Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Neuntes Buch, viertes Capitel. ich ein paar Wochen lang unter diesen Grillenfäugerngemacht habe; hab ich dem Dion nicht selbst Gelegen- heit gegeben, mich zu verachten? Was mußten sie von mir denken, da sie mich so willig und gelehrig fanden? -- Aber sie sollen in kurzem sehen, daß sie sich mit aller ihrer Wissenschaft der geheimnißvollen Zahlen gewaltig überrechnet haben. Es ist Zeit, der Comödie ein Ende zu machen -- Um Vergebung, mein Gebietender Herr, fiel ihm Philistus hier ins Wort; die Rede ist noch von blossen Vermuthungen; vielleicht ist Plato, ungeachtet seines nicht allzuwol überlegten Raths, unschuldig; viel- leicht ist es so gar Dion; wenigstens haben wir noch keine Beweise gegen sie. Sie haben Bewunderer und Freunde zu Syracus, das Volk ist ihnen geneigt, und es möchte gefährlich seyn, sie durch einen übereilten Schritt in die Nothwendigkeit zu sezen, sich diesem Frey- heit-träumenden Pöbel in die Arme zu werfen. Lasset sie noch eine Zeitlang in dem angenehmen Wahn, daß sie den Dionysius gefangen haben. Gebet ihnen, durch ein künstlich verstelltes Zutrauen Gelegenheit, ihre Ge- sinnungen deutlicher herauszulassen -- Wie, wenn Diony- sius sich stellte, als ob er Lust hätte die Monarchie auf- zugeben, und als ob ihn kein andres Bedenken davon zurükhielte, als die Ungewißheit, welche Regierungs- Form Sicilien am glüklichsten machen könnte. Eine solche Eröfnung wird sie nöthigen, sich selbst zu verra- then; und indessen, daß wir sie mit academischen Fra- gen und Entwürfen aufhalten, werden sich Gelegenhei- ten finden, den regiersüchtigen Dion in Gesellschaft sei- nes J 2
Neuntes Buch, viertes Capitel. ich ein paar Wochen lang unter dieſen Grillenfaͤugerngemacht habe; hab ich dem Dion nicht ſelbſt Gelegen- heit gegeben, mich zu verachten? Was mußten ſie von mir denken, da ſie mich ſo willig und gelehrig fanden? ‒‒ Aber ſie ſollen in kurzem ſehen, daß ſie ſich mit aller ihrer Wiſſenſchaft der geheimnißvollen Zahlen gewaltig uͤberrechnet haben. Es iſt Zeit, der Comoͤdie ein Ende zu machen ‒‒ Um Vergebung, mein Gebietender Herr, fiel ihm Philiſtus hier ins Wort; die Rede iſt noch von bloſſen Vermuthungen; vielleicht iſt Plato, ungeachtet ſeines nicht allzuwol uͤberlegten Raths, unſchuldig; viel- leicht iſt es ſo gar Dion; wenigſtens haben wir noch keine Beweiſe gegen ſie. Sie haben Bewunderer und Freunde zu Syracus, das Volk iſt ihnen geneigt, und es moͤchte gefaͤhrlich ſeyn, ſie durch einen uͤbereilten Schritt in die Nothwendigkeit zu ſezen, ſich dieſem Frey- heit-traͤumenden Poͤbel in die Arme zu werfen. Laſſet ſie noch eine Zeitlang in dem angenehmen Wahn, daß ſie den Dionyſius gefangen haben. Gebet ihnen, durch ein kuͤnſtlich verſtelltes Zutrauen Gelegenheit, ihre Ge- ſinnungen deutlicher herauszulaſſen ‒‒ Wie, wenn Diony- ſius ſich ſtellte, als ob er Luſt haͤtte die Monarchie auf- zugeben, und als ob ihn kein andres Bedenken davon zuruͤkhielte, als die Ungewißheit, welche Regierungs- Form Sicilien am gluͤklichſten machen koͤnnte. Eine ſolche Eroͤfnung wird ſie noͤthigen, ſich ſelbſt zu verra- then; und indeſſen, daß wir ſie mit academiſchen Fra- gen und Entwuͤrfen aufhalten, werden ſich Gelegenhei- ten finden, den regierſuͤchtigen Dion in Geſellſchaft ſei- nes J 2
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Neuntes Buch, viertes Capitel.
ich ein paar Wochen lang unter dieſen Grillenfaͤugern
gemacht habe; hab ich dem Dion nicht ſelbſt Gelegen-
heit gegeben, mich zu verachten? Was mußten ſie von
mir denken, da ſie mich ſo willig und gelehrig fanden? ‒‒
Aber ſie ſollen in kurzem ſehen, daß ſie ſich mit aller
ihrer Wiſſenſchaft der geheimnißvollen Zahlen gewaltig
uͤberrechnet haben. Es iſt Zeit, der Comoͤdie ein Ende
zu machen ‒‒ Um Vergebung, mein Gebietender Herr,
fiel ihm Philiſtus hier ins Wort; die Rede iſt noch von
bloſſen Vermuthungen; vielleicht iſt Plato, ungeachtet
ſeines nicht allzuwol uͤberlegten Raths, unſchuldig; viel-
leicht iſt es ſo gar Dion; wenigſtens haben wir noch
keine Beweiſe gegen ſie. Sie haben Bewunderer und
Freunde zu Syracus, das Volk iſt ihnen geneigt, und
es moͤchte gefaͤhrlich ſeyn, ſie durch einen uͤbereilten
Schritt in die Nothwendigkeit zu ſezen, ſich dieſem Frey-
heit-traͤumenden Poͤbel in die Arme zu werfen. Laſſet
ſie noch eine Zeitlang in dem angenehmen Wahn, daß
ſie den Dionyſius gefangen haben. Gebet ihnen, durch
ein kuͤnſtlich verſtelltes Zutrauen Gelegenheit, ihre Ge-
ſinnungen deutlicher herauszulaſſen ‒‒ Wie, wenn Diony-
ſius ſich ſtellte, als ob er Luſt haͤtte die Monarchie auf-
zugeben, und als ob ihn kein andres Bedenken davon
zuruͤkhielte, als die Ungewißheit, welche Regierungs-
Form Sicilien am gluͤklichſten machen koͤnnte. Eine
ſolche Eroͤfnung wird ſie noͤthigen, ſich ſelbſt zu verra-
then; und indeſſen, daß wir ſie mit academiſchen Fra-
gen und Entwuͤrfen aufhalten, werden ſich Gelegenhei-
ten finden, den regierſuͤchtigen Dion in Geſellſchaft ſei-
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Zitationshilfe: | Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/133>, abgerufen am 16.07.2024. |