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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
anders gemacht haben? Wie oft überraschen sie uns
durch Begebenheiten, zu denen wir nicht im mindesten
vorbereitet waren? Wie oft sehen wir Personen kommen
und wieder abtreten, ohne daß sich begreiffen läßt,
warum sie kamen, oder warum sie wieder verschwin-
den? Wie viel wird in beyden dem Zufall überlassen?
Wie oft sehen wir die grössesten Würkungen durch die
armseligsten Ursachen hervorgebracht? Wie oft das Ernst-
hafte und Wichtige mit einer leichtsinnigen Art, und das
Nichtsbedeutende mit lächerlicher Gravität behandelt?
Und wenn in beyden endlich alles so kläglich verworren
und durch einander geschlungen ist, daß man an der
Möglichkeit der Entwiklung zu verzweiffeln anfängt;
wie glüklich sehen wir durch irgend einen unter Bliz
und Donner aus papiernen Wolken herabspringenden
Gott, oder durch einen frischen Degen-Hieb den Kno-
ten auf einmal zwar nicht aufgelößt, aber doch aufge-
schnitten, welches in so fern auf eines hinaus lauft,
daß auf die eine oder andere Art das Stük ein Ende
hat, und die Zuschauer klatschen oder zischen können,
wie sie wollen oder -- dürfen. Uebrigens weiß man,
was für eine wichtige Person in den comischen Tragö-
dien, wovon wir reden, der edle Hans Wurst vorstellt,
der sich, vermuthlich zum ewigen Denkmal des Ge-
schmaks unsrer Voreltern, auf dem Theater der Haupt-
stadt des deutschen Reichs erhalten zu wollen scheint.
Wollte Gott, daß er seine Person allein auf dem Thea-
ter vorstellte! Aber wie viele grosse Aufzüge auf dem
Schauplaze der Welt hat man nicht in allen Zeiten mit

Hans

Agathon.
anders gemacht haben? Wie oft uͤberraſchen ſie uns
durch Begebenheiten, zu denen wir nicht im mindeſten
vorbereitet waren? Wie oft ſehen wir Perſonen kommen
und wieder abtreten, ohne daß ſich begreiffen laͤßt,
warum ſie kamen, oder warum ſie wieder verſchwin-
den? Wie viel wird in beyden dem Zufall uͤberlaſſen?
Wie oft ſehen wir die groͤſſeſten Wuͤrkungen durch die
armſeligſten Urſachen hervorgebracht? Wie oft das Ernſt-
hafte und Wichtige mit einer leichtſinnigen Art, und das
Nichtsbedeutende mit laͤcherlicher Gravitaͤt behandelt?
Und wenn in beyden endlich alles ſo klaͤglich verworren
und durch einander geſchlungen iſt, daß man an der
Moͤglichkeit der Entwiklung zu verzweiffeln anfaͤngt;
wie gluͤklich ſehen wir durch irgend einen unter Bliz
und Donner aus papiernen Wolken herabſpringenden
Gott, oder durch einen friſchen Degen-Hieb den Kno-
ten auf einmal zwar nicht aufgeloͤßt, aber doch aufge-
ſchnitten, welches in ſo fern auf eines hinaus lauft,
daß auf die eine oder andere Art das Stuͤk ein Ende
hat, und die Zuſchauer klatſchen oder ziſchen koͤnnen,
wie ſie wollen oder ‒‒ duͤrfen. Uebrigens weiß man,
was fuͤr eine wichtige Perſon in den comiſchen Tragoͤ-
dien, wovon wir reden, der edle Hans Wurſt vorſtellt,
der ſich, vermuthlich zum ewigen Denkmal des Ge-
ſchmaks unſrer Voreltern, auf dem Theater der Haupt-
ſtadt des deutſchen Reichs erhalten zu wollen ſcheint.
Wollte Gott, daß er ſeine Perſon allein auf dem Thea-
ter vorſtellte! Aber wie viele groſſe Aufzuͤge auf dem
Schauplaze der Welt hat man nicht in allen Zeiten mit

Hans
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[194/0196] Agathon. anders gemacht haben? Wie oft uͤberraſchen ſie uns durch Begebenheiten, zu denen wir nicht im mindeſten vorbereitet waren? Wie oft ſehen wir Perſonen kommen und wieder abtreten, ohne daß ſich begreiffen laͤßt, warum ſie kamen, oder warum ſie wieder verſchwin- den? Wie viel wird in beyden dem Zufall uͤberlaſſen? Wie oft ſehen wir die groͤſſeſten Wuͤrkungen durch die armſeligſten Urſachen hervorgebracht? Wie oft das Ernſt- hafte und Wichtige mit einer leichtſinnigen Art, und das Nichtsbedeutende mit laͤcherlicher Gravitaͤt behandelt? Und wenn in beyden endlich alles ſo klaͤglich verworren und durch einander geſchlungen iſt, daß man an der Moͤglichkeit der Entwiklung zu verzweiffeln anfaͤngt; wie gluͤklich ſehen wir durch irgend einen unter Bliz und Donner aus papiernen Wolken herabſpringenden Gott, oder durch einen friſchen Degen-Hieb den Kno- ten auf einmal zwar nicht aufgeloͤßt, aber doch aufge- ſchnitten, welches in ſo fern auf eines hinaus lauft, daß auf die eine oder andere Art das Stuͤk ein Ende hat, und die Zuſchauer klatſchen oder ziſchen koͤnnen, wie ſie wollen oder ‒‒ duͤrfen. Uebrigens weiß man, was fuͤr eine wichtige Perſon in den comiſchen Tragoͤ- dien, wovon wir reden, der edle Hans Wurſt vorſtellt, der ſich, vermuthlich zum ewigen Denkmal des Ge- ſchmaks unſrer Voreltern, auf dem Theater der Haupt- ſtadt des deutſchen Reichs erhalten zu wollen ſcheint. Wollte Gott, daß er ſeine Perſon allein auf dem Thea- ter vorſtellte! Aber wie viele groſſe Aufzuͤge auf dem Schauplaze der Welt hat man nicht in allen Zeiten mit Hans

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/196>, abgerufen am 26.04.2024.