schneiden zu lassen und ein Jünger des Ma- homed und Ali zu werden. Er gewann die Leute lieb, unterredete sich oft mit ihnen über ihren Glauben und bewies ihnen sehr viel Güte, welche sie ihm reichlich erwieder- ten. Die Freundschaft war geknüpst, und er ersuchte sie sogar, ihn einen Zeugen ihres Gebets seyn zu lassen, welches sie ihm be- willigten: doch bediente er sich dieser Er- laubniß mit vieler Bescheidenheit, und nie gebrauchte er sie, ohne daß das Feuer ihrer Andacht ihn zu einem Kniefalle und zur Verei- nigung seiner Innbrunst mit der ihrigen hin- riß. -- Aber warum nennt man nur diese Leute Ungläubige? dachte er oft bey sich selbst; sie, die mit den feurigsten Regungen Gott verehren, deren ein Christ nicht fähiger seyn kann? Kann ein Herz, das zu einer so rührenden Erhebung von seinem Schöpfer begeistert wird, das Herz eines Ungläubigen seyn? Mag er doch den Mahomed, den Ali oder Abubecker für große Menschen halten, mag er sich doch ein Stückchen von seinem Fleische verschneiden lassen, mag er doch nach Mekka oder nach Bagdad sein Ge- sicht bey dem Gebete kehren: wenn sein Herz
nur
ſchneiden zu laſſen und ein Juͤnger des Ma- homed und Ali zu werden. Er gewann die Leute lieb, unterredete ſich oft mit ihnen uͤber ihren Glauben und bewies ihnen ſehr viel Guͤte, welche ſie ihm reichlich erwieder- ten. Die Freundſchaft war geknuͤpſt, und er erſuchte ſie ſogar, ihn einen Zeugen ihres Gebets ſeyn zu laſſen, welches ſie ihm be- willigten: doch bediente er ſich dieſer Er- laubniß mit vieler Beſcheidenheit, und nie gebrauchte er ſie, ohne daß das Feuer ihrer Andacht ihn zu einem Kniefalle und zur Verei- nigung ſeiner Innbrunſt mit der ihrigen hin- riß. — Aber warum nennt man nur dieſe Leute Unglaͤubige? dachte er oft bey ſich ſelbſt; ſie, die mit den feurigſten Regungen Gott verehren, deren ein Chriſt nicht faͤhiger ſeyn kann? Kann ein Herz, das zu einer ſo ruͤhrenden Erhebung von ſeinem Schoͤpfer begeiſtert wird, das Herz eines Unglaͤubigen ſeyn? Mag er doch den Mahomed, den Ali oder Abubecker fuͤr große Menſchen halten, mag er ſich doch ein Stuͤckchen von ſeinem Fleiſche verſchneiden laſſen, mag er doch nach Mekka oder nach Bagdad ſein Ge- ſicht bey dem Gebete kehren: wenn ſein Herz
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ſchneiden zu laſſen und ein Juͤnger des Ma-
homed und Ali zu werden. Er gewann die
Leute lieb, unterredete ſich oft mit ihnen
uͤber ihren Glauben und bewies ihnen ſehr
viel Guͤte, welche ſie ihm reichlich erwieder-
ten. Die Freundſchaft war geknuͤpſt, und
er erſuchte ſie ſogar, ihn einen Zeugen ihres
Gebets ſeyn zu laſſen, welches ſie ihm be-
willigten: doch bediente er ſich dieſer Er-
laubniß mit vieler Beſcheidenheit, und nie
gebrauchte er ſie, ohne daß das Feuer ihrer
Andacht ihn zu einem Kniefalle und zur Verei-
nigung ſeiner Innbrunſt mit der ihrigen hin-
riß. — Aber warum nennt man nur dieſe
Leute Unglaͤubige? dachte er oft bey ſich
ſelbſt; ſie, die mit den feurigſten Regungen
Gott verehren, deren ein Chriſt nicht faͤhiger
ſeyn kann? Kann ein Herz, das zu einer ſo
ruͤhrenden Erhebung von ſeinem Schoͤpfer
begeiſtert wird, das Herz eines Unglaͤubigen
ſeyn? Mag er doch den Mahomed, den
Ali oder Abubecker fuͤr große Menſchen
halten, mag er ſich doch ein Stuͤckchen von
ſeinem Fleiſche verſchneiden laſſen, mag er
doch nach Mekka oder nach Bagdad ſein Ge-
ſicht bey dem Gebete kehren: wenn ſein Herz
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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor02_1776/51>, abgerufen am 26.11.2024.
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