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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Neuntes Buch, viertes Capitel.
denkst, fiel ihm Dionys ein; was hältst du von diesem
Dion? Aber keine Complimenten, denn du brauchst
mich nicht daran zu erinnern, daß er meiner Schwester
Mann ist; ich weiß es nur zu wol -- Aber ich traue
ihm nicht desto besser -- er ist ehrgeizig -- "Das ist
er" -- immer finster, zurükhaltend, in sich selbst ein-
geschlossen -- Jn der That, so ist er, nahm Philist das
Wort, und wer ihn genau beobachtete, ohne vorhin
eine bessere Meynung von ihm gefaßt zu haben, würde
sich des Argwohns kaum erwehren können, daß er miß-
vergnügt sey, und an Gedanken in sich selbst arbeite,
die er nicht für gut befinde, andern mitzutheilen "--
Glaubst du das, Philistus? fiel Dionys ein; so hab'
ich immer von ihm gedacht; wenn Syracus unruhig ist,
und mit Neuerungen umgeht, so darfst du versichert
seyn, daß Dion die Triebfeder von allem ist -- wir
müssen ihn genauer beobachten -- Wenigstens ist es son-
derbar, fuhr Philistus fort, daß er seit einiger Zeit,
sich eine Angelegenheit davon zu machen scheint, sich der
Freundschaft der angesehensten Bürger zu versichern --
(Hier führte er einige Umstände an, welche, durch die
Wendung die er ihnen gab, seine Wahrnehmung bestät-
tigen konnten) Wenn ein Mann von solcher Wichtigkeit,
wie Dion, sich herabläßt eine Popularität zu affectiren,
die so gänzlich wider seinen Character ist, so kan man
glauben, daß er Absichten hat -- und wenn Dion Ab-
sichten hat, so gehen sie gewiß auf keine Kleinigkeiten --
Was er aber auch seyn mag, so bin ich gewiß, sezte er
hinzu, daß Platon, ungeachtet der engen Freundschaft,

die

Neuntes Buch, viertes Capitel.
denkſt, fiel ihm Dionys ein; was haͤltſt du von dieſem
Dion? Aber keine Complimenten, denn du brauchſt
mich nicht daran zu erinnern, daß er meiner Schweſter
Mann iſt; ich weiß es nur zu wol ‒‒ Aber ich traue
ihm nicht deſto beſſer ‒‒ er iſt ehrgeizig ‒‒ „Das iſt
er„ ‒‒ immer finſter, zuruͤkhaltend, in ſich ſelbſt ein-
geſchloſſen ‒‒ Jn der That, ſo iſt er, nahm Philiſt das
Wort, und wer ihn genau beobachtete, ohne vorhin
eine beſſere Meynung von ihm gefaßt zu haben, wuͤrde
ſich des Argwohns kaum erwehren koͤnnen, daß er miß-
vergnuͤgt ſey, und an Gedanken in ſich ſelbſt arbeite,
die er nicht fuͤr gut befinde, andern mitzutheilen „‒‒
Glaubſt du das, Philiſtus? fiel Dionys ein; ſo hab’
ich immer von ihm gedacht; wenn Syracus unruhig iſt,
und mit Neuerungen umgeht, ſo darfſt du verſichert
ſeyn, daß Dion die Triebfeder von allem iſt ‒‒ wir
muͤſſen ihn genauer beobachten ‒‒ Wenigſtens iſt es ſon-
derbar, fuhr Philiſtus fort, daß er ſeit einiger Zeit,
ſich eine Angelegenheit davon zu machen ſcheint, ſich der
Freundſchaft der angeſehenſten Buͤrger zu verſichern ‒‒
(Hier fuͤhrte er einige Umſtaͤnde an, welche, durch die
Wendung die er ihnen gab, ſeine Wahrnehmung beſtaͤt-
tigen konnten) Wenn ein Mann von ſolcher Wichtigkeit,
wie Dion, ſich herablaͤßt eine Popularitaͤt zu affectiren,
die ſo gaͤnzlich wider ſeinen Character iſt, ſo kan man
glauben, daß er Abſichten hat ‒‒ und wenn Dion Ab-
ſichten hat, ſo gehen ſie gewiß auf keine Kleinigkeiten ‒‒
Was er aber auch ſeyn mag, ſo bin ich gewiß, ſezte er
hinzu, daß Platon, ungeachtet der engen Freundſchaft,

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[125/0127] Neuntes Buch, viertes Capitel. denkſt, fiel ihm Dionys ein; was haͤltſt du von dieſem Dion? Aber keine Complimenten, denn du brauchſt mich nicht daran zu erinnern, daß er meiner Schweſter Mann iſt; ich weiß es nur zu wol ‒‒ Aber ich traue ihm nicht deſto beſſer ‒‒ er iſt ehrgeizig ‒‒ „Das iſt er„ ‒‒ immer finſter, zuruͤkhaltend, in ſich ſelbſt ein- geſchloſſen ‒‒ Jn der That, ſo iſt er, nahm Philiſt das Wort, und wer ihn genau beobachtete, ohne vorhin eine beſſere Meynung von ihm gefaßt zu haben, wuͤrde ſich des Argwohns kaum erwehren koͤnnen, daß er miß- vergnuͤgt ſey, und an Gedanken in ſich ſelbſt arbeite, die er nicht fuͤr gut befinde, andern mitzutheilen „‒‒ Glaubſt du das, Philiſtus? fiel Dionys ein; ſo hab’ ich immer von ihm gedacht; wenn Syracus unruhig iſt, und mit Neuerungen umgeht, ſo darfſt du verſichert ſeyn, daß Dion die Triebfeder von allem iſt ‒‒ wir muͤſſen ihn genauer beobachten ‒‒ Wenigſtens iſt es ſon- derbar, fuhr Philiſtus fort, daß er ſeit einiger Zeit, ſich eine Angelegenheit davon zu machen ſcheint, ſich der Freundſchaft der angeſehenſten Buͤrger zu verſichern ‒‒ (Hier fuͤhrte er einige Umſtaͤnde an, welche, durch die Wendung die er ihnen gab, ſeine Wahrnehmung beſtaͤt- tigen konnten) Wenn ein Mann von ſolcher Wichtigkeit, wie Dion, ſich herablaͤßt eine Popularitaͤt zu affectiren, die ſo gaͤnzlich wider ſeinen Character iſt, ſo kan man glauben, daß er Abſichten hat ‒‒ und wenn Dion Ab- ſichten hat, ſo gehen ſie gewiß auf keine Kleinigkeiten ‒‒ Was er aber auch ſeyn mag, ſo bin ich gewiß, ſezte er hinzu, daß Platon, ungeachtet der engen Freundſchaft, die

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/127>, abgerufen am 26.04.2024.