Es ist etwas bekanntes, daß öfters im mensch- lichen Leben weit unwahrscheinlichere Dinge be- gegnen, als der Chevalier de Mouhy selbst zu erdichten sich getrauen würde. Es würde also sehr übereilt seyn, die Wahrheit des Characters unsers Helden deßwegen in Verdacht zu ziehen, weil es öfters unwahrscheinlich ist, daß jemand so gedacht oder gehandelt habe, wie er. Wenn es unmöglich seyn wird, zu beweisen, daß ein Mensch, und ein Mensch unter den besondern Bestimmungen, unter welchen sich Agathon von seiner Kindheit an befunden, nicht so denken oder handeln könne, oder wenigstens es nicht oh- ne Wunderwerke, Einflüsse unsichtbarer Geister, oder übernatürliche Bezauberung hätte thun kön- nen: So glaubt der Verfasser mit Recht er- warten zu können, daß man ihm auf sein Wort glaube, wenn er positiv versichert, daß Agathon wirklich so gedacht oder gehandelt habe. Zu gu- tem Glüke finden sich in den beglaubtesten Ge- schichtschreibern, und schon allein in den Lebens- beschreibungen des Plutarch Beyspiele genug, daß es möglich sey, so edel, so tugendhaft, so ent-
haltsam,
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Vorbericht.
Es iſt etwas bekanntes, daß oͤfters im menſch- lichen Leben weit unwahrſcheinlichere Dinge be- gegnen, als der Chevalier de Mouhy ſelbſt zu erdichten ſich getrauen wuͤrde. Es wuͤrde alſo ſehr uͤbereilt ſeyn, die Wahrheit des Characters unſers Helden deßwegen in Verdacht zu ziehen, weil es oͤfters unwahrſcheinlich iſt, daß jemand ſo gedacht oder gehandelt habe, wie er. Wenn es unmoͤglich ſeyn wird, zu beweiſen, daß ein Menſch, und ein Menſch unter den beſondern Beſtimmungen, unter welchen ſich Agathon von ſeiner Kindheit an befunden, nicht ſo denken oder handeln koͤnne, oder wenigſtens es nicht oh- ne Wunderwerke, Einfluͤſſe unſichtbarer Geiſter, oder uͤbernatuͤrliche Bezauberung haͤtte thun koͤn- nen: So glaubt der Verfaſſer mit Recht er- warten zu koͤnnen, daß man ihm auf ſein Wort glaube, wenn er poſitiv verſichert, daß Agathon wirklich ſo gedacht oder gehandelt habe. Zu gu- tem Gluͤke finden ſich in den beglaubteſten Ge- ſchichtſchreibern, und ſchon allein in den Lebens- beſchreibungen des Plutarch Beyſpiele genug, daß es moͤglich ſey, ſo edel, ſo tugendhaft, ſo ent-
haltſam,
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[0014]
Vorbericht.
Es iſt etwas bekanntes, daß oͤfters im menſch-
lichen Leben weit unwahrſcheinlichere Dinge be-
gegnen, als der Chevalier de Mouhy ſelbſt zu
erdichten ſich getrauen wuͤrde. Es wuͤrde alſo
ſehr uͤbereilt ſeyn, die Wahrheit des Characters
unſers Helden deßwegen in Verdacht zu ziehen,
weil es oͤfters unwahrſcheinlich iſt, daß jemand ſo
gedacht oder gehandelt habe, wie er. Wenn es
unmoͤglich ſeyn wird, zu beweiſen, daß ein
Menſch, und ein Menſch unter den beſondern
Beſtimmungen, unter welchen ſich Agathon von
ſeiner Kindheit an befunden, nicht ſo denken
oder handeln koͤnne, oder wenigſtens es nicht oh-
ne Wunderwerke, Einfluͤſſe unſichtbarer Geiſter,
oder uͤbernatuͤrliche Bezauberung haͤtte thun koͤn-
nen: So glaubt der Verfaſſer mit Recht er-
warten zu koͤnnen, daß man ihm auf ſein Wort
glaube, wenn er poſitiv verſichert, daß Agathon
wirklich ſo gedacht oder gehandelt habe. Zu gu-
tem Gluͤke finden ſich in den beglaubteſten Ge-
ſchichtſchreibern, und ſchon allein in den Lebens-
beſchreibungen des Plutarch Beyſpiele genug, daß
es moͤglich ſey, ſo edel, ſo tugendhaft, ſo ent-
haltſam,
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/14>, abgerufen am 24.11.2024.
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