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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Siebentes Buch, siebentes Capitel.
müthige. Sie sollen fühlen, was für ein Unterschied
zwischen ihm und ihnen ist; sie sollen fühlen, daß er
nur desto grösser ist, wenn sie ihm alle diese kindischen
Zierathen von Flittergold, womit sie ihn, wie Kin-
der, eine auf kurze Zeit geliebte Puppe, umhängt ha-
ben wieder abnehmen; und eine zu späte Reue soll
sie vielleicht in kurzem lehren, daß Agathon ihrer leich-
ter, als sie des Agathons entbehren können. Du
siehest, schöne Danae, daß ich mich nicht scheue, dir
auch meine Schwachheiten zu gestehen. Dieser Stolz,
der zu einer desto riesenmäßigern Gestalt aufschwoll,
je mehr mich die Athenienser zu Boden drüken woll-
ten, hatte ohne Zweifel einen guten Theil von eben
der Eitelkeit in sich, welche ich ihnen zum Verbrechen
machte; aber vielleicht gehört er auch unter die Trieb-
federn, womit die Natur edle Gemüther versehen hat,
um dem Druk widerwärtiger Zufälle mit gleich starker
Reaction zu widerstehen, und sich dadurch in ihrer ei-
genen Gestalt und Grösse zu erhalten. Die Athenien-
ser rühmten ehmals meine Bescheidenheit und Mäßi-
gung zu einer Zeit, da sie alles thaten, was mich diese
Tugenden verliehren machen konnte; diese Bescheiden-
heit hatte mit dem Stolz, der ihnen izt so anstößig
an mir war, daß er vielleicht mehr, als alle Bemü-
hungen meiner Feinde zu meinem Fall beytrug, einer-
ley Quelle; ich war mir eben so wol bewußt, daß ich
ihre Mißhandlungen nicht verdiente, wie ich ehmals
fühlte, daß die Achtung übertrieben war, die sie mir
bewiesen; desto bescheidener, je mehr sie mich erhuben;

desto

Siebentes Buch, ſiebentes Capitel.
muͤthige. Sie ſollen fuͤhlen, was fuͤr ein Unterſchied
zwiſchen ihm und ihnen iſt; ſie ſollen fuͤhlen, daß er
nur deſto groͤſſer iſt, wenn ſie ihm alle dieſe kindiſchen
Zierathen von Flittergold, womit ſie ihn, wie Kin-
der, eine auf kurze Zeit geliebte Puppe, umhaͤngt ha-
ben wieder abnehmen; und eine zu ſpaͤte Reue ſoll
ſie vielleicht in kurzem lehren, daß Agathon ihrer leich-
ter, als ſie des Agathons entbehren koͤnnen. Du
ſieheſt, ſchoͤne Danae, daß ich mich nicht ſcheue, dir
auch meine Schwachheiten zu geſtehen. Dieſer Stolz,
der zu einer deſto rieſenmaͤßigern Geſtalt aufſchwoll,
je mehr mich die Athenienſer zu Boden druͤken woll-
ten, hatte ohne Zweifel einen guten Theil von eben
der Eitelkeit in ſich, welche ich ihnen zum Verbrechen
machte; aber vielleicht gehoͤrt er auch unter die Trieb-
federn, womit die Natur edle Gemuͤther verſehen hat,
um dem Druk widerwaͤrtiger Zufaͤlle mit gleich ſtarker
Reaction zu widerſtehen, und ſich dadurch in ihrer ei-
genen Geſtalt und Groͤſſe zu erhalten. Die Athenien-
ſer ruͤhmten ehmals meine Beſcheidenheit und Maͤßi-
gung zu einer Zeit, da ſie alles thaten, was mich dieſe
Tugenden verliehren machen konnte; dieſe Beſcheiden-
heit hatte mit dem Stolz, der ihnen izt ſo anſtoͤßig
an mir war, daß er vielleicht mehr, als alle Bemuͤ-
hungen meiner Feinde zu meinem Fall beytrug, einer-
ley Quelle; ich war mir eben ſo wol bewußt, daß ich
ihre Mißhandlungen nicht verdiente, wie ich ehmals
fuͤhlte, daß die Achtung uͤbertrieben war, die ſie mir
bewieſen; deſto beſcheidener, je mehr ſie mich erhuben;

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[365/0387] Siebentes Buch, ſiebentes Capitel. muͤthige. Sie ſollen fuͤhlen, was fuͤr ein Unterſchied zwiſchen ihm und ihnen iſt; ſie ſollen fuͤhlen, daß er nur deſto groͤſſer iſt, wenn ſie ihm alle dieſe kindiſchen Zierathen von Flittergold, womit ſie ihn, wie Kin- der, eine auf kurze Zeit geliebte Puppe, umhaͤngt ha- ben wieder abnehmen; und eine zu ſpaͤte Reue ſoll ſie vielleicht in kurzem lehren, daß Agathon ihrer leich- ter, als ſie des Agathons entbehren koͤnnen. Du ſieheſt, ſchoͤne Danae, daß ich mich nicht ſcheue, dir auch meine Schwachheiten zu geſtehen. Dieſer Stolz, der zu einer deſto rieſenmaͤßigern Geſtalt aufſchwoll, je mehr mich die Athenienſer zu Boden druͤken woll- ten, hatte ohne Zweifel einen guten Theil von eben der Eitelkeit in ſich, welche ich ihnen zum Verbrechen machte; aber vielleicht gehoͤrt er auch unter die Trieb- federn, womit die Natur edle Gemuͤther verſehen hat, um dem Druk widerwaͤrtiger Zufaͤlle mit gleich ſtarker Reaction zu widerſtehen, und ſich dadurch in ihrer ei- genen Geſtalt und Groͤſſe zu erhalten. Die Athenien- ſer ruͤhmten ehmals meine Beſcheidenheit und Maͤßi- gung zu einer Zeit, da ſie alles thaten, was mich dieſe Tugenden verliehren machen konnte; dieſe Beſcheiden- heit hatte mit dem Stolz, der ihnen izt ſo anſtoͤßig an mir war, daß er vielleicht mehr, als alle Bemuͤ- hungen meiner Feinde zu meinem Fall beytrug, einer- ley Quelle; ich war mir eben ſo wol bewußt, daß ich ihre Mißhandlungen nicht verdiente, wie ich ehmals fuͤhlte, daß die Achtung uͤbertrieben war, die ſie mir bewieſen; deſto beſcheidener, je mehr ſie mich erhuben; deſto

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/387>, abgerufen am 22.11.2024.