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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Neuntes Buch, drittes Capitel.
Eitelkeit, welche ihn vor weniger Zeit angetrieben hatte,
mit dem Bacchus und einer andern Gottheit, welche
wir nicht nennen dürfen, in die Wette zu eyfern, sich
izt durch die Vorstellung kizelte, als Regent und Gesez-
geber den Glanz der berühmtesten Männer vor ihm zu
verdunkeln, die Augen der Welt auf sich zu heften, sich
von allen bewundert, und von den Weisen selbst ver-
göttert zu sehen.

Daß dieses Urtheil von der Bekehrung des Dionys
richtig sey, hat sich in der Folge würklich bewiesen;
und man hätte, däucht uns, ohne die Gabe der Divi-
nation zu besizen, voraussehen können, daß eine so
plözliche Veränderung keinen Bestand haben werde. Aber
wie sollten die in einer grossen Angelegenheit verwikel-
ten Personen fähig seyn, so gelassen und uneingenom-
men davon zu urtheilen, wie entfernte Zuschauer, welche
das Ganze bereits vor sich liegen haben, und bey einer
kalten Untersuchung des Zusammenhangs aller Umstände
sehr leicht mit vieler Zuverlässigkeit beweisen können,
daß es nicht anders habe gehen können, als wie sie wis-
sen, daß es gegangen ist? Plato selbst ließ sich von den
Anscheinungen betrügen, weil sie seinen Wünschen ge-
mäß waren, und ihm zu beweisen schienen, wieviel er
vermöge. Die voreilige Freude über einen Succeß, des-
sen er sich schon versichert hielt, ließ ihm nicht zu, sich
alle die Hindernisse, die seine Bemühungen vereiteln
konnten, in der gehörigen Stärke vorzustellen, und in
Zeiten darauf bedacht zu seyn, wie er ihnen zuvorkom-

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Neuntes Buch, drittes Capitel.
Eitelkeit, welche ihn vor weniger Zeit angetrieben hatte,
mit dem Bacchus und einer andern Gottheit, welche
wir nicht nennen duͤrfen, in die Wette zu eyfern, ſich
izt durch die Vorſtellung kizelte, als Regent und Geſez-
geber den Glanz der beruͤhmteſten Maͤnner vor ihm zu
verdunkeln, die Augen der Welt auf ſich zu heften, ſich
von allen bewundert, und von den Weiſen ſelbſt ver-
goͤttert zu ſehen.

Daß dieſes Urtheil von der Bekehrung des Dionys
richtig ſey, hat ſich in der Folge wuͤrklich bewieſen;
und man haͤtte, daͤucht uns, ohne die Gabe der Divi-
nation zu beſizen, vorausſehen koͤnnen, daß eine ſo
ploͤzliche Veraͤnderung keinen Beſtand haben werde. Aber
wie ſollten die in einer groſſen Angelegenheit verwikel-
ten Perſonen faͤhig ſeyn, ſo gelaſſen und uneingenom-
men davon zu urtheilen, wie entfernte Zuſchauer, welche
das Ganze bereits vor ſich liegen haben, und bey einer
kalten Unterſuchung des Zuſammenhangs aller Umſtaͤnde
ſehr leicht mit vieler Zuverlaͤſſigkeit beweiſen koͤnnen,
daß es nicht anders habe gehen koͤnnen, als wie ſie wiſ-
ſen, daß es gegangen iſt? Plato ſelbſt ließ ſich von den
Anſcheinungen betruͤgen, weil ſie ſeinen Wuͤnſchen ge-
maͤß waren, und ihm zu beweiſen ſchienen, wieviel er
vermoͤge. Die voreilige Freude uͤber einen Succeß, deſ-
ſen er ſich ſchon verſichert hielt, ließ ihm nicht zu, ſich
alle die Hinderniſſe, die ſeine Bemuͤhungen vereiteln
konnten, in der gehoͤrigen Staͤrke vorzuſtellen, und in
Zeiten darauf bedacht zu ſeyn, wie er ihnen zuvorkom-

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[115/0117] Neuntes Buch, drittes Capitel. Eitelkeit, welche ihn vor weniger Zeit angetrieben hatte, mit dem Bacchus und einer andern Gottheit, welche wir nicht nennen duͤrfen, in die Wette zu eyfern, ſich izt durch die Vorſtellung kizelte, als Regent und Geſez- geber den Glanz der beruͤhmteſten Maͤnner vor ihm zu verdunkeln, die Augen der Welt auf ſich zu heften, ſich von allen bewundert, und von den Weiſen ſelbſt ver- goͤttert zu ſehen. Daß dieſes Urtheil von der Bekehrung des Dionys richtig ſey, hat ſich in der Folge wuͤrklich bewieſen; und man haͤtte, daͤucht uns, ohne die Gabe der Divi- nation zu beſizen, vorausſehen koͤnnen, daß eine ſo ploͤzliche Veraͤnderung keinen Beſtand haben werde. Aber wie ſollten die in einer groſſen Angelegenheit verwikel- ten Perſonen faͤhig ſeyn, ſo gelaſſen und uneingenom- men davon zu urtheilen, wie entfernte Zuſchauer, welche das Ganze bereits vor ſich liegen haben, und bey einer kalten Unterſuchung des Zuſammenhangs aller Umſtaͤnde ſehr leicht mit vieler Zuverlaͤſſigkeit beweiſen koͤnnen, daß es nicht anders habe gehen koͤnnen, als wie ſie wiſ- ſen, daß es gegangen iſt? Plato ſelbſt ließ ſich von den Anſcheinungen betruͤgen, weil ſie ſeinen Wuͤnſchen ge- maͤß waren, und ihm zu beweiſen ſchienen, wieviel er vermoͤge. Die voreilige Freude uͤber einen Succeß, deſ- ſen er ſich ſchon verſichert hielt, ließ ihm nicht zu, ſich alle die Hinderniſſe, die ſeine Bemuͤhungen vereiteln konnten, in der gehoͤrigen Staͤrke vorzuſtellen, und in Zeiten darauf bedacht zu ſeyn, wie er ihnen zuvorkom- men H 2

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/117>, abgerufen am 19.04.2024.