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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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sie sich auch herum, weil der Zufall in dem
Kopfe des einen die Ideen anders geordnet
hatte, als in dem Gehirne des andern: o
Unsinn! und oft zankte man sich oben drein
nur deswegen, weil der eine etwas weniger
einfältiges glaubte als der andre. -- Eine
Sekte, wo die dogmatische Sucht kein Herze
nagt und seinen Leidenschaften zum Lanzen-
träger dient -- wo ist eine solche, sie ist
mir willkommen! sie ist mir die beste! --
Freund, rief er dem Aliden zu, der sich eben
näherte, Freund! wenn alle Jünger des Ali
mit solcher Inbrunst beten wie Du, so wer-
de ich noch heute ihr Bruder! Wenn sie sich
selbst so lieben, wie ihren Gott, so schneide
mir ein Stück Haut ab, ritze mir die Ba-
cken, bade mich, oder mache eine Cerimo-
nie, wie du willst, um mich zu deiner Sekte
einzuweihen, oder mich zu zeichnen, daß
ich zu ihr gehöre! -- genug, ich will der
Genosse deines Bekenntnisses seyn und unter
Menschen leben, die sich weniger hassen als
andre: denn daß sie sich mehr lieben soll-
ten, das fodre ich von Menschen nicht. --

Der Alide erstaunte über den Eifer, mit
welchem er diese Anrede hielt, und war im

Begriffe,
D 2

ſie ſich auch herum, weil der Zufall in dem
Kopfe des einen die Ideen anders geordnet
hatte, als in dem Gehirne des andern: o
Unſinn! und oft zankte man ſich oben drein
nur deswegen, weil der eine etwas weniger
einfaͤltiges glaubte als der andre. — Eine
Sekte, wo die dogmatiſche Sucht kein Herze
nagt und ſeinen Leidenſchaften zum Lanzen-
traͤger dient — wo iſt eine ſolche, ſie iſt
mir willkommen! ſie iſt mir die beſte! —
Freund, rief er dem Aliden zu, der ſich eben
naͤherte, Freund! wenn alle Juͤnger des Ali
mit ſolcher Inbrunſt beten wie Du, ſo wer-
de ich noch heute ihr Bruder! Wenn ſie ſich
ſelbſt ſo lieben, wie ihren Gott, ſo ſchneide
mir ein Stuͤck Haut ab, ritze mir die Ba-
cken, bade mich, oder mache eine Cerimo-
nie, wie du willſt, um mich zu deiner Sekte
einzuweihen, oder mich zu zeichnen, daß
ich zu ihr gehoͤre! — genug, ich will der
Genoſſe deines Bekenntniſſes ſeyn und unter
Menſchen leben, die ſich weniger haſſen als
andre: denn daß ſie ſich mehr lieben ſoll-
ten, das fodre ich von Menſchen nicht. —

Der Alide erſtaunte uͤber den Eifer, mit
welchem er dieſe Anrede hielt, und war im

Begriffe,
D 2
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[49/0055] ſie ſich auch herum, weil der Zufall in dem Kopfe des einen die Ideen anders geordnet hatte, als in dem Gehirne des andern: o Unſinn! und oft zankte man ſich oben drein nur deswegen, weil der eine etwas weniger einfaͤltiges glaubte als der andre. — Eine Sekte, wo die dogmatiſche Sucht kein Herze nagt und ſeinen Leidenſchaften zum Lanzen- traͤger dient — wo iſt eine ſolche, ſie iſt mir willkommen! ſie iſt mir die beſte! — Freund, rief er dem Aliden zu, der ſich eben naͤherte, Freund! wenn alle Juͤnger des Ali mit ſolcher Inbrunſt beten wie Du, ſo wer- de ich noch heute ihr Bruder! Wenn ſie ſich ſelbſt ſo lieben, wie ihren Gott, ſo ſchneide mir ein Stuͤck Haut ab, ritze mir die Ba- cken, bade mich, oder mache eine Cerimo- nie, wie du willſt, um mich zu deiner Sekte einzuweihen, oder mich zu zeichnen, daß ich zu ihr gehoͤre! — genug, ich will der Genoſſe deines Bekenntniſſes ſeyn und unter Menſchen leben, die ſich weniger haſſen als andre: denn daß ſie ſich mehr lieben ſoll- ten, das fodre ich von Menſchen nicht. — Der Alide erſtaunte uͤber den Eifer, mit welchem er dieſe Anrede hielt, und war im Begriffe, D 2

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/55>, abgerufen am 27.11.2024.