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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Achtes Buch, fünftes Capitel.
bens in müssiger Wollust verderben lassen? Sollte nicht
eilen, dem Göttlichen Weisen, dessen erhabene Lehren
er zu Athen so rühmlich auszuüben angefangen hatte,
ein so glorreiches Werk vollenden zu helfen, als die Ver-
wandlung eines zügellosen Tyrannen in einen guten Für-
sten, und die Befestigung der allgemeinen Glükseligkeit
einer ganzen Nation? -- was für Arbeiten! was
für Aussichten für eine Seele wie die seinige! Sein gan-
zes Herz wallte ihnen entgegen; er fühlte wieder, daß
er Agathon war -- fühlte diese moralische Lebens-
Kraft wieder, die uns Muth und Begierden giebt, uns
zu einer edeln Bestimmung gebohren zu glauben; und
diese Achtung für sich selbst, welche eine von den stärk-
sten Schwingfedern der Tugend ist. Nun brauchte es
keinen Kampf, keine Bestrebung mehr, sich von Danae
loßzureissen, um mit dem Feuer eines Liebhabers, der
nach einer langen Trennung zu seiner Geliebten zurük-
kehrt, sich wieder in die Arme der Tugend zu werfen.
Sein Freund von Syracus hatte keine Ueberredungen
nöthig; Agathon nahm sein Anerbieten mit der lebhaf-
testen Freude an. Da er von allen Geschenken, womit
ihn die freygebige Danae überhäuft hatte, nichts mit
sich nehmen wollte, als das wenige, was zu den Be-
dürfnissen seiner Reise unentbehrlich war, so brauchte
er wenig Zeit, um reisefertig zu seyn. Die günstigsten
Winde schwellten die Segel, welche ihn aus dem ver-
derblichen Smyrna entfernen sollten; und so herrlich
war der Triumph, den die Tugend in dieser glüklichen

Stunde
D 3

Achtes Buch, fuͤnftes Capitel.
bens in muͤſſiger Wolluſt verderben laſſen? Sollte nicht
eilen, dem Goͤttlichen Weiſen, deſſen erhabene Lehren
er zu Athen ſo ruͤhmlich auszuuͤben angefangen hatte,
ein ſo glorreiches Werk vollenden zu helfen, als die Ver-
wandlung eines zuͤgelloſen Tyrannen in einen guten Fuͤr-
ſten, und die Befeſtigung der allgemeinen Gluͤkſeligkeit
einer ganzen Nation? — was fuͤr Arbeiten! was
fuͤr Ausſichten fuͤr eine Seele wie die ſeinige! Sein gan-
zes Herz wallte ihnen entgegen; er fuͤhlte wieder, daß
er Agathon war — fuͤhlte dieſe moraliſche Lebens-
Kraft wieder, die uns Muth und Begierden giebt, uns
zu einer edeln Beſtimmung gebohren zu glauben; und
dieſe Achtung fuͤr ſich ſelbſt, welche eine von den ſtaͤrk-
ſten Schwingfedern der Tugend iſt. Nun brauchte es
keinen Kampf, keine Beſtrebung mehr, ſich von Danae
loßzureiſſen, um mit dem Feuer eines Liebhabers, der
nach einer langen Trennung zu ſeiner Geliebten zuruͤk-
kehrt, ſich wieder in die Arme der Tugend zu werfen.
Sein Freund von Syracus hatte keine Ueberredungen
noͤthig; Agathon nahm ſein Anerbieten mit der lebhaf-
teſten Freude an. Da er von allen Geſchenken, womit
ihn die freygebige Danae uͤberhaͤuft hatte, nichts mit
ſich nehmen wollte, als das wenige, was zu den Be-
duͤrfniſſen ſeiner Reiſe unentbehrlich war, ſo brauchte
er wenig Zeit, um reiſefertig zu ſeyn. Die guͤnſtigſten
Winde ſchwellten die Segel, welche ihn aus dem ver-
derblichen Smyrna entfernen ſollten; und ſo herrlich
war der Triumph, den die Tugend in dieſer gluͤklichen

Stunde
D 3
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[53/0055] Achtes Buch, fuͤnftes Capitel. bens in muͤſſiger Wolluſt verderben laſſen? Sollte nicht eilen, dem Goͤttlichen Weiſen, deſſen erhabene Lehren er zu Athen ſo ruͤhmlich auszuuͤben angefangen hatte, ein ſo glorreiches Werk vollenden zu helfen, als die Ver- wandlung eines zuͤgelloſen Tyrannen in einen guten Fuͤr- ſten, und die Befeſtigung der allgemeinen Gluͤkſeligkeit einer ganzen Nation? — was fuͤr Arbeiten! was fuͤr Ausſichten fuͤr eine Seele wie die ſeinige! Sein gan- zes Herz wallte ihnen entgegen; er fuͤhlte wieder, daß er Agathon war — fuͤhlte dieſe moraliſche Lebens- Kraft wieder, die uns Muth und Begierden giebt, uns zu einer edeln Beſtimmung gebohren zu glauben; und dieſe Achtung fuͤr ſich ſelbſt, welche eine von den ſtaͤrk- ſten Schwingfedern der Tugend iſt. Nun brauchte es keinen Kampf, keine Beſtrebung mehr, ſich von Danae loßzureiſſen, um mit dem Feuer eines Liebhabers, der nach einer langen Trennung zu ſeiner Geliebten zuruͤk- kehrt, ſich wieder in die Arme der Tugend zu werfen. Sein Freund von Syracus hatte keine Ueberredungen noͤthig; Agathon nahm ſein Anerbieten mit der lebhaf- teſten Freude an. Da er von allen Geſchenken, womit ihn die freygebige Danae uͤberhaͤuft hatte, nichts mit ſich nehmen wollte, als das wenige, was zu den Be- duͤrfniſſen ſeiner Reiſe unentbehrlich war, ſo brauchte er wenig Zeit, um reiſefertig zu ſeyn. Die guͤnſtigſten Winde ſchwellten die Segel, welche ihn aus dem ver- derblichen Smyrna entfernen ſollten; und ſo herrlich war der Triumph, den die Tugend in dieſer gluͤklichen Stunde D 3

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/55>, abgerufen am 29.03.2024.