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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Neuntes Buch, fünftes Capitel.
Philistus merkte, mit einer Unerschrokenheit, welche
diesem keinen Triumph prophezeyte, für die Monarchie;
und nachdem seine Geguer, (unter denen Antisthenes
und der Sophist Protagoras alle ihre Kräfte anstrenge-
ten, die Vorzüge der Freystaaten zu erheben) zu reden
aufgehört hatten, sieng er damit an, daß er ihren
Gründen noch mehr Stärke gab, als sie selbst zu thun
fähig gewesen waren. Die Aufmerksamkeit war aus-
serordentlich; jedermann war mehr begierig, zu hören,
wie Agathon sich selbst, als wie er seine Gegner würde
überwinden können. Seine Beredsamkeit zeigte sich in
einem Lichte, welches die Seelen der Zuhörer blendete,
die Wichtigkeit des Augenbliks, der den Ausgang seines
ganzen Vorhabens entschied, die Würde des Gegenstan-
des, die Begierde zu siegen, und vermuthlich auch die
herzliche Abneigung gegen die Democratie, welche ihm
aus Athen in seine Verbannung gefolget war; alles sezte
ihn in eine Begeisterung, welche die Kräfte seiner Seele
höher spannte; seine Jdeen waren so groß, seine Ge-
mählde so stark gezeichnet, mit so vielem Feuer gemahlt,
seine Gründe jeder für sich selbst so schimmernd, und
liehen einander durch ihre Zusammenordnung so viel
Licht; der Strom seiner Rede, der anfänglich in ruhi-
ger Majestät dahinfloß, wurde nach und nach so stark
und hinreissend; daß selbst diejenigen, bey denen es zum
voraus beschlossen war, daß er Unrecht haben sollte,
sich wie durch eine magische Gewalt genöthiget saheu,
ihm innerlich Beyfall zu geben. Man glaubte den Mer-
cur oder Apollo reden zu hören, die Kenner (denn es

waren
[Agath. II. Th.] M

Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel.
Philiſtus merkte, mit einer Unerſchrokenheit, welche
dieſem keinen Triumph prophezeyte, fuͤr die Monarchie;
und nachdem ſeine Geguer, (unter denen Antiſthenes
und der Sophiſt Protagoras alle ihre Kraͤfte anſtrenge-
ten, die Vorzuͤge der Freyſtaaten zu erheben) zu reden
aufgehoͤrt hatten, ſieng er damit an, daß er ihren
Gruͤnden noch mehr Staͤrke gab, als ſie ſelbſt zu thun
faͤhig geweſen waren. Die Aufmerkſamkeit war auſ-
ſerordentlich; jedermann war mehr begierig, zu hoͤren,
wie Agathon ſich ſelbſt, als wie er ſeine Gegner wuͤrde
uͤberwinden koͤnnen. Seine Beredſamkeit zeigte ſich in
einem Lichte, welches die Seelen der Zuhoͤrer blendete,
die Wichtigkeit des Augenbliks, der den Ausgang ſeines
ganzen Vorhabens entſchied, die Wuͤrde des Gegenſtan-
des, die Begierde zu ſiegen, und vermuthlich auch die
herzliche Abneigung gegen die Democratie, welche ihm
aus Athen in ſeine Verbannung gefolget war; alles ſezte
ihn in eine Begeiſterung, welche die Kraͤfte ſeiner Seele
hoͤher ſpannte; ſeine Jdeen waren ſo groß, ſeine Ge-
maͤhlde ſo ſtark gezeichnet, mit ſo vielem Feuer gemahlt,
ſeine Gruͤnde jeder fuͤr ſich ſelbſt ſo ſchimmernd, und
liehen einander durch ihre Zuſammenordnung ſo viel
Licht; der Strom ſeiner Rede, der anfaͤnglich in ruhi-
ger Majeſtaͤt dahinfloß, wurde nach und nach ſo ſtark
und hinreiſſend; daß ſelbſt diejenigen, bey denen es zum
voraus beſchloſſen war, daß er Unrecht haben ſollte,
ſich wie durch eine magiſche Gewalt genoͤthiget ſaheu,
ihm innerlich Beyfall zu geben. Man glaubte den Mer-
cur oder Apollo reden zu hoͤren, die Kenner (denn es

waren
[Agath. II. Th.] M
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[177/0179] Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel. Philiſtus merkte, mit einer Unerſchrokenheit, welche dieſem keinen Triumph prophezeyte, fuͤr die Monarchie; und nachdem ſeine Geguer, (unter denen Antiſthenes und der Sophiſt Protagoras alle ihre Kraͤfte anſtrenge- ten, die Vorzuͤge der Freyſtaaten zu erheben) zu reden aufgehoͤrt hatten, ſieng er damit an, daß er ihren Gruͤnden noch mehr Staͤrke gab, als ſie ſelbſt zu thun faͤhig geweſen waren. Die Aufmerkſamkeit war auſ- ſerordentlich; jedermann war mehr begierig, zu hoͤren, wie Agathon ſich ſelbſt, als wie er ſeine Gegner wuͤrde uͤberwinden koͤnnen. Seine Beredſamkeit zeigte ſich in einem Lichte, welches die Seelen der Zuhoͤrer blendete, die Wichtigkeit des Augenbliks, der den Ausgang ſeines ganzen Vorhabens entſchied, die Wuͤrde des Gegenſtan- des, die Begierde zu ſiegen, und vermuthlich auch die herzliche Abneigung gegen die Democratie, welche ihm aus Athen in ſeine Verbannung gefolget war; alles ſezte ihn in eine Begeiſterung, welche die Kraͤfte ſeiner Seele hoͤher ſpannte; ſeine Jdeen waren ſo groß, ſeine Ge- maͤhlde ſo ſtark gezeichnet, mit ſo vielem Feuer gemahlt, ſeine Gruͤnde jeder fuͤr ſich ſelbſt ſo ſchimmernd, und liehen einander durch ihre Zuſammenordnung ſo viel Licht; der Strom ſeiner Rede, der anfaͤnglich in ruhi- ger Majeſtaͤt dahinfloß, wurde nach und nach ſo ſtark und hinreiſſend; daß ſelbſt diejenigen, bey denen es zum voraus beſchloſſen war, daß er Unrecht haben ſollte, ſich wie durch eine magiſche Gewalt genoͤthiget ſaheu, ihm innerlich Beyfall zu geben. Man glaubte den Mer- cur oder Apollo reden zu hoͤren, die Kenner (denn es waren [Agath. II. Th.] M

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/179>, abgerufen am 25.11.2024.