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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
davon wußte, in blossen Muthmassungen, die sich zum
Theil auf allerley unzuverlässige Anecdoten gründeten,
welche in Städten, wo ein Hof ist von müssigen Leu-
ten, die sich das Ansehen geben wollen, als ob sie von
den Geheimnissen und Jntriguen des Hofes vollkommene
Wissenschaft hätten, von Gesellschaft zu Gesellschaft her-
umgetragen zu werden pflegen. Aristipp hatte in der
kurzen Zeit, seit dem er sich an Dionysens Hofe auf-
hielt, die schwache Seite dieses Prinzen, den Cha-
racter seiner Günstlinge, der Vornehmsten der Stadt,
und der Sicilianer überhaupt so gut ausstudiert, daß
er, ohne sich in die Entwiklung der geheimern Trieb-
federn (womit wir unsre Leser schon bekannt gemacht ha-
ben) einzulassen, den Agathon leicht überzeugen konnte,
daß ein gleichgültiger Zuseher von den Anschlägen,
Dions und Platons, den Dionys zu einer freywilligen
Niederlegung der monarchischen Gewalt zu vermögen,
sich keinen glüklichern Ausgang habe versprechen können.
Er mahlte den Tyrannen von seiner besten Seite als
einen Prinzen ab, bey dem die unglüklichste Erziehung
ein vortrefliches Naturell nicht habe verderben können;
der von Natur leutselig, edel, freygebig, und dabey
so bildsam und leicht zu regieren sey, daß alles bloß
darauf ankomme, in was für Händen er sich befinde.
Seiner Meynung nach war, eben diese allzubewegliche
Gemüthsart und der Hang für die Vergnügungen der
Sinnen die fehlerhafteste Seite dieses Prinzen. Plato
hätte die Kunst verstehen sollen, sich dieser Schwachhei-
ten selbst auf eine feine Art zu seinen Absichten zu be-

dienen;

Agathon.
davon wußte, in bloſſen Muthmaſſungen, die ſich zum
Theil auf allerley unzuverlaͤſſige Anecdoten gruͤndeten,
welche in Staͤdten, wo ein Hof iſt von muͤſſigen Leu-
ten, die ſich das Anſehen geben wollen, als ob ſie von
den Geheimniſſen und Jntriguen des Hofes vollkommene
Wiſſenſchaft haͤtten, von Geſellſchaft zu Geſellſchaft her-
umgetragen zu werden pflegen. Ariſtipp hatte in der
kurzen Zeit, ſeit dem er ſich an Dionyſens Hofe auf-
hielt, die ſchwache Seite dieſes Prinzen, den Cha-
racter ſeiner Guͤnſtlinge, der Vornehmſten der Stadt,
und der Sicilianer uͤberhaupt ſo gut ausſtudiert, daß
er, ohne ſich in die Entwiklung der geheimern Trieb-
federn (womit wir unſre Leſer ſchon bekannt gemacht ha-
ben) einzulaſſen, den Agathon leicht uͤberzeugen konnte,
daß ein gleichguͤltiger Zuſeher von den Anſchlaͤgen,
Dions und Platons, den Dionys zu einer freywilligen
Niederlegung der monarchiſchen Gewalt zu vermoͤgen,
ſich keinen gluͤklichern Ausgang habe verſprechen koͤnnen.
Er mahlte den Tyrannen von ſeiner beſten Seite als
einen Prinzen ab, bey dem die ungluͤklichſte Erziehung
ein vortrefliches Naturell nicht habe verderben koͤnnen;
der von Natur leutſelig, edel, freygebig, und dabey
ſo bildſam und leicht zu regieren ſey, daß alles bloß
darauf ankomme, in was fuͤr Haͤnden er ſich befinde.
Seiner Meynung nach war, eben dieſe allzubewegliche
Gemuͤthsart und der Hang fuͤr die Vergnuͤgungen der
Sinnen die fehlerhafteſte Seite dieſes Prinzen. Plato
haͤtte die Kunſt verſtehen ſollen, ſich dieſer Schwachhei-
ten ſelbſt auf eine feine Art zu ſeinen Abſichten zu be-

dienen;
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[156/0158] Agathon. davon wußte, in bloſſen Muthmaſſungen, die ſich zum Theil auf allerley unzuverlaͤſſige Anecdoten gruͤndeten, welche in Staͤdten, wo ein Hof iſt von muͤſſigen Leu- ten, die ſich das Anſehen geben wollen, als ob ſie von den Geheimniſſen und Jntriguen des Hofes vollkommene Wiſſenſchaft haͤtten, von Geſellſchaft zu Geſellſchaft her- umgetragen zu werden pflegen. Ariſtipp hatte in der kurzen Zeit, ſeit dem er ſich an Dionyſens Hofe auf- hielt, die ſchwache Seite dieſes Prinzen, den Cha- racter ſeiner Guͤnſtlinge, der Vornehmſten der Stadt, und der Sicilianer uͤberhaupt ſo gut ausſtudiert, daß er, ohne ſich in die Entwiklung der geheimern Trieb- federn (womit wir unſre Leſer ſchon bekannt gemacht ha- ben) einzulaſſen, den Agathon leicht uͤberzeugen konnte, daß ein gleichguͤltiger Zuſeher von den Anſchlaͤgen, Dions und Platons, den Dionys zu einer freywilligen Niederlegung der monarchiſchen Gewalt zu vermoͤgen, ſich keinen gluͤklichern Ausgang habe verſprechen koͤnnen. Er mahlte den Tyrannen von ſeiner beſten Seite als einen Prinzen ab, bey dem die ungluͤklichſte Erziehung ein vortrefliches Naturell nicht habe verderben koͤnnen; der von Natur leutſelig, edel, freygebig, und dabey ſo bildſam und leicht zu regieren ſey, daß alles bloß darauf ankomme, in was fuͤr Haͤnden er ſich befinde. Seiner Meynung nach war, eben dieſe allzubewegliche Gemuͤthsart und der Hang fuͤr die Vergnuͤgungen der Sinnen die fehlerhafteſte Seite dieſes Prinzen. Plato haͤtte die Kunſt verſtehen ſollen, ſich dieſer Schwachhei- ten ſelbſt auf eine feine Art zu ſeinen Abſichten zu be- dienen;

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/158>, abgerufen am 26.04.2024.