu
Die raſche wahl verfuͤhrter augen buͤßet!
Zu bleiben oder gehn laͤßt ihr das Schiksal frey.
8. So
H 2
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Zitationshilfe: | Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/121>, abgerufen am 16.02.2025. |