Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Agathon.
waren einige zugegen, welche davor gelten konnten)
bewunderten am meisten, daß er die Kunstgriffe ver-
schmähte, wodurch die Sophisten gewohnt waren, einer
schlimmen Sache die Gestalt einer guten zu geben --
Keine Farben, welche durch ihren Glanz das Betrüg-
liche falscher oder umsonst angenommener Säze verber-
gen mußten; keine künstliche Austheilung des Lichts und
des Schattens. Sein Ausdruk gliech dem Sonnenschein,
dessen lebender und fast geistiger Glanz sich den Gegen-
ständen mittheilt, ohne ihnen etwas von ihrer eigenen
Gestalt und Farbe zu benehmen.

Jndessen müssen wir gestehen, daß er ein wenig grau-
sam mit den Republiken umgieng. Er bewies, oder
schien doch allen die ihn hörten zu beweisen, daß diese
Art von Gesellschaft ihren Ursprung in dem wilden
Chaos der Anarchie genommen, und daß die Weisheit
ihrer Gesezgeber sich mit schwachem Erfolg bemühet
hätte, Ordnung und Consistenz in eine Verfassung zu
bringen, welche ihrer Natur nach, in steter Unruh und
innerlicher Gährung alle Augenblike Gefahr lauffe, sich
durch ihre eigene Kräfte aufzureiben, und welche des
Ruhestandes so wenig fähig sey, daß eine solche Ruhe
in derselben vielmehr die Folge der äussersten Verderb-
niß, und gleich einer Windstille auf dem Meer, der
gewisse Vorbote des Sturms und Untergangs seyn würde.
Er zeigte, daß die Tugend, dieses geheiligte Palladium
der Freystaaten, an dessen Erhaltung ihre Gesezgeber
das ganze Glük derselben gebunden hätten, eine Art

von

Agathon.
waren einige zugegen, welche davor gelten konnten)
bewunderten am meiſten, daß er die Kunſtgriffe ver-
ſchmaͤhte, wodurch die Sophiſten gewohnt waren, einer
ſchlimmen Sache die Geſtalt einer guten zu geben ‒‒
Keine Farben, welche durch ihren Glanz das Betruͤg-
liche falſcher oder umſonſt angenommener Saͤze verber-
gen mußten; keine kuͤnſtliche Austheilung des Lichts und
des Schattens. Sein Ausdruk gliech dem Sonnenſchein,
deſſen lebender und faſt geiſtiger Glanz ſich den Gegen-
ſtaͤnden mittheilt, ohne ihnen etwas von ihrer eigenen
Geſtalt und Farbe zu benehmen.

Jndeſſen muͤſſen wir geſtehen, daß er ein wenig grau-
ſam mit den Republiken umgieng. Er bewies, oder
ſchien doch allen die ihn hoͤrten zu beweiſen, daß dieſe
Art von Geſellſchaft ihren Urſprung in dem wilden
Chaos der Anarchie genommen, und daß die Weisheit
ihrer Geſezgeber ſich mit ſchwachem Erfolg bemuͤhet
haͤtte, Ordnung und Conſiſtenz in eine Verfaſſung zu
bringen, welche ihrer Natur nach, in ſteter Unruh und
innerlicher Gaͤhrung alle Augenblike Gefahr lauffe, ſich
durch ihre eigene Kraͤfte aufzureiben, und welche des
Ruheſtandes ſo wenig faͤhig ſey, daß eine ſolche Ruhe
in derſelben vielmehr die Folge der aͤuſſerſten Verderb-
niß, und gleich einer Windſtille auf dem Meer, der
gewiſſe Vorbote des Sturms und Untergangs ſeyn wuͤrde.
Er zeigte, daß die Tugend, dieſes geheiligte Palladium
der Freyſtaaten, an deſſen Erhaltung ihre Geſezgeber
das ganze Gluͤk derſelben gebunden haͤtten, eine Art

von
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0180" n="178"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon.</hi></hi></fw><lb/>
waren einige zugegen, welche davor gelten konnten)<lb/>
bewunderten am mei&#x017F;ten, daß er die Kun&#x017F;tgriffe ver-<lb/>
&#x017F;chma&#x0364;hte, wodurch die Sophi&#x017F;ten gewohnt waren, einer<lb/>
&#x017F;chlimmen Sache die Ge&#x017F;talt einer guten zu geben &#x2012;&#x2012;<lb/>
Keine Farben, welche durch ihren Glanz das Betru&#x0364;g-<lb/>
liche fal&#x017F;cher oder um&#x017F;on&#x017F;t angenommener Sa&#x0364;ze verber-<lb/>
gen mußten; keine ku&#x0364;n&#x017F;tliche Austheilung des Lichts und<lb/>
des Schattens. Sein Ausdruk gliech dem Sonnen&#x017F;chein,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en lebender und fa&#x017F;t gei&#x017F;tiger Glanz &#x017F;ich den Gegen-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nden mittheilt, ohne ihnen etwas von ihrer eigenen<lb/>
Ge&#x017F;talt und Farbe zu benehmen.</p><lb/>
            <p>Jnde&#x017F;&#x017F;en mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir ge&#x017F;tehen, daß er ein wenig grau-<lb/>
&#x017F;am mit den Republiken umgieng. Er bewies, oder<lb/>
&#x017F;chien doch allen die ihn ho&#x0364;rten zu bewei&#x017F;en, daß die&#x017F;e<lb/>
Art von Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft ihren Ur&#x017F;prung in dem wilden<lb/>
Chaos der Anarchie genommen, und daß die Weisheit<lb/>
ihrer Ge&#x017F;ezgeber &#x017F;ich mit &#x017F;chwachem Erfolg bemu&#x0364;het<lb/>
ha&#x0364;tte, Ordnung und Con&#x017F;i&#x017F;tenz in eine Verfa&#x017F;&#x017F;ung zu<lb/>
bringen, welche ihrer Natur nach, in &#x017F;teter Unruh und<lb/>
innerlicher Ga&#x0364;hrung alle Augenblike Gefahr lauffe, &#x017F;ich<lb/>
durch ihre eigene Kra&#x0364;fte aufzureiben, und welche des<lb/>
Ruhe&#x017F;tandes &#x017F;o wenig fa&#x0364;hig &#x017F;ey, daß eine &#x017F;olche Ruhe<lb/>
in der&#x017F;elben vielmehr die Folge der a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ten Verderb-<lb/>
niß, und gleich einer Wind&#x017F;tille auf dem Meer, der<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;e Vorbote des Sturms und Untergangs &#x017F;eyn wu&#x0364;rde.<lb/>
Er zeigte, daß die Tugend, die&#x017F;es geheiligte Palladium<lb/>
der Frey&#x017F;taaten, an de&#x017F;&#x017F;en Erhaltung ihre Ge&#x017F;ezgeber<lb/>
das ganze Glu&#x0364;k der&#x017F;elben gebunden ha&#x0364;tten, eine Art<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[178/0180] Agathon. waren einige zugegen, welche davor gelten konnten) bewunderten am meiſten, daß er die Kunſtgriffe ver- ſchmaͤhte, wodurch die Sophiſten gewohnt waren, einer ſchlimmen Sache die Geſtalt einer guten zu geben ‒‒ Keine Farben, welche durch ihren Glanz das Betruͤg- liche falſcher oder umſonſt angenommener Saͤze verber- gen mußten; keine kuͤnſtliche Austheilung des Lichts und des Schattens. Sein Ausdruk gliech dem Sonnenſchein, deſſen lebender und faſt geiſtiger Glanz ſich den Gegen- ſtaͤnden mittheilt, ohne ihnen etwas von ihrer eigenen Geſtalt und Farbe zu benehmen. Jndeſſen muͤſſen wir geſtehen, daß er ein wenig grau- ſam mit den Republiken umgieng. Er bewies, oder ſchien doch allen die ihn hoͤrten zu beweiſen, daß dieſe Art von Geſellſchaft ihren Urſprung in dem wilden Chaos der Anarchie genommen, und daß die Weisheit ihrer Geſezgeber ſich mit ſchwachem Erfolg bemuͤhet haͤtte, Ordnung und Conſiſtenz in eine Verfaſſung zu bringen, welche ihrer Natur nach, in ſteter Unruh und innerlicher Gaͤhrung alle Augenblike Gefahr lauffe, ſich durch ihre eigene Kraͤfte aufzureiben, und welche des Ruheſtandes ſo wenig faͤhig ſey, daß eine ſolche Ruhe in derſelben vielmehr die Folge der aͤuſſerſten Verderb- niß, und gleich einer Windſtille auf dem Meer, der gewiſſe Vorbote des Sturms und Untergangs ſeyn wuͤrde. Er zeigte, daß die Tugend, dieſes geheiligte Palladium der Freyſtaaten, an deſſen Erhaltung ihre Geſezgeber das ganze Gluͤk derſelben gebunden haͤtten, eine Art von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/180
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/180>, abgerufen am 27.04.2024.