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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Zehentes Buch, drittes Capitel.
kommen waren. Vermuthlich verfälschte die Lebhaftig-
keit des gegenwärtigen Gefühls sein Urtheil über diesen
Punct ein wenig; denn in der That scheint der ganze
Unterschied zwischen der republicanischen und höfischen
Falschheit darinn zu bestehen, daß man in Republiken
genöthiget ist, die ganze äusserliche Form tugendhafter
Sitten anzunehmen; da man hingegen an Höfen genug
gethan hat, wenn man den Lastern, welche des Fürsten
Beyspiel adelt, oder wodurch seine Absichten befördert
werden, tugendhafte Namen giebt. Allein im Grunde
ist es nicht ekelhafter, einen hüpfenden, schmeichelnden,
unterthänigen, vergoldeten Schurken zu eben der Zeit,
da er sich vollkommen wol bewußt ist, nie keine Ehre
gehabt zu haben, oder in diesem Augenblik im Begrif
ist, wofern er eine hätte, sie zu verliehren -- von den
Pflichten gegen seine Ehre reden zu hören; als einen
gesezten, schwerfälligen, gravitätischen Schurken zu se-
hen, der unter dem Schuz seiner Nüchternheit, Ein-
gezogenheit und pünctlichen Beobachtung aller äusserlichen
Formalitäten der Religion und der Geseze, ein unver-
söhnlicher Feind aller derjenigen ist, welche anders den-
ken als er, oder nicht zu allen seinen Absichten helfen
wollen; und sich nicht das mindeste Bedenken macht,
so bald es seine Convenienz erfordert, eine gute Sache
zu unterdrüken, oder eine böse mit seinem ganzen An-
sehen zu unterstüzen. Unpartheyisch betrachtet, ist dieser
noch der schlimmere Mann; denn er ist ein eigentlicher
Heuchler: Da jener nur ein Comödiant ist, der nicht
verlangt, daß man ihn würklich für das halten solle,

wofür
Q 2

Zehentes Buch, drittes Capitel.
kommen waren. Vermuthlich verfaͤlſchte die Lebhaftig-
keit des gegenwaͤrtigen Gefuͤhls ſein Urtheil uͤber dieſen
Punct ein wenig; denn in der That ſcheint der ganze
Unterſchied zwiſchen der republicaniſchen und hoͤfiſchen
Falſchheit darinn zu beſtehen, daß man in Republiken
genoͤthiget iſt, die ganze aͤuſſerliche Form tugendhafter
Sitten anzunehmen; da man hingegen an Hoͤfen genug
gethan hat, wenn man den Laſtern, welche des Fuͤrſten
Beyſpiel adelt, oder wodurch ſeine Abſichten befoͤrdert
werden, tugendhafte Namen giebt. Allein im Grunde
iſt es nicht ekelhafter, einen huͤpfenden, ſchmeichelnden,
unterthaͤnigen, vergoldeten Schurken zu eben der Zeit,
da er ſich vollkommen wol bewußt iſt, nie keine Ehre
gehabt zu haben, oder in dieſem Augenblik im Begrif
iſt, wofern er eine haͤtte, ſie zu verliehren ‒‒ von den
Pflichten gegen ſeine Ehre reden zu hoͤren; als einen
geſezten, ſchwerfaͤlligen, gravitaͤtiſchen Schurken zu ſe-
hen, der unter dem Schuz ſeiner Nuͤchternheit, Ein-
gezogenheit und puͤnctlichen Beobachtung aller aͤuſſerlichen
Formalitaͤten der Religion und der Geſeze, ein unver-
ſoͤhnlicher Feind aller derjenigen iſt, welche anders den-
ken als er, oder nicht zu allen ſeinen Abſichten helfen
wollen; und ſich nicht das mindeſte Bedenken macht,
ſo bald es ſeine Convenienz erfordert, eine gute Sache
zu unterdruͤken, oder eine boͤſe mit ſeinem ganzen An-
ſehen zu unterſtuͤzen. Unpartheyiſch betrachtet, iſt dieſer
noch der ſchlimmere Mann; denn er iſt ein eigentlicher
Heuchler: Da jener nur ein Comoͤdiant iſt, der nicht
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[243/0245] Zehentes Buch, drittes Capitel. kommen waren. Vermuthlich verfaͤlſchte die Lebhaftig- keit des gegenwaͤrtigen Gefuͤhls ſein Urtheil uͤber dieſen Punct ein wenig; denn in der That ſcheint der ganze Unterſchied zwiſchen der republicaniſchen und hoͤfiſchen Falſchheit darinn zu beſtehen, daß man in Republiken genoͤthiget iſt, die ganze aͤuſſerliche Form tugendhafter Sitten anzunehmen; da man hingegen an Hoͤfen genug gethan hat, wenn man den Laſtern, welche des Fuͤrſten Beyſpiel adelt, oder wodurch ſeine Abſichten befoͤrdert werden, tugendhafte Namen giebt. Allein im Grunde iſt es nicht ekelhafter, einen huͤpfenden, ſchmeichelnden, unterthaͤnigen, vergoldeten Schurken zu eben der Zeit, da er ſich vollkommen wol bewußt iſt, nie keine Ehre gehabt zu haben, oder in dieſem Augenblik im Begrif iſt, wofern er eine haͤtte, ſie zu verliehren ‒‒ von den Pflichten gegen ſeine Ehre reden zu hoͤren; als einen geſezten, ſchwerfaͤlligen, gravitaͤtiſchen Schurken zu ſe- hen, der unter dem Schuz ſeiner Nuͤchternheit, Ein- gezogenheit und puͤnctlichen Beobachtung aller aͤuſſerlichen Formalitaͤten der Religion und der Geſeze, ein unver- ſoͤhnlicher Feind aller derjenigen iſt, welche anders den- ken als er, oder nicht zu allen ſeinen Abſichten helfen wollen; und ſich nicht das mindeſte Bedenken macht, ſo bald es ſeine Convenienz erfordert, eine gute Sache zu unterdruͤken, oder eine boͤſe mit ſeinem ganzen An- ſehen zu unterſtuͤzen. Unpartheyiſch betrachtet, iſt dieſer noch der ſchlimmere Mann; denn er iſt ein eigentlicher Heuchler: Da jener nur ein Comoͤdiant iſt, der nicht verlangt, daß man ihn wuͤrklich fuͤr das halten ſolle, wofuͤr Q 2

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/245>, abgerufen am 24.04.2024.