Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Kirche bekommt ein armer Littauer Recht, knurrte sein Unmuth. Er wanderte nach der Grenze, nach Grita zu hören. Ihre Mutter, meinte er, würde doch Auskunft über sie geben können. Sie sei hinüber zum Caplan, hieß es, -- die werde doch noch einmal katholisch werden. Das wunderte ihn, aber er sagte gleichwohl nichts, sondern ging ihr, so müde er auch war, eine Strecke über die Haide entgegen. Es dunkelte schon, als ihm eine Frauengestalt eilig entgegen kam. Sie hatte den Kopf mit Tüchern verbunden und einen wollenen Rock wie einen Mantel um die Schultern gehängt; trotz dieser Vermummung erkannte er sein Mädchen doch gleich am Gange und beflügelte nun auch seinen Schritt und rief ihr entgegen: Grita! Sie stutzte und zog das Tuch vom Gesicht weg, erkannte ihn, machte schnell die Arme frei und warf sich stürmisch an seine Brust. Er hörte sie laut schluchzen. Dann gingen sie zusammen weiter; Ansas legte die Hand auf ihre Schulter, und Grita lehnte den Kopf an die seinige, gesprochen wurde eine Weile gar nicht, und hinterher vom Unwichtigsten zuerst -- daß der Winter recht kalt werde und der Wind eisig von Norden wehe, und daß ihre kleine Schwester beim Gange zur Schule die Finger erfroren habe, und daß in letzter Nacht Spiritus über die Grenze gebracht und viel geschossen sei. Dann fragte er sie, ob sie beim Kirche bekommt ein armer Littauer Recht, knurrte sein Unmuth. Er wanderte nach der Grenze, nach Grita zu hören. Ihre Mutter, meinte er, würde doch Auskunft über sie geben können. Sie sei hinüber zum Caplan, hieß es, — die werde doch noch einmal katholisch werden. Das wunderte ihn, aber er sagte gleichwohl nichts, sondern ging ihr, so müde er auch war, eine Strecke über die Haide entgegen. Es dunkelte schon, als ihm eine Frauengestalt eilig entgegen kam. Sie hatte den Kopf mit Tüchern verbunden und einen wollenen Rock wie einen Mantel um die Schultern gehängt; trotz dieser Vermummung erkannte er sein Mädchen doch gleich am Gange und beflügelte nun auch seinen Schritt und rief ihr entgegen: Grita! Sie stutzte und zog das Tuch vom Gesicht weg, erkannte ihn, machte schnell die Arme frei und warf sich stürmisch an seine Brust. Er hörte sie laut schluchzen. Dann gingen sie zusammen weiter; Ansas legte die Hand auf ihre Schulter, und Grita lehnte den Kopf an die seinige, gesprochen wurde eine Weile gar nicht, und hinterher vom Unwichtigsten zuerst — daß der Winter recht kalt werde und der Wind eisig von Norden wehe, und daß ihre kleine Schwester beim Gange zur Schule die Finger erfroren habe, und daß in letzter Nacht Spiritus über die Grenze gebracht und viel geschossen sei. Dann fragte er sie, ob sie beim <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0086"/> Kirche bekommt ein armer Littauer Recht, knurrte sein Unmuth.</p><lb/> <p>Er wanderte nach der Grenze, nach Grita zu hören. Ihre Mutter, meinte er, würde doch Auskunft über sie geben können. Sie sei hinüber zum Caplan, hieß es, — die werde doch noch einmal katholisch werden. Das wunderte ihn, aber er sagte gleichwohl nichts, sondern ging ihr, so müde er auch war, eine Strecke über die Haide entgegen. Es dunkelte schon, als ihm eine Frauengestalt eilig entgegen kam. Sie hatte den Kopf mit Tüchern verbunden und einen wollenen Rock wie einen Mantel um die Schultern gehängt; trotz dieser Vermummung erkannte er sein Mädchen doch gleich am Gange und beflügelte nun auch seinen Schritt und rief ihr entgegen: Grita! Sie stutzte und zog das Tuch vom Gesicht weg, erkannte ihn, machte schnell die Arme frei und warf sich stürmisch an seine Brust. Er hörte sie laut schluchzen.</p><lb/> <p>Dann gingen sie zusammen weiter; Ansas legte die Hand auf ihre Schulter, und Grita lehnte den Kopf an die seinige, gesprochen wurde eine Weile gar nicht, und hinterher vom Unwichtigsten zuerst — daß der Winter recht kalt werde und der Wind eisig von Norden wehe, und daß ihre kleine Schwester beim Gange zur Schule die Finger erfroren habe, und daß in letzter Nacht Spiritus über die Grenze gebracht und viel geschossen sei. Dann fragte er sie, ob sie beim<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0086]
Kirche bekommt ein armer Littauer Recht, knurrte sein Unmuth.
Er wanderte nach der Grenze, nach Grita zu hören. Ihre Mutter, meinte er, würde doch Auskunft über sie geben können. Sie sei hinüber zum Caplan, hieß es, — die werde doch noch einmal katholisch werden. Das wunderte ihn, aber er sagte gleichwohl nichts, sondern ging ihr, so müde er auch war, eine Strecke über die Haide entgegen. Es dunkelte schon, als ihm eine Frauengestalt eilig entgegen kam. Sie hatte den Kopf mit Tüchern verbunden und einen wollenen Rock wie einen Mantel um die Schultern gehängt; trotz dieser Vermummung erkannte er sein Mädchen doch gleich am Gange und beflügelte nun auch seinen Schritt und rief ihr entgegen: Grita! Sie stutzte und zog das Tuch vom Gesicht weg, erkannte ihn, machte schnell die Arme frei und warf sich stürmisch an seine Brust. Er hörte sie laut schluchzen.
Dann gingen sie zusammen weiter; Ansas legte die Hand auf ihre Schulter, und Grita lehnte den Kopf an die seinige, gesprochen wurde eine Weile gar nicht, und hinterher vom Unwichtigsten zuerst — daß der Winter recht kalt werde und der Wind eisig von Norden wehe, und daß ihre kleine Schwester beim Gange zur Schule die Finger erfroren habe, und daß in letzter Nacht Spiritus über die Grenze gebracht und viel geschossen sei. Dann fragte er sie, ob sie beim
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Zitationshilfe: | Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910/86>, abgerufen am 16.02.2025. |