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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
einen grossen Zwek vorgesezt hat, und die Mittel dazu,
nach den Umständen des Orts, der Zeit und der Per-
sonen, klüglich zu bestimmen weiß. Aber man würde
sich irren. Er hatte an den lächerlichen Ausschweiffun-
gen der Hofleute wenig Antheil; ob er gleich ganz gern
sah, daß diese unnüze Hummeln, welche er nicht auf
einmal austreiben konnte, auf solche Spielwerke ver-
fielen, die doch immer als eine Art von Vorübungen
angesehen werden konnten, wodurch sie unvermerkt von
ihren vorigen Gewohnheiten abgezogen, und durch den
Geschmak an Wissenschaft zu der allgemeinen Verbesse-
rung, welche er zu bewürken hofte, vorbereitet wur-
den. Allein seine eigene hauptsächlichsten Bemühungen
bezogen sich unmittelbar auf den Dionysius selbst; und
indem er ihn durch die Reizungen seines Umgangs und
seiner Beredsamkeit zu humanisieren, und an sich zu ge-
wöhnen suchte, trachtete er, ohne es allzudeutlich zu
erkennen zu geben, dahin, ihm die Verachtung seines
vorigen Zustandes, die Liebe der Tugend, Begierden
nach ruhmwürdigen Thaten; kurz, solche Gesinnun-
gen einzuflössen, welche ihn durch unmerkliche Grade
von sich selbst auf die Gedanken bringen würden, ein
unrechtmässiges Diadem von sich zu werfen, und sich
an der Ehre, der erste unter seines gleichen zu seyn,
genügen zu lassen. Die Anscheinungen liessen ihn den
vollkommensten Succeß hoffen. Dionys schien in weni-
gen Tagen nicht mehr der vorige Mann. Seine Wis-
sens-Begierde, seine Gelehrigkeit gegen die Räthe des
Philosophen, das Sanfte und Ruhige in seinem ganzen

Betragen

Agathon.
einen groſſen Zwek vorgeſezt hat, und die Mittel dazu,
nach den Umſtaͤnden des Orts, der Zeit und der Per-
ſonen, kluͤglich zu beſtimmen weiß. Aber man wuͤrde
ſich irren. Er hatte an den laͤcherlichen Ausſchweiffun-
gen der Hofleute wenig Antheil; ob er gleich ganz gern
ſah, daß dieſe unnuͤze Hummeln, welche er nicht auf
einmal austreiben konnte, auf ſolche Spielwerke ver-
fielen, die doch immer als eine Art von Voruͤbungen
angeſehen werden konnten, wodurch ſie unvermerkt von
ihren vorigen Gewohnheiten abgezogen, und durch den
Geſchmak an Wiſſenſchaft zu der allgemeinen Verbeſſe-
rung, welche er zu bewuͤrken hofte, vorbereitet wur-
den. Allein ſeine eigene hauptſaͤchlichſten Bemuͤhungen
bezogen ſich unmittelbar auf den Dionyſius ſelbſt; und
indem er ihn durch die Reizungen ſeines Umgangs und
ſeiner Beredſamkeit zu humaniſieren, und an ſich zu ge-
woͤhnen ſuchte, trachtete er, ohne es allzudeutlich zu
erkennen zu geben, dahin, ihm die Verachtung ſeines
vorigen Zuſtandes, die Liebe der Tugend, Begierden
nach ruhmwuͤrdigen Thaten; kurz, ſolche Geſinnun-
gen einzufloͤſſen, welche ihn durch unmerkliche Grade
von ſich ſelbſt auf die Gedanken bringen wuͤrden, ein
unrechtmaͤſſiges Diadem von ſich zu werfen, und ſich
an der Ehre, der erſte unter ſeines gleichen zu ſeyn,
genuͤgen zu laſſen. Die Anſcheinungen lieſſen ihn den
vollkommenſten Succeß hoffen. Dionys ſchien in weni-
gen Tagen nicht mehr der vorige Mann. Seine Wiſ-
ſens-Begierde, ſeine Gelehrigkeit gegen die Raͤthe des
Philoſophen, das Sanfte und Ruhige in ſeinem ganzen

Betragen
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[112/0114] Agathon. einen groſſen Zwek vorgeſezt hat, und die Mittel dazu, nach den Umſtaͤnden des Orts, der Zeit und der Per- ſonen, kluͤglich zu beſtimmen weiß. Aber man wuͤrde ſich irren. Er hatte an den laͤcherlichen Ausſchweiffun- gen der Hofleute wenig Antheil; ob er gleich ganz gern ſah, daß dieſe unnuͤze Hummeln, welche er nicht auf einmal austreiben konnte, auf ſolche Spielwerke ver- fielen, die doch immer als eine Art von Voruͤbungen angeſehen werden konnten, wodurch ſie unvermerkt von ihren vorigen Gewohnheiten abgezogen, und durch den Geſchmak an Wiſſenſchaft zu der allgemeinen Verbeſſe- rung, welche er zu bewuͤrken hofte, vorbereitet wur- den. Allein ſeine eigene hauptſaͤchlichſten Bemuͤhungen bezogen ſich unmittelbar auf den Dionyſius ſelbſt; und indem er ihn durch die Reizungen ſeines Umgangs und ſeiner Beredſamkeit zu humaniſieren, und an ſich zu ge- woͤhnen ſuchte, trachtete er, ohne es allzudeutlich zu erkennen zu geben, dahin, ihm die Verachtung ſeines vorigen Zuſtandes, die Liebe der Tugend, Begierden nach ruhmwuͤrdigen Thaten; kurz, ſolche Geſinnun- gen einzufloͤſſen, welche ihn durch unmerkliche Grade von ſich ſelbſt auf die Gedanken bringen wuͤrden, ein unrechtmaͤſſiges Diadem von ſich zu werfen, und ſich an der Ehre, der erſte unter ſeines gleichen zu ſeyn, genuͤgen zu laſſen. Die Anſcheinungen lieſſen ihn den vollkommenſten Succeß hoffen. Dionys ſchien in weni- gen Tagen nicht mehr der vorige Mann. Seine Wiſ- ſens-Begierde, ſeine Gelehrigkeit gegen die Raͤthe des Philoſophen, das Sanfte und Ruhige in ſeinem ganzen Betragen

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/114>, abgerufen am 25.11.2024.