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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
sichten der zweyte Agathon; allein die Umstände liessen
so wenig Hofnung zu, daß eine rechtmässige Verbin-
dung zwischen ihnen möglich seyn könnte, daß Psyche
sich verbunden hielt, ihm dasjenige, was zu seinem
Vortheil in ihrem Herzen vorgieng, desto sorgfältiger
zu verbergen, je entschlossener er war, seiner Liebe
alle andre Betrachtungen aufzuopfern. Endlich wußte
er sich nicht anders zu helfen, als daß er das Geheim-
nis seines Herzens demjenigen entdekte, dessen Beyfall
er am wenigsten zu erhalten hoffen konnte. Die ganze
Beredsamkeit der begeisterten Liebe würde über einen
Weisen, wie Archytas war, wenig vermocht haben;
aber Critolaus sagte so viel ausserordentliches von dem
Geist und der Tugend seiner Geliebten, daß sein Va-
ter endlich aufmerksam zu werden anfieng. Archytas
hatte die Macht des Dämons der Liebe nie erfahren;
aber er war menschlich, gütig, und über die gemeine
Vorurtheile und Absichten erhaben. Ein schönes und
tugendhaftes Mädchen war in seinen Augen ein sehr
edles Geschöpfe, dessen Werth durch den Schatten der
Niedrigkeit und Armuth nur desto mehr erhaben wurde.
Kaum wurde der junge Critolaus gewahr, daß sein
Vater zu wanken anfieng; so wagte er's, ihm das Ge-
heimniß der Geburt seiner Geliebten zu entdeken, wel-
ches ihm Clonarion, in Hofnung, daß es gute Folgen
haben könnte, ohne Wissen der schönen Psyche vertraut
hatte. Archytas, welchem Stratonicus ehmals seine
heimliche Verbindung mit Musarion entdekt hatte, war
über diesen Zufall nicht wenig erfreut; er wünschte nichts

mehr,

Agathon.
ſichten der zweyte Agathon; allein die Umſtaͤnde lieſſen
ſo wenig Hofnung zu, daß eine rechtmaͤſſige Verbin-
dung zwiſchen ihnen moͤglich ſeyn koͤnnte, daß Pſyche
ſich verbunden hielt, ihm dasjenige, was zu ſeinem
Vortheil in ihrem Herzen vorgieng, deſto ſorgfaͤltiger
zu verbergen, je entſchloſſener er war, ſeiner Liebe
alle andre Betrachtungen aufzuopfern. Endlich wußte
er ſich nicht anders zu helfen, als daß er das Geheim-
nis ſeines Herzens demjenigen entdekte, deſſen Beyfall
er am wenigſten zu erhalten hoffen konnte. Die ganze
Beredſamkeit der begeiſterten Liebe wuͤrde uͤber einen
Weiſen, wie Archytas war, wenig vermocht haben;
aber Critolaus ſagte ſo viel auſſerordentliches von dem
Geiſt und der Tugend ſeiner Geliebten, daß ſein Va-
ter endlich aufmerkſam zu werden anfieng. Archytas
hatte die Macht des Daͤmons der Liebe nie erfahren;
aber er war menſchlich, guͤtig, und uͤber die gemeine
Vorurtheile und Abſichten erhaben. Ein ſchoͤnes und
tugendhaftes Maͤdchen war in ſeinen Augen ein ſehr
edles Geſchoͤpfe, deſſen Werth durch den Schatten der
Niedrigkeit und Armuth nur deſto mehr erhaben wurde.
Kaum wurde der junge Critolaus gewahr, daß ſein
Vater zu wanken anfieng; ſo wagte er’s, ihm das Ge-
heimniß der Geburt ſeiner Geliebten zu entdeken, wel-
ches ihm Clonarion, in Hofnung, daß es gute Folgen
haben koͤnnte, ohne Wiſſen der ſchoͤnen Pſyche vertraut
hatte. Archytas, welchem Stratonicus ehmals ſeine
heimliche Verbindung mit Muſarion entdekt hatte, war
uͤber dieſen Zufall nicht wenig erfreut; er wuͤnſchte nichts

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[326/0328] Agathon. ſichten der zweyte Agathon; allein die Umſtaͤnde lieſſen ſo wenig Hofnung zu, daß eine rechtmaͤſſige Verbin- dung zwiſchen ihnen moͤglich ſeyn koͤnnte, daß Pſyche ſich verbunden hielt, ihm dasjenige, was zu ſeinem Vortheil in ihrem Herzen vorgieng, deſto ſorgfaͤltiger zu verbergen, je entſchloſſener er war, ſeiner Liebe alle andre Betrachtungen aufzuopfern. Endlich wußte er ſich nicht anders zu helfen, als daß er das Geheim- nis ſeines Herzens demjenigen entdekte, deſſen Beyfall er am wenigſten zu erhalten hoffen konnte. Die ganze Beredſamkeit der begeiſterten Liebe wuͤrde uͤber einen Weiſen, wie Archytas war, wenig vermocht haben; aber Critolaus ſagte ſo viel auſſerordentliches von dem Geiſt und der Tugend ſeiner Geliebten, daß ſein Va- ter endlich aufmerkſam zu werden anfieng. Archytas hatte die Macht des Daͤmons der Liebe nie erfahren; aber er war menſchlich, guͤtig, und uͤber die gemeine Vorurtheile und Abſichten erhaben. Ein ſchoͤnes und tugendhaftes Maͤdchen war in ſeinen Augen ein ſehr edles Geſchoͤpfe, deſſen Werth durch den Schatten der Niedrigkeit und Armuth nur deſto mehr erhaben wurde. Kaum wurde der junge Critolaus gewahr, daß ſein Vater zu wanken anfieng; ſo wagte er’s, ihm das Ge- heimniß der Geburt ſeiner Geliebten zu entdeken, wel- ches ihm Clonarion, in Hofnung, daß es gute Folgen haben koͤnnte, ohne Wiſſen der ſchoͤnen Pſyche vertraut hatte. Archytas, welchem Stratonicus ehmals ſeine heimliche Verbindung mit Muſarion entdekt hatte, war uͤber dieſen Zufall nicht wenig erfreut; er wuͤnſchte nichts mehr,

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/328>, abgerufen am 23.04.2024.