Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite
Achtes Buch, zweytes Capitel.
Zweytes Capitel.
Verrätherey des Hippias.

Unter andern Eigenschaften, welche den Character
der Danae schäzbar machten, war auch diese, daß sie
eine vortrefliche Freundin war. So gleichgültig sie, bis
auf die Zeit da sich Agathon ihres Herzens bemeisterte,
gegen den Vorwurf der Unbeständigkeit in der Liebe auch
immer gewesen war: so zuverlässig und standhaft war
sie jederzeit in der Freundschaft gewesen. Sie liebte
ihre Freunde mit einer Zärtlichkeit, welche von Leuten,
die bloß nach dem äusserlichen Ansdruk urtheilen, leicht
einem eigennüzigern Affect beygemessen werden konnte;
denn diese Zärtlichkeit stieg bis zum würksamsten Grade
der Leidenschaft, sobald es darauf ankam, einem un-
glüklichen Freunde Dienste zu leisten. Es war kein
Vergnügen, welches sie nicht in einem solchen Falle den
Pflichten der Freundschaft aufgeopfert hätte.

Eine Veranlassung von dieser Art (wovon die Um-
stände mit unsrer Geschichte in keiner Beziehung stehen)
hatte sie auf einige Tage von Smyrna abgeruffen. Aga-
thon mußte zurükbleiben, und die gutherzige Danae, mit
dem Beweise zufrieden, den ihr sein Schmerz bey ih-
rem Abschied von seiner Liebe gab, versüßte sich ihren
eigenen durch die Vorstellung, daß die kurze Trennung
ihm den Werth seiner Glükseligkeit weit lebhafter zu füh-

len
Achtes Buch, zweytes Capitel.
Zweytes Capitel.
Verraͤtherey des Hippias.

Unter andern Eigenſchaften, welche den Character
der Danae ſchaͤzbar machten, war auch dieſe, daß ſie
eine vortrefliche Freundin war. So gleichguͤltig ſie, bis
auf die Zeit da ſich Agathon ihres Herzens bemeiſterte,
gegen den Vorwurf der Unbeſtaͤndigkeit in der Liebe auch
immer geweſen war: ſo zuverlaͤſſig und ſtandhaft war
ſie jederzeit in der Freundſchaft geweſen. Sie liebte
ihre Freunde mit einer Zaͤrtlichkeit, welche von Leuten,
die bloß nach dem aͤuſſerlichen Ansdruk urtheilen, leicht
einem eigennuͤzigern Affect beygemeſſen werden konnte;
denn dieſe Zaͤrtlichkeit ſtieg bis zum wuͤrkſamſten Grade
der Leidenſchaft, ſobald es darauf ankam, einem un-
gluͤklichen Freunde Dienſte zu leiſten. Es war kein
Vergnuͤgen, welches ſie nicht in einem ſolchen Falle den
Pflichten der Freundſchaft aufgeopfert haͤtte.

Eine Veranlaſſung von dieſer Art (wovon die Um-
ſtaͤnde mit unſrer Geſchichte in keiner Beziehung ſtehen)
hatte ſie auf einige Tage von Smyrna abgeruffen. Aga-
thon mußte zuruͤkbleiben, und die gutherzige Danae, mit
dem Beweiſe zufrieden, den ihr ſein Schmerz bey ih-
rem Abſchied von ſeiner Liebe gab, verſuͤßte ſich ihren
eigenen durch die Vorſtellung, daß die kurze Trennung
ihm den Werth ſeiner Gluͤkſeligkeit weit lebhafter zu fuͤh-

len
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0015" n="13"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Achtes Buch, zweytes Capitel.</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Zweytes Capitel</hi>.<lb/>
Verra&#x0364;therey des Hippias.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">U</hi>nter andern Eigen&#x017F;chaften, welche den Character<lb/>
der Danae &#x017F;cha&#x0364;zbar machten, war auch die&#x017F;e, daß &#x017F;ie<lb/>
eine vortrefliche Freundin war. So gleichgu&#x0364;ltig &#x017F;ie, bis<lb/>
auf die Zeit da &#x017F;ich Agathon ihres Herzens bemei&#x017F;terte,<lb/>
gegen den Vorwurf der Unbe&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit in der Liebe auch<lb/>
immer gewe&#x017F;en war: &#x017F;o zuverla&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig und &#x017F;tandhaft war<lb/>
&#x017F;ie jederzeit in der Freund&#x017F;chaft gewe&#x017F;en. Sie liebte<lb/>
ihre Freunde mit einer Za&#x0364;rtlichkeit, welche von Leuten,<lb/>
die bloß nach dem a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erlichen Ansdruk urtheilen, leicht<lb/>
einem eigennu&#x0364;zigern Affect beygeme&#x017F;&#x017F;en werden konnte;<lb/>
denn die&#x017F;e Za&#x0364;rtlichkeit &#x017F;tieg bis zum wu&#x0364;rk&#x017F;am&#x017F;ten Grade<lb/>
der Leiden&#x017F;chaft, &#x017F;obald es darauf ankam, einem un-<lb/>
glu&#x0364;klichen Freunde Dien&#x017F;te zu lei&#x017F;ten. Es war kein<lb/>
Vergnu&#x0364;gen, welches &#x017F;ie nicht in einem &#x017F;olchen Falle den<lb/>
Pflichten der Freund&#x017F;chaft aufgeopfert ha&#x0364;tte.</p><lb/>
            <p>Eine Veranla&#x017F;&#x017F;ung von die&#x017F;er Art (wovon die Um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde mit un&#x017F;rer Ge&#x017F;chichte in keiner Beziehung &#x017F;tehen)<lb/>
hatte &#x017F;ie auf einige Tage von Smyrna abgeruffen. Aga-<lb/>
thon mußte zuru&#x0364;kbleiben, und die gutherzige Danae, mit<lb/>
dem Bewei&#x017F;e zufrieden, den ihr &#x017F;ein Schmerz bey ih-<lb/>
rem Ab&#x017F;chied von &#x017F;einer Liebe gab, ver&#x017F;u&#x0364;ßte &#x017F;ich ihren<lb/>
eigenen durch die Vor&#x017F;tellung, daß die kurze Trennung<lb/>
ihm den Werth &#x017F;einer Glu&#x0364;k&#x017F;eligkeit weit lebhafter zu fu&#x0364;h-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">len</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0015] Achtes Buch, zweytes Capitel. Zweytes Capitel. Verraͤtherey des Hippias. Unter andern Eigenſchaften, welche den Character der Danae ſchaͤzbar machten, war auch dieſe, daß ſie eine vortrefliche Freundin war. So gleichguͤltig ſie, bis auf die Zeit da ſich Agathon ihres Herzens bemeiſterte, gegen den Vorwurf der Unbeſtaͤndigkeit in der Liebe auch immer geweſen war: ſo zuverlaͤſſig und ſtandhaft war ſie jederzeit in der Freundſchaft geweſen. Sie liebte ihre Freunde mit einer Zaͤrtlichkeit, welche von Leuten, die bloß nach dem aͤuſſerlichen Ansdruk urtheilen, leicht einem eigennuͤzigern Affect beygemeſſen werden konnte; denn dieſe Zaͤrtlichkeit ſtieg bis zum wuͤrkſamſten Grade der Leidenſchaft, ſobald es darauf ankam, einem un- gluͤklichen Freunde Dienſte zu leiſten. Es war kein Vergnuͤgen, welches ſie nicht in einem ſolchen Falle den Pflichten der Freundſchaft aufgeopfert haͤtte. Eine Veranlaſſung von dieſer Art (wovon die Um- ſtaͤnde mit unſrer Geſchichte in keiner Beziehung ſtehen) hatte ſie auf einige Tage von Smyrna abgeruffen. Aga- thon mußte zuruͤkbleiben, und die gutherzige Danae, mit dem Beweiſe zufrieden, den ihr ſein Schmerz bey ih- rem Abſchied von ſeiner Liebe gab, verſuͤßte ſich ihren eigenen durch die Vorſtellung, daß die kurze Trennung ihm den Werth ſeiner Gluͤkſeligkeit weit lebhafter zu fuͤh- len

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/15
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/15>, abgerufen am 21.11.2024.