Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Agathon.
ihn nur einen Augenblik in ihren Fesseln zu behalten.
Jhm diesen Jrthum zu benehmen, war der schlimmste
Streich, den man seiner Liebe und der schönen Danae
spielen konnte; und dieses zu thun, war das Mittel,
wodurch der Sophist an beyden auf einmal eine Rache
zu nehmen hofte, deren blosse Vorstellung sein boßhaftes
Herz in Erzükung sezte. Er laurte dazu nur auf eine
bequeme Gelegenheit, und diese pflegt zu einem bösen
Vorhaben selten zu entgehen.

Ob dieses leztere der Geschäftigkeit irgend eines bösen
Dämons zu zuschreiben sey, oder ob es daher komme,
daß die Boßheit ihrer Natur nach eine lebhaftere Würk-
samkeit hervorbringt als die Güte; ist eine Frage,
welche wir andern zu untersuchen überlassen. Es sey
das eine oder das andere, so würde eine ganz natürliche
Folge dieser fast alltäglichen Erfahrungs-Wahrheit seyn,
daß das Böse in einer immer wachsenden Progression
zunehmen, und, wenigstens in dieser sublunarischen
Welt, das Gute zulezt gänzlich verschlingen würde;
wenn nicht aus einer eben so gemeinen Erfahrung rich-
tig wäre, daß die Bemühungen der Bösen, so glüklich
sie auch in der Ausführung seyn mögen, doch gemeinig-
lich ihren eigentlichen Zwek verfehlen, und das Gute
durch eben die Maßregeln und Ränke, wodurch es hätte
gehindert werden sollen, weit besser befördern, als wenn
sie sich ganz gleichgültig dabey verhalten hätten.

Zweytes

Agathon.
ihn nur einen Augenblik in ihren Feſſeln zu behalten.
Jhm dieſen Jrthum zu benehmen, war der ſchlimmſte
Streich, den man ſeiner Liebe und der ſchoͤnen Danae
ſpielen konnte; und dieſes zu thun, war das Mittel,
wodurch der Sophiſt an beyden auf einmal eine Rache
zu nehmen hofte, deren bloſſe Vorſtellung ſein boßhaftes
Herz in Erzuͤkung ſezte. Er laurte dazu nur auf eine
bequeme Gelegenheit, und dieſe pflegt zu einem boͤſen
Vorhaben ſelten zu entgehen.

Ob dieſes leztere der Geſchaͤftigkeit irgend eines boͤſen
Daͤmons zu zuſchreiben ſey, oder ob es daher komme,
daß die Boßheit ihrer Natur nach eine lebhaftere Wuͤrk-
ſamkeit hervorbringt als die Guͤte; iſt eine Frage,
welche wir andern zu unterſuchen uͤberlaſſen. Es ſey
das eine oder das andere, ſo wuͤrde eine ganz natuͤrliche
Folge dieſer faſt alltaͤglichen Erfahrungs-Wahrheit ſeyn,
daß das Boͤſe in einer immer wachſenden Progreſſion
zunehmen, und, wenigſtens in dieſer ſublunariſchen
Welt, das Gute zulezt gaͤnzlich verſchlingen wuͤrde;
wenn nicht aus einer eben ſo gemeinen Erfahrung rich-
tig waͤre, daß die Bemuͤhungen der Boͤſen, ſo gluͤklich
ſie auch in der Ausfuͤhrung ſeyn moͤgen, doch gemeinig-
lich ihren eigentlichen Zwek verfehlen, und das Gute
durch eben die Maßregeln und Raͤnke, wodurch es haͤtte
gehindert werden ſollen, weit beſſer befoͤrdern, als wenn
ſie ſich ganz gleichguͤltig dabey verhalten haͤtten.

Zweytes
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0014" n="12"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon</hi>.</hi></fw><lb/>
ihn nur einen Augenblik in ihren Fe&#x017F;&#x017F;eln zu behalten.<lb/>
Jhm die&#x017F;en Jrthum zu benehmen, war der &#x017F;chlimm&#x017F;te<lb/>
Streich, den man &#x017F;einer Liebe und der &#x017F;cho&#x0364;nen Danae<lb/>
&#x017F;pielen konnte; und die&#x017F;es zu thun, war das Mittel,<lb/>
wodurch der Sophi&#x017F;t an beyden auf einmal eine Rache<lb/>
zu nehmen hofte, deren blo&#x017F;&#x017F;e Vor&#x017F;tellung &#x017F;ein boßhaftes<lb/>
Herz in Erzu&#x0364;kung &#x017F;ezte. Er laurte dazu nur auf eine<lb/>
bequeme Gelegenheit, und die&#x017F;e pflegt zu einem bo&#x0364;&#x017F;en<lb/>
Vorhaben &#x017F;elten zu entgehen.</p><lb/>
            <p>Ob die&#x017F;es leztere der Ge&#x017F;cha&#x0364;ftigkeit irgend eines bo&#x0364;&#x017F;en<lb/>
Da&#x0364;mons zu zu&#x017F;chreiben &#x017F;ey, oder ob es daher komme,<lb/>
daß die Boßheit ihrer Natur nach eine lebhaftere Wu&#x0364;rk-<lb/>
&#x017F;amkeit hervorbringt als die Gu&#x0364;te; i&#x017F;t eine Frage,<lb/>
welche wir andern zu unter&#x017F;uchen u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en. Es &#x017F;ey<lb/>
das eine oder das andere, &#x017F;o wu&#x0364;rde eine ganz natu&#x0364;rliche<lb/>
Folge die&#x017F;er fa&#x017F;t allta&#x0364;glichen Erfahrungs-Wahrheit &#x017F;eyn,<lb/>
daß das Bo&#x0364;&#x017F;e in einer immer wach&#x017F;enden Progre&#x017F;&#x017F;ion<lb/>
zunehmen, und, wenig&#x017F;tens in die&#x017F;er &#x017F;ublunari&#x017F;chen<lb/>
Welt, das Gute zulezt ga&#x0364;nzlich ver&#x017F;chlingen wu&#x0364;rde;<lb/>
wenn nicht aus einer eben &#x017F;o gemeinen Erfahrung rich-<lb/>
tig wa&#x0364;re, daß die Bemu&#x0364;hungen der Bo&#x0364;&#x017F;en, &#x017F;o glu&#x0364;klich<lb/>
&#x017F;ie auch in der Ausfu&#x0364;hrung &#x017F;eyn mo&#x0364;gen, doch gemeinig-<lb/>
lich ihren eigentlichen Zwek verfehlen, und das Gute<lb/>
durch eben die Maßregeln und Ra&#x0364;nke, wodurch es ha&#x0364;tte<lb/>
gehindert werden &#x017F;ollen, weit be&#x017F;&#x017F;er befo&#x0364;rdern, als wenn<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich ganz gleichgu&#x0364;ltig dabey verhalten ha&#x0364;tten.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Zweytes</hi> </hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0014] Agathon. ihn nur einen Augenblik in ihren Feſſeln zu behalten. Jhm dieſen Jrthum zu benehmen, war der ſchlimmſte Streich, den man ſeiner Liebe und der ſchoͤnen Danae ſpielen konnte; und dieſes zu thun, war das Mittel, wodurch der Sophiſt an beyden auf einmal eine Rache zu nehmen hofte, deren bloſſe Vorſtellung ſein boßhaftes Herz in Erzuͤkung ſezte. Er laurte dazu nur auf eine bequeme Gelegenheit, und dieſe pflegt zu einem boͤſen Vorhaben ſelten zu entgehen. Ob dieſes leztere der Geſchaͤftigkeit irgend eines boͤſen Daͤmons zu zuſchreiben ſey, oder ob es daher komme, daß die Boßheit ihrer Natur nach eine lebhaftere Wuͤrk- ſamkeit hervorbringt als die Guͤte; iſt eine Frage, welche wir andern zu unterſuchen uͤberlaſſen. Es ſey das eine oder das andere, ſo wuͤrde eine ganz natuͤrliche Folge dieſer faſt alltaͤglichen Erfahrungs-Wahrheit ſeyn, daß das Boͤſe in einer immer wachſenden Progreſſion zunehmen, und, wenigſtens in dieſer ſublunariſchen Welt, das Gute zulezt gaͤnzlich verſchlingen wuͤrde; wenn nicht aus einer eben ſo gemeinen Erfahrung rich- tig waͤre, daß die Bemuͤhungen der Boͤſen, ſo gluͤklich ſie auch in der Ausfuͤhrung ſeyn moͤgen, doch gemeinig- lich ihren eigentlichen Zwek verfehlen, und das Gute durch eben die Maßregeln und Raͤnke, wodurch es haͤtte gehindert werden ſollen, weit beſſer befoͤrdern, als wenn ſie ſich ganz gleichguͤltig dabey verhalten haͤtten. Zweytes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/14
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/14>, abgerufen am 29.03.2024.