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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
mit einem so innigen Vergnügen, als ob es mir geah-
net hätte, wie glüklich mich die Folge davon machen
würde. Jch hatte die Eitelkeit nicht, welche uns zu
schmeicheln pflegt, daß wir liebenswürdig seyen; ich
dachte an nichts weniger, als auf Mittel, wie ich mich
lieben machen wollte. Aber die Schönheit der Seele-
die ich in ihrem Gesichte ausgedrükt gesehen hatte; diese
sanfte Heiterkeit, die aus dem natürlichen Ernst ihrer
Züge hervorlächelte, hauchten mir Hoffnung ein, daß ich ge-
liebet werden würde. -- Und welch einen Himmel
von Wonne eröffnete diese Hoffnung vor mir! Was für
Aussichten! Welches Entzüken! -- Wenn ich mir
vorstellte, daß mein ganzes Leben, daß selbst die Ewig-
keiten, in deren grenzenlosen Tiefen, der Glükliche die
Dauer seiner Wonne so gerne sich verlieren läßt, in
ihrem Anschauen und an ihrer Seite dahinfliessen wür-
den!

So lebhafte Hoffnungen sezten voraus, daß ich sie
wieder finden würde; und dieser Wunsch brachte die
Begierde mit sich, zu wissen wer sie sey. Aber wen
konnt' ich fragen? Jch hatte keinen Freund, dem ich
mich entdeken durfte; von einem jeden andern glaubte
ich, daß er bey einer solchen Frage mein ganzes Ge-
heimniß in meinen Augen lesen würde; und die Liebe,
die ein sehr guter Rathgeber ist, hatte mich schon ein-
sehen gemacht, wie viel daran gelegen sey, daß der
Pythia nicht das Geringste zu Ohren komme, was ihr
den Zustand meines Herzens hätte verrathen, oder sie

zu

Agathon.
mit einem ſo innigen Vergnuͤgen, als ob es mir geah-
net haͤtte, wie gluͤklich mich die Folge davon machen
wuͤrde. Jch hatte die Eitelkeit nicht, welche uns zu
ſchmeicheln pflegt, daß wir liebenswuͤrdig ſeyen; ich
dachte an nichts weniger, als auf Mittel, wie ich mich
lieben machen wollte. Aber die Schoͤnheit der Seele-
die ich in ihrem Geſichte ausgedruͤkt geſehen hatte; dieſe
ſanfte Heiterkeit, die aus dem natuͤrlichen Ernſt ihrer
Zuͤge hervorlaͤchelte, hauchten mir Hoffnung ein, daß ich ge-
liebet werden wuͤrde. — Und welch einen Himmel
von Wonne eroͤffnete dieſe Hoffnung vor mir! Was fuͤr
Ausſichten! Welches Entzuͤken! — Wenn ich mir
vorſtellte, daß mein ganzes Leben, daß ſelbſt die Ewig-
keiten, in deren grenzenloſen Tiefen, der Gluͤkliche die
Dauer ſeiner Wonne ſo gerne ſich verlieren laͤßt, in
ihrem Anſchauen und an ihrer Seite dahinflieſſen wuͤr-
den!

So lebhafte Hoffnungen ſezten voraus, daß ich ſie
wieder finden wuͤrde; und dieſer Wunſch brachte die
Begierde mit ſich, zu wiſſen wer ſie ſey. Aber wen
konnt’ ich fragen? Jch hatte keinen Freund, dem ich
mich entdeken durfte; von einem jeden andern glaubte
ich, daß er bey einer ſolchen Frage mein ganzes Ge-
heimniß in meinen Augen leſen wuͤrde; und die Liebe,
die ein ſehr guter Rathgeber iſt, hatte mich ſchon ein-
ſehen gemacht, wie viel daran gelegen ſey, daß der
Pythia nicht das Geringſte zu Ohren komme, was ihr
den Zuſtand meines Herzens haͤtte verrathen, oder ſie

zu
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[284/0306] Agathon. mit einem ſo innigen Vergnuͤgen, als ob es mir geah- net haͤtte, wie gluͤklich mich die Folge davon machen wuͤrde. Jch hatte die Eitelkeit nicht, welche uns zu ſchmeicheln pflegt, daß wir liebenswuͤrdig ſeyen; ich dachte an nichts weniger, als auf Mittel, wie ich mich lieben machen wollte. Aber die Schoͤnheit der Seele- die ich in ihrem Geſichte ausgedruͤkt geſehen hatte; dieſe ſanfte Heiterkeit, die aus dem natuͤrlichen Ernſt ihrer Zuͤge hervorlaͤchelte, hauchten mir Hoffnung ein, daß ich ge- liebet werden wuͤrde. — Und welch einen Himmel von Wonne eroͤffnete dieſe Hoffnung vor mir! Was fuͤr Ausſichten! Welches Entzuͤken! — Wenn ich mir vorſtellte, daß mein ganzes Leben, daß ſelbſt die Ewig- keiten, in deren grenzenloſen Tiefen, der Gluͤkliche die Dauer ſeiner Wonne ſo gerne ſich verlieren laͤßt, in ihrem Anſchauen und an ihrer Seite dahinflieſſen wuͤr- den! So lebhafte Hoffnungen ſezten voraus, daß ich ſie wieder finden wuͤrde; und dieſer Wunſch brachte die Begierde mit ſich, zu wiſſen wer ſie ſey. Aber wen konnt’ ich fragen? Jch hatte keinen Freund, dem ich mich entdeken durfte; von einem jeden andern glaubte ich, daß er bey einer ſolchen Frage mein ganzes Ge- heimniß in meinen Augen leſen wuͤrde; und die Liebe, die ein ſehr guter Rathgeber iſt, hatte mich ſchon ein- ſehen gemacht, wie viel daran gelegen ſey, daß der Pythia nicht das Geringſte zu Ohren komme, was ihr den Zuſtand meines Herzens haͤtte verrathen, oder ſie zu

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/306>, abgerufen am 29.09.2024.