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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Neuntes Buch, drittes Capitel.

Ohne daß sich die Ueberredungs-Kunst des göttlichen
Plato, oder die Contagion der Philosophischen Schwär-
merey darein mischte, theilte sich die plözliche Wissens-
Begierde des Dionys, so bald man sah, daß es Ernst
war, eben so plözlich allen seinen Höflingen mit. Nicht,
als ob ihnen viel daran gelegen gewesen wäre, ihre
kleinen Affen-Seelen nach dem göttlichen Modell der
Jdeen
umzubilden, oder als ob sie sich darum beküm-
mert hätten, was in den überhimmlischen Räumen
zu sehen sey; aber sie thaten doch dergleichen; der Ton
der Philosophie war nun einmal Mode; man mußte Me-
taphysik in geometrischen Ausdrüken reden, um sich dem
Fürsten angenehm zu machen. Man trug also am gan-
zen Hofe keine andre als philosophische Mäntel; alle
Säle des Palasts waren, nach Art der Gymnasien
mit Sand bestreut, um mit allen den Dreyeken, Vier-
eken, Pyramiden, Achteken und Zwanzigeken über-
schrieben zu werden, aus welchen Plato seinen Gott
diese schöne runde Welt zusammenleimen läßt; alle Leute,
bis auf die Köche, sprachen Philosophie, hatten ihr
Gesicht in irgend eine geometrische Figur verzogen, und
disputierten über die Materie und die Form, über das
was ist und was nicht ist, über die beyden Enden des
Guten und Bösen, und über die beste Republik. Alles
dieses machte freylich ein ziemlich seltsames Aussehen,
und konnte den Verdacht erweken, als ob Plato an
dem Syracusischen Hofe eher die Rolle eines aufge-
blasenen Pedanten unter einem Hauffen unbärtiger Scho-
laren gespielt habe, als eines weisen Mannes, der sich

einen
Neuntes Buch, drittes Capitel.

Ohne daß ſich die Ueberredungs-Kunſt des goͤttlichen
Plato, oder die Contagion der Philoſophiſchen Schwaͤr-
merey darein miſchte, theilte ſich die ploͤzliche Wiſſens-
Begierde des Dionys, ſo bald man ſah, daß es Ernſt
war, eben ſo ploͤzlich allen ſeinen Hoͤflingen mit. Nicht,
als ob ihnen viel daran gelegen geweſen waͤre, ihre
kleinen Affen-Seelen nach dem goͤttlichen Modell der
Jdeen
umzubilden, oder als ob ſie ſich darum bekuͤm-
mert haͤtten, was in den uͤberhimmliſchen Raͤumen
zu ſehen ſey; aber ſie thaten doch dergleichen; der Ton
der Philoſophie war nun einmal Mode; man mußte Me-
taphyſik in geometriſchen Ausdruͤken reden, um ſich dem
Fuͤrſten angenehm zu machen. Man trug alſo am gan-
zen Hofe keine andre als philoſophiſche Maͤntel; alle
Saͤle des Palaſts waren, nach Art der Gymnaſien
mit Sand beſtreut, um mit allen den Dreyeken, Vier-
eken, Pyramiden, Achteken und Zwanzigeken uͤber-
ſchrieben zu werden, aus welchen Plato ſeinen Gott
dieſe ſchoͤne runde Welt zuſammenleimen laͤßt; alle Leute,
bis auf die Koͤche, ſprachen Philoſophie, hatten ihr
Geſicht in irgend eine geometriſche Figur verzogen, und
disputierten uͤber die Materie und die Form, uͤber das
was iſt und was nicht iſt, uͤber die beyden Enden des
Guten und Boͤſen, und uͤber die beſte Republik. Alles
dieſes machte freylich ein ziemlich ſeltſames Ausſehen,
und konnte den Verdacht erweken, als ob Plato an
dem Syracuſiſchen Hofe eher die Rolle eines aufge-
blaſenen Pedanten unter einem Hauffen unbaͤrtiger Scho-
laren geſpielt habe, als eines weiſen Mannes, der ſich

einen
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[111/0113] Neuntes Buch, drittes Capitel. Ohne daß ſich die Ueberredungs-Kunſt des goͤttlichen Plato, oder die Contagion der Philoſophiſchen Schwaͤr- merey darein miſchte, theilte ſich die ploͤzliche Wiſſens- Begierde des Dionys, ſo bald man ſah, daß es Ernſt war, eben ſo ploͤzlich allen ſeinen Hoͤflingen mit. Nicht, als ob ihnen viel daran gelegen geweſen waͤre, ihre kleinen Affen-Seelen nach dem goͤttlichen Modell der Jdeen umzubilden, oder als ob ſie ſich darum bekuͤm- mert haͤtten, was in den uͤberhimmliſchen Raͤumen zu ſehen ſey; aber ſie thaten doch dergleichen; der Ton der Philoſophie war nun einmal Mode; man mußte Me- taphyſik in geometriſchen Ausdruͤken reden, um ſich dem Fuͤrſten angenehm zu machen. Man trug alſo am gan- zen Hofe keine andre als philoſophiſche Maͤntel; alle Saͤle des Palaſts waren, nach Art der Gymnaſien mit Sand beſtreut, um mit allen den Dreyeken, Vier- eken, Pyramiden, Achteken und Zwanzigeken uͤber- ſchrieben zu werden, aus welchen Plato ſeinen Gott dieſe ſchoͤne runde Welt zuſammenleimen laͤßt; alle Leute, bis auf die Koͤche, ſprachen Philoſophie, hatten ihr Geſicht in irgend eine geometriſche Figur verzogen, und disputierten uͤber die Materie und die Form, uͤber das was iſt und was nicht iſt, uͤber die beyden Enden des Guten und Boͤſen, und uͤber die beſte Republik. Alles dieſes machte freylich ein ziemlich ſeltſames Ausſehen, und konnte den Verdacht erweken, als ob Plato an dem Syracuſiſchen Hofe eher die Rolle eines aufge- blaſenen Pedanten unter einem Hauffen unbaͤrtiger Scho- laren geſpielt habe, als eines weiſen Mannes, der ſich einen

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/113>, abgerufen am 26.04.2024.