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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
desto stolzer und troziger, je mehr sie mich herunter
sezen wollten.

Meine Freunde hatten sich inzwischen in der Stille
so eifrig zu meinem Besten verwendet, daß sie mir
Hofnung machten, alles könne noch gut gehen, wenn
ich mich entschliessen könne, meine Apologie nach dem
Geschmak, und der Erwartung des Volks einzurichten.
Jch sollte mich zwar von Punkt zu Punkt so vollstän-
dig rechtfertigen, als es immer möglich wäre; aber
am Ende sollte ich mich doch den Atheniensern
auf Gnade oder Ungnade zu Füssen werfen; meinen
Feinden dürfte ich nach aller Schärfe des Selbstver-
theidigungs- und Wiedervergeltungsrechts begegnen;
aber den Atheniensern sollte ich schmeicheln, und an-
statt ihre Eigenliebe durch den mindesten Vorwurf zu
beleidigen, sollte ich bloß ihr Mitleiden zu erregen su-
chen. Es ist zu vermuthen, daß der Erfolg diesen
Rath meiner Freunde, der sich auf die Kenntnis des
Characters eines freyen Volks gründete, gerechtfertiget
hätte: Wenigstens ist gewiß, daß die erste Bewegun-
gen dieser Unbeständigen bereits angefangen hatten,
dem Mittleiden und den Regungen ihrer vormaligen
Liebe zu weichen. Jch lase es, da ich das Gerüste
bestieg, von welchem ich zu dem Volk redete, in vieler
Augen, wie sie nur darauf warteten, daß ich ihnen
einen Weg zeigen möchte, mit guter Art, und ohne
etwas von ihrer democratischen Majestät zu vergeben,
wieder zurük zu kommen. Aber sie fanden sich in ih-

rer

Agathon.
deſto ſtolzer und troziger, je mehr ſie mich herunter
ſezen wollten.

Meine Freunde hatten ſich inzwiſchen in der Stille
ſo eifrig zu meinem Beſten verwendet, daß ſie mir
Hofnung machten, alles koͤnne noch gut gehen, wenn
ich mich entſchlieſſen koͤnne, meine Apologie nach dem
Geſchmak, und der Erwartung des Volks einzurichten.
Jch ſollte mich zwar von Punkt zu Punkt ſo vollſtaͤn-
dig rechtfertigen, als es immer moͤglich waͤre; aber
am Ende ſollte ich mich doch den Athenienſern
auf Gnade oder Ungnade zu Fuͤſſen werfen; meinen
Feinden duͤrfte ich nach aller Schaͤrfe des Selbſtver-
theidigungs- und Wiedervergeltungsrechts begegnen;
aber den Athenienſern ſollte ich ſchmeicheln, und an-
ſtatt ihre Eigenliebe durch den mindeſten Vorwurf zu
beleidigen, ſollte ich bloß ihr Mitleiden zu erregen ſu-
chen. Es iſt zu vermuthen, daß der Erfolg dieſen
Rath meiner Freunde, der ſich auf die Kenntnis des
Characters eines freyen Volks gruͤndete, gerechtfertiget
haͤtte: Wenigſtens iſt gewiß, daß die erſte Bewegun-
gen dieſer Unbeſtaͤndigen bereits angefangen hatten,
dem Mittleiden und den Regungen ihrer vormaligen
Liebe zu weichen. Jch laſe es, da ich das Geruͤſte
beſtieg, von welchem ich zu dem Volk redete, in vieler
Augen, wie ſie nur darauf warteten, daß ich ihnen
einen Weg zeigen moͤchte, mit guter Art, und ohne
etwas von ihrer democratiſchen Majeſtaͤt zu vergeben,
wieder zuruͤk zu kommen. Aber ſie fanden ſich in ih-

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[366/0388] Agathon. deſto ſtolzer und troziger, je mehr ſie mich herunter ſezen wollten. Meine Freunde hatten ſich inzwiſchen in der Stille ſo eifrig zu meinem Beſten verwendet, daß ſie mir Hofnung machten, alles koͤnne noch gut gehen, wenn ich mich entſchlieſſen koͤnne, meine Apologie nach dem Geſchmak, und der Erwartung des Volks einzurichten. Jch ſollte mich zwar von Punkt zu Punkt ſo vollſtaͤn- dig rechtfertigen, als es immer moͤglich waͤre; aber am Ende ſollte ich mich doch den Athenienſern auf Gnade oder Ungnade zu Fuͤſſen werfen; meinen Feinden duͤrfte ich nach aller Schaͤrfe des Selbſtver- theidigungs- und Wiedervergeltungsrechts begegnen; aber den Athenienſern ſollte ich ſchmeicheln, und an- ſtatt ihre Eigenliebe durch den mindeſten Vorwurf zu beleidigen, ſollte ich bloß ihr Mitleiden zu erregen ſu- chen. Es iſt zu vermuthen, daß der Erfolg dieſen Rath meiner Freunde, der ſich auf die Kenntnis des Characters eines freyen Volks gruͤndete, gerechtfertiget haͤtte: Wenigſtens iſt gewiß, daß die erſte Bewegun- gen dieſer Unbeſtaͤndigen bereits angefangen hatten, dem Mittleiden und den Regungen ihrer vormaligen Liebe zu weichen. Jch laſe es, da ich das Geruͤſte beſtieg, von welchem ich zu dem Volk redete, in vieler Augen, wie ſie nur darauf warteten, daß ich ihnen einen Weg zeigen moͤchte, mit guter Art, und ohne etwas von ihrer democratiſchen Majeſtaͤt zu vergeben, wieder zuruͤk zu kommen. Aber ſie fanden ſich in ih- rer

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/388>, abgerufen am 25.11.2024.