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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Neuntes Buch, fünftes Capitel.
gehen würde. Diese Empfindungen (denn Gedanken
waren es noch nicht) stiegen, während daß Aristippus
sprach, in ihm auf; aber er nahm sich wol in Acht,
ihn das geringste davon merken zu lassen; und lenkte,
aus Besorgniß von einem so schlauen Höflinge unver-
merkt ausgekundschaftet zu werden, das Gespräch auf
andre Gegenstände. Ueberhaupt vermied er alles, was
die Aufmerksamkeit der Anwesenden vorzüglich auf ihn
hätte richten können, desto sorgfältiger, da er wahr-
nahm, daß man einen ausserordentlichen Mann in ihm
zu sehen erwartete. Er sprach sehr bescheiden, und nur
so viel als die Gelegenheit unumgänglich erfoderte, von
dem Antheil, den er an der Staats-Verwaltung von
Athen gehabt hatte; ließ die Anlässe entschlüpfen, die
ihm von einigen mit guter Art (wie sie wenigstens glaub-
ten) gemacht wurden, um seine Gedanken von Regie-
rungs-Sachen, und von den Syracusanischen Angele-
genheiten auszuholen; sprach von allem wie ein ge-
wöhnlicher Mensch, der sich auf das was er spricht ver-
steht, und begnügte sich bey Gelegenheit sehen zu lassen,
daß er ein Kenner aller schönen Sachen sey, ob er sich
gleich nur für einen Liebhaber gab. Dieses Betragen,
wodurch er allen Verdacht, als ob er aus besondern Ab-
sichten nach Syracus gekommen sey, von sich entfernen
wollte, hatte die Würkung, daß die Meisten, welche
mit einem Erwartungs-vollen Vorurtheil für ihn gekom-
men waren, sich für betrogen hielten, und mit der Mey-
nung weggiengen, Agathon halte in der Nähe nicht,
was sein Ruhm verspreche: Ja, um sich dafür zu rä-

chen,

Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel.
gehen wuͤrde. Dieſe Empfindungen (denn Gedanken
waren es noch nicht) ſtiegen, waͤhrend daß Ariſtippus
ſprach, in ihm auf; aber er nahm ſich wol in Acht,
ihn das geringſte davon merken zu laſſen; und lenkte,
aus Beſorgniß von einem ſo ſchlauen Hoͤflinge unver-
merkt ausgekundſchaftet zu werden, das Geſpraͤch auf
andre Gegenſtaͤnde. Ueberhaupt vermied er alles, was
die Aufmerkſamkeit der Anweſenden vorzuͤglich auf ihn
haͤtte richten koͤnnen, deſto ſorgfaͤltiger, da er wahr-
nahm, daß man einen auſſerordentlichen Mann in ihm
zu ſehen erwartete. Er ſprach ſehr beſcheiden, und nur
ſo viel als die Gelegenheit unumgaͤnglich erfoderte, von
dem Antheil, den er an der Staats-Verwaltung von
Athen gehabt hatte; ließ die Anlaͤſſe entſchluͤpfen, die
ihm von einigen mit guter Art (wie ſie wenigſtens glaub-
ten) gemacht wurden, um ſeine Gedanken von Regie-
rungs-Sachen, und von den Syracuſaniſchen Angele-
genheiten auszuholen; ſprach von allem wie ein ge-
woͤhnlicher Menſch, der ſich auf das was er ſpricht ver-
ſteht, und begnuͤgte ſich bey Gelegenheit ſehen zu laſſen,
daß er ein Kenner aller ſchoͤnen Sachen ſey, ob er ſich
gleich nur fuͤr einen Liebhaber gab. Dieſes Betragen,
wodurch er allen Verdacht, als ob er aus beſondern Ab-
ſichten nach Syracus gekommen ſey, von ſich entfernen
wollte, hatte die Wuͤrkung, daß die Meiſten, welche
mit einem Erwartungs-vollen Vorurtheil fuͤr ihn gekom-
men waren, ſich fuͤr betrogen hielten, und mit der Mey-
nung weggiengen, Agathon halte in der Naͤhe nicht,
was ſein Ruhm verſpreche: Ja, um ſich dafuͤr zu raͤ-

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[159/0161] Neuntes Buch, fuͤnftes Capitel. gehen wuͤrde. Dieſe Empfindungen (denn Gedanken waren es noch nicht) ſtiegen, waͤhrend daß Ariſtippus ſprach, in ihm auf; aber er nahm ſich wol in Acht, ihn das geringſte davon merken zu laſſen; und lenkte, aus Beſorgniß von einem ſo ſchlauen Hoͤflinge unver- merkt ausgekundſchaftet zu werden, das Geſpraͤch auf andre Gegenſtaͤnde. Ueberhaupt vermied er alles, was die Aufmerkſamkeit der Anweſenden vorzuͤglich auf ihn haͤtte richten koͤnnen, deſto ſorgfaͤltiger, da er wahr- nahm, daß man einen auſſerordentlichen Mann in ihm zu ſehen erwartete. Er ſprach ſehr beſcheiden, und nur ſo viel als die Gelegenheit unumgaͤnglich erfoderte, von dem Antheil, den er an der Staats-Verwaltung von Athen gehabt hatte; ließ die Anlaͤſſe entſchluͤpfen, die ihm von einigen mit guter Art (wie ſie wenigſtens glaub- ten) gemacht wurden, um ſeine Gedanken von Regie- rungs-Sachen, und von den Syracuſaniſchen Angele- genheiten auszuholen; ſprach von allem wie ein ge- woͤhnlicher Menſch, der ſich auf das was er ſpricht ver- ſteht, und begnuͤgte ſich bey Gelegenheit ſehen zu laſſen, daß er ein Kenner aller ſchoͤnen Sachen ſey, ob er ſich gleich nur fuͤr einen Liebhaber gab. Dieſes Betragen, wodurch er allen Verdacht, als ob er aus beſondern Ab- ſichten nach Syracus gekommen ſey, von ſich entfernen wollte, hatte die Wuͤrkung, daß die Meiſten, welche mit einem Erwartungs-vollen Vorurtheil fuͤr ihn gekom- men waren, ſich fuͤr betrogen hielten, und mit der Mey- nung weggiengen, Agathon halte in der Naͤhe nicht, was ſein Ruhm verſpreche: Ja, um ſich dafuͤr zu raͤ- chen,

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/161>, abgerufen am 29.03.2024.