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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
weil ihm das übrige zu nichts nüze ist." Auch ist der-
jenige, den ich dir anpreise, weit entfernt in diese Classe
zu gehören; mache dir darüber keinen Kummer. Was
du für die Folge einer physischen Nothwendigkeit hältst,
ist bey ihm die Würkung der Tugend, und der erhab-
nen Philosophie, von der er Profeßion macht. "Du
machst mich sehr neugierig ihn zu sehen; aber weist du,
Hippias, daß meine Eitelkeit nicht zu frieden wäre, auf
eine so kaltsinnige Art geliebt zu seyn. Es ist wahr,
ich bin dieser mechanischen Liebhaber von Herzen über-
drüßig; aber ich würde mit einem andern eben so übel
zu frieden seyn, der gegen dasjenige ganz unempfind-
lich wäre, wofür jene allein empfindlich sind. Ein
Frauenzimmer findet allezeit ein Vergnügen darinn,
Begierden einzuflössen, auch wann sie nicht im Sinn
hat, sie zu vergnügen. Die Spröden selbst sind von dieser
Schwachheit nicht ausgenommen. Wozu haben wir
nöthig, daß uns ein Liebhaber sagt, daß wir reizend
sind? Wir wollen es aus den Würkungen sehen, die
wir auf ihn machen. Je weiser er ist, desto schmei-
chelnder ist es für unsre Eitelkeit, wenn wir ihn aus
seiner Fassung sezen können. Nein, du begreifst nicht,
wie sehr das Vergnügen, das uns der Anblik aller der
Thorheiten macht, wozu wir diese Herren der Schöp-
fung bringen können, alle andre übertrift, die sie uns
zu machen fähig sind. Ein Philosoph, der zu meinen
Füssen wie eine Turteldaube girret, der mir zu Gefallen
seine Haare und seinen Bart kräuseln läßt, der sowol
riecht wie ein arabischer Salbenhändler, der mir den

Hof

Agathon.
weil ihm das uͤbrige zu nichts nuͤze iſt.„ Auch iſt der-
jenige, den ich dir anpreiſe, weit entfernt in dieſe Claſſe
zu gehoͤren; mache dir daruͤber keinen Kummer. Was
du fuͤr die Folge einer phyſiſchen Nothwendigkeit haͤltſt,
iſt bey ihm die Wuͤrkung der Tugend, und der erhab-
nen Philoſophie, von der er Profeßion macht. „Du
machſt mich ſehr neugierig ihn zu ſehen; aber weiſt du,
Hippias, daß meine Eitelkeit nicht zu frieden waͤre, auf
eine ſo kaltſinnige Art geliebt zu ſeyn. Es iſt wahr,
ich bin dieſer mechaniſchen Liebhaber von Herzen uͤber-
druͤßig; aber ich wuͤrde mit einem andern eben ſo uͤbel
zu frieden ſeyn, der gegen dasjenige ganz unempfind-
lich waͤre, wofuͤr jene allein empfindlich ſind. Ein
Frauenzimmer findet allezeit ein Vergnuͤgen darinn,
Begierden einzufloͤſſen, auch wann ſie nicht im Sinn
hat, ſie zu vergnuͤgen. Die Sproͤden ſelbſt ſind von dieſer
Schwachheit nicht ausgenommen. Wozu haben wir
noͤthig, daß uns ein Liebhaber ſagt, daß wir reizend
ſind? Wir wollen es aus den Wuͤrkungen ſehen, die
wir auf ihn machen. Je weiſer er iſt, deſto ſchmei-
chelnder iſt es fuͤr unſre Eitelkeit, wenn wir ihn aus
ſeiner Faſſung ſezen koͤnnen. Nein, du begreifſt nicht,
wie ſehr das Vergnuͤgen, das uns der Anblik aller der
Thorheiten macht, wozu wir dieſe Herren der Schoͤp-
fung bringen koͤnnen, alle andre uͤbertrift, die ſie uns
zu machen faͤhig ſind. Ein Philoſoph, der zu meinen
Fuͤſſen wie eine Turteldaube girret, der mir zu Gefallen
ſeine Haare und ſeinen Bart kraͤuſeln laͤßt, der ſowol
riecht wie ein arabiſcher Salbenhaͤndler, der mir den

Hof
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[142/0164] Agathon. weil ihm das uͤbrige zu nichts nuͤze iſt.„ Auch iſt der- jenige, den ich dir anpreiſe, weit entfernt in dieſe Claſſe zu gehoͤren; mache dir daruͤber keinen Kummer. Was du fuͤr die Folge einer phyſiſchen Nothwendigkeit haͤltſt, iſt bey ihm die Wuͤrkung der Tugend, und der erhab- nen Philoſophie, von der er Profeßion macht. „Du machſt mich ſehr neugierig ihn zu ſehen; aber weiſt du, Hippias, daß meine Eitelkeit nicht zu frieden waͤre, auf eine ſo kaltſinnige Art geliebt zu ſeyn. Es iſt wahr, ich bin dieſer mechaniſchen Liebhaber von Herzen uͤber- druͤßig; aber ich wuͤrde mit einem andern eben ſo uͤbel zu frieden ſeyn, der gegen dasjenige ganz unempfind- lich waͤre, wofuͤr jene allein empfindlich ſind. Ein Frauenzimmer findet allezeit ein Vergnuͤgen darinn, Begierden einzufloͤſſen, auch wann ſie nicht im Sinn hat, ſie zu vergnuͤgen. Die Sproͤden ſelbſt ſind von dieſer Schwachheit nicht ausgenommen. Wozu haben wir noͤthig, daß uns ein Liebhaber ſagt, daß wir reizend ſind? Wir wollen es aus den Wuͤrkungen ſehen, die wir auf ihn machen. Je weiſer er iſt, deſto ſchmei- chelnder iſt es fuͤr unſre Eitelkeit, wenn wir ihn aus ſeiner Faſſung ſezen koͤnnen. Nein, du begreifſt nicht, wie ſehr das Vergnuͤgen, das uns der Anblik aller der Thorheiten macht, wozu wir dieſe Herren der Schoͤp- fung bringen koͤnnen, alle andre uͤbertrift, die ſie uns zu machen faͤhig ſind. Ein Philoſoph, der zu meinen Fuͤſſen wie eine Turteldaube girret, der mir zu Gefallen ſeine Haare und ſeinen Bart kraͤuſeln laͤßt, der ſowol riecht wie ein arabiſcher Salbenhaͤndler, der mir den Hof

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/164>, abgerufen am 24.11.2024.