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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
Tempels sich ein so liebenswürdiges Phantom in den
Kopf gesezt hatte, mehr in den Vergnügen der Ein-
bildungs-Kraft und des Herzens suchte; eine Philoso-
phie, bey welcher er (nach der scharfsinnigen Beob-
achtung unsrer Schönen) so gar von Seiten der sinu-
lichen Lust mehr gewann, als verlohr; indem diese
von den verschönernden Einflüssen einer begeisterten Ein-
bildung und den zärtlichen Rührungen und Ergiessun-
gen eines gefühlvollen Herzens ihren mächtigsten Reiz
erhält. Dieses als gewiß vorausgesezt, glaubte sie von
der Unbeständigkeit, welche sie, nicht ohne Grund,
als eine Eigenschaft einer allzuwürksamen und hoch ge-
spannten Einbildungs-Kraft ansah, nichts zu besorgen
zu haben; so lange es ihr nicht an Mitteln fehlen wür-
de, seinen Geist und sein Herz zugleich und, mit einer
solchen Abwechslung und Mannigfaltigkeit zu vergnü-
gen, daß eine weit längere Zeit, als die Natur dem
Menschen zum Geniessen angewiesen hat, nicht lange
genug wäre, ihn eines so angenehmen Zustandes über-
drüssig zu machen. Sie hatte Ursache, dieses um so
mehr zu glauben, da sie aus Erfahrung wußte, daß
die Würksamkeit der Einbildungs-Kraft desto mehr ab-
nihmt, je weniger leeres der Genuß würklicher Ver-
gnügungen im Herzen zurükläßt, und je weniger ihm
Zeit gelassen wird, etwas angenehmers als das Gegen-
wärtige zu wünschen.

Es ist dermalen noch nicht Zeit, daß wir über diese
Grundsäze der schönen Danae unsere eigenen Gedanken

sagen.

Agathon.
Tempels ſich ein ſo liebenswuͤrdiges Phantom in den
Kopf geſezt hatte, mehr in den Vergnuͤgen der Ein-
bildungs-Kraft und des Herzens ſuchte; eine Philoſo-
phie, bey welcher er (nach der ſcharfſinnigen Beob-
achtung unſrer Schoͤnen) ſo gar von Seiten der ſinu-
lichen Luſt mehr gewann, als verlohr; indem dieſe
von den verſchoͤnernden Einfluͤſſen einer begeiſterten Ein-
bildung und den zaͤrtlichen Ruͤhrungen und Ergieſſun-
gen eines gefuͤhlvollen Herzens ihren maͤchtigſten Reiz
erhaͤlt. Dieſes als gewiß vorausgeſezt, glaubte ſie von
der Unbeſtaͤndigkeit, welche ſie, nicht ohne Grund,
als eine Eigenſchaft einer allzuwuͤrkſamen und hoch ge-
ſpannten Einbildungs-Kraft anſah, nichts zu beſorgen
zu haben; ſo lange es ihr nicht an Mitteln fehlen wuͤr-
de, ſeinen Geiſt und ſein Herz zugleich und, mit einer
ſolchen Abwechslung und Mannigfaltigkeit zu vergnuͤ-
gen, daß eine weit laͤngere Zeit, als die Natur dem
Menſchen zum Genieſſen angewieſen hat, nicht lange
genug waͤre, ihn eines ſo angenehmen Zuſtandes uͤber-
druͤſſig zu machen. Sie hatte Urſache, dieſes um ſo
mehr zu glauben, da ſie aus Erfahrung wußte, daß
die Wuͤrkſamkeit der Einbildungs-Kraft deſto mehr ab-
nihmt, je weniger leeres der Genuß wuͤrklicher Ver-
gnuͤgungen im Herzen zuruͤklaͤßt, und je weniger ihm
Zeit gelaſſen wird, etwas angenehmers als das Gegen-
waͤrtige zu wuͤnſchen.

Es iſt dermalen noch nicht Zeit, daß wir uͤber dieſe
Grundſaͤze der ſchoͤnen Danae unſere eigenen Gedanken

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[384/0406] Agathon. Tempels ſich ein ſo liebenswuͤrdiges Phantom in den Kopf geſezt hatte, mehr in den Vergnuͤgen der Ein- bildungs-Kraft und des Herzens ſuchte; eine Philoſo- phie, bey welcher er (nach der ſcharfſinnigen Beob- achtung unſrer Schoͤnen) ſo gar von Seiten der ſinu- lichen Luſt mehr gewann, als verlohr; indem dieſe von den verſchoͤnernden Einfluͤſſen einer begeiſterten Ein- bildung und den zaͤrtlichen Ruͤhrungen und Ergieſſun- gen eines gefuͤhlvollen Herzens ihren maͤchtigſten Reiz erhaͤlt. Dieſes als gewiß vorausgeſezt, glaubte ſie von der Unbeſtaͤndigkeit, welche ſie, nicht ohne Grund, als eine Eigenſchaft einer allzuwuͤrkſamen und hoch ge- ſpannten Einbildungs-Kraft anſah, nichts zu beſorgen zu haben; ſo lange es ihr nicht an Mitteln fehlen wuͤr- de, ſeinen Geiſt und ſein Herz zugleich und, mit einer ſolchen Abwechslung und Mannigfaltigkeit zu vergnuͤ- gen, daß eine weit laͤngere Zeit, als die Natur dem Menſchen zum Genieſſen angewieſen hat, nicht lange genug waͤre, ihn eines ſo angenehmen Zuſtandes uͤber- druͤſſig zu machen. Sie hatte Urſache, dieſes um ſo mehr zu glauben, da ſie aus Erfahrung wußte, daß die Wuͤrkſamkeit der Einbildungs-Kraft deſto mehr ab- nihmt, je weniger leeres der Genuß wuͤrklicher Ver- gnuͤgungen im Herzen zuruͤklaͤßt, und je weniger ihm Zeit gelaſſen wird, etwas angenehmers als das Gegen- waͤrtige zu wuͤnſchen. Es iſt dermalen noch nicht Zeit, daß wir uͤber dieſe Grundſaͤze der ſchoͤnen Danae unſere eigenen Gedanken ſagen.

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/406>, abgerufen am 26.04.2024.